Europas rechtskonservative Allianz steht vor dem Durchbruch
Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) im EU-Parlament könnte nach den Europawahlen mächtiger sein denn je – doch wie stabil ist diese politische Gruppierung?
Im EU-Parlament zeichnet sich eine Machtverschiebung ab. Die meisten Prognosen für die Europawahlen im Juni sagen nämlich Verluste bei den Grünen voraus, während Konservative und Rechtspopulisten mit Zugewinnen rechnen können. Besonders die rechtskonservative Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) soll gestärkt aus dem Votum hervorgehen.
Dieser Rechtsruck im EU-Parlament würde die Rolle der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) deutlich stärken. Ohne sie wird es nämlich keine funktionsfähige Mehrheit geben. Die EVP wird wiederum die Wahl zwischen zwei alternativen Mehrheiten haben, die sie dann themenspezifisch gegeneinander ausspielen kann.
EVP wird strategischer handeln können
Demnach wird die EVP zentral für eine proeuropäische Mehrheit, bestehend aus den Christdemokraten, den Sozialdemokraten, den Liberalen und vielleicht auch den Grünen, sein. Missfällt ihr diese Allianz aber, kann die EVP auch Texte zusammen mit der ECR-Fraktion und dem rechten Flügel der Liberalen und Teilen der rechtsradikalen ID-Fraktion (Identität und Demokratie) durchkriegen.
Die bequeme Verhandlungsposition des Königsmachers hat aber ihren Preis: Die EVP müsste sich auf eine regelmäßige Zusammenarbeit mit der ECR einlassen – und dieser auch mehr Macht einräumen. Für die EVP stellt sich dabei aber die Frage, wie zuverlässig dieser Bund von rechtskonservativen bis rechtsradikalen Parteien ist und ob die EVP sich nicht darin verlieren wird.
Für Nathalie Brack, Politikwissenschaftlerin an der Université Libre de Bruxelles (ULB), wird die mögliche Zusammenarbeit nämlich alles andere als einfach sein. Denn bereits in dieser Legislaturperiode (2019–2024) hätte die EVP auf die alternative rechte Mehrheit zurückgreifen können. Doch sie hat in den allermeisten Fällen darauf verzichtet, so Brack. Der Grund? „In der Regel hat die EVP mit der Mitte-Koalition abgestimmt – einfach, weil die Zusammenarbeit mit der ECR viel komplizierter ist. Der dort herrschende Nationalismus und die internen inhaltlichen Spannungen waren nicht zu übersehen.“
Die ECR hat sich radikalisiert
Zwar hätten sich gemäßigte EVP-Politiker rhetorisch Richtung ECR geöffnet – indem sie etwa rechtere Positionen in Sachen Migration und Klimaschutz verinnerlichten oder eine mögliche Zusammenarbeit öffentlich erwogen haben -, doch das Abstimmungsverhalten zeigt: Die Christdemokraten haben sich in der laufenden Legislaturperiode eher den Grünen angenähert, so die Expertin. Auch wenn der Eindruck der letzten Monate war, dass sich die EVP, der auch die luxemburgische CSV angehört, von einer strengen Umweltschutz-Politik distanzieren möchte. „Ideologisch bleiben EVP und ECR in einigen Kernthemen, wie etwa der Schutz der Rechtsstaatlichkeit oder der europäischen Integration, sehr weit voneinander entfernt“, so Brack weiter.
Außerdem ist die ECR dabei, resolut nach rechts abzudriften, was eine abschreckende Wirkung auf einige EVP-Mitglieder hat. Die ECR wurde 2009 von den britischen Tories gegründet, weil die EVP ihnen zu sehr auf europäische Integration drängte. „Damals war es eine Gruppierung von staatstragenden, wirtschaftlich liberalen Parteien, die gegen die europäische Zentralisierung waren, ohne aber grundsätzlich euroskeptisch zu sein“, so Brack. Doch allmählich radikalisierte sich die Gruppierung. Durch den Brexit verlor die Partei ihr Hauptgründungsmitglied. Tonangebend in der Fraktion wurden dadurch die polnische PiS-Partei, Giorgia Melonis postfaschistische Fratelli d‘Italia und die rechtsradikale Vox aus Spanien. Meloni ist derzeit auch Präsidentin der dazugehörenden ECR-Parteienfamilie. „Die Fraktion ist dabei, sich zu radikalisieren und nähert sich immer mehr den Positionen der rechtsextremen ID-Fraktion an“, so Politikwissenschaftlerin Nathalie Brack.
Das hat nicht nur eine abschreckende Wirkung auf die EVP, sondern auch auf die gemäßigteren Mitglieder innerhalb der ECR-Fraktion. „Wir fühlen uns (dort) nicht mehr zu Hause“, sagt etwa der flämische Ministerpräsident Jan Jambon im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“. Er ist Mitglied der rechtsliberalen N-VA, die
mehr Autonomie für Flandern fordert und gleichzeitig einen Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung in Belgien hat. „Die Radikalisierung der ECR ist ein Problem für sie“, meint Brack. „Die N-VA will eine respektable Volkspartei sein, die sich für demokratische Werte einsetzt. Das ist nur schwer vereinbar mit der Zusammenarbeit mit der polnischen PiS-Partei, die während ihrer Regierungszeit den Rechtsstaat regelrecht ausgehöhlt hat. Es ist zunehmend schwierig für die N-VA, diese Allianz bei ihren Wählern zu rechtfertigen“.
Was wird Viktor Orbán machen?
Andere Mitglieder, wie etwa die spanische Vox, greifen die Gleichheit zwischen Mann und Frau an oder wollen die Rechte von Schwulen und Lesben beschneiden, was dem regierungsfähigen Flügel der Partei ebenfalls Angst macht, so Brack weiter. Die Fraktion ist demnach alles andere als stabil. „In Migrationsfragen gibt es eine klare Nord-SüdSpaltung und in gesellschaftlichen Fragen frappante Ost-West-Trennlinien“. Ein- und
Die ECR läuft Gefahr, die Fraktion der illiberalen Demokratie zu werden. Nathalie Brack, Politikwissenschaftlerin
Austritte sind demnach vorprogrammiert.
„Brisant wird dabei, was aus Viktor Orbáns Fidesz-Partei wird“, meint die Expertin weiter. Die Fidesz-Partei hat 2021 wegen anhaltender Spannungen bezügliche der autokratischen Regierungsweise von Viktor Orbán in Ungarn die christdemokratische EVP verlassen. Die zwölf EU-Parlamentarier der Partei sind seitdem fraktionslos und haben dadurch an Einfluss und Geld, das Fraktionen zur Verfügung haben, verloren. Deswegen sucht die Partei neue Partner auf EU-Ebene und die ECR wäre eine logische Wahl, die dadurch wiederum zahlreicher auftreten würde. Doch auch diese Operation birgt Probleme. Sowohl die PiS-Partei als auch Melonis Fratelli d‘Italia sind resolute Atlantisten, die sehr viel Wert auf die Unterstützung der Ukraine legen. Orbán gilt dagegen als Wladimir Putins UBoot in der EU und wehrt sich gegen Waffenlieferungen und Finanzhilfen für Kiew. Und besonders respektabel ist der korrupte Autokrat auch nicht. „Dann läuft die ECR Gefahr, die Fraktion der illiberalen Demokratie zu werden – was sicherlich nicht alle Mitglieder gerne sehen würden“, sagt die Expertin Nathalie Brack.
ADR wird in der ECR-Fraktion sitzen
Fred Keup, der Parteipräsident der ADR, bestätigte indes dem „Luxemburger Wort“, dass die ADR der ECR-Fraktion beitreten würde, sollte seine Partei einen Sitz in Straßburg bei den Europawahlen ergattern. Laut Keup seien die internen Spannungen innerhalb der Fraktion auch nicht das Hauptproblem der Gruppierung: „Derartige Spannungen gibt es in allen Fraktionen des Europäischen Parlaments“. Problematischer sei dagegen die Tatsache, dass die Partei keine nennenswerten Mitglieder in Frankreich und Deutschland hat – den zwei wichtigsten EU-Staaten. „Das ist alles andere als ideal“, so der ADR-Chef.
Über eine mögliche Zusammenarbeit mit Orbáns Fidesz-Partei „hat die ADR noch keine Position“, so Keup weiter. „Notgedrungen gibt es Meinungsunterschiede, wenn Parlamentarier aus 27 Staaten zusammentreffen“, sagt Keup zu den möglichen Spannungen rund um die UkraineFrage, die der Beitritt der Fidesz-Partei wohl offenbaren würde. Klar sei dagegen, dass es „eine ganze Reihe von Punkten gibt, bei denen wir uns eine Kooperation mit der EVP gut vorstellen können – etwa bei den Themen Migration und Wirtschaft.“