Luxemburger Wort

Aus den Augen, aus dem Sinn

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Das Missgeschi­ck ist bereits mehrmals passiert: Seit geraumer Zeit kann ich mir nicht wirklich merken, wo genau ich mein Auto parke. Mehrfach stellte ich mein Fahrzeug in einem Parkhaus ab und konnte es danach auf Anhieb nicht wiederfind­en. Wohl ist der Zustand meiner mit dem Alter ansetzende­n Amnesie zu verschulde­n, womöglich spielt auch der Stress eine große Rolle. Wenn ich in Eile bin, schaltet mein Gehirn ab.

Eigentlich habe ich ein gutes visuelles Gedächtnis, was ich bereits mehrfach während Schulund Studienzei­ten unter Beweis stellen konnte. Doch in den verwinkelt­en Gängen und zwischen den dunklen Reihen eines Parkhauses versage ich komplett. Wenn ich zu meinem Auto zurückkehr­e, sehen die Plätze im Nachhinein für mich ähnlich aus.

In den verwinkelt­en Gängen eines Parkhauses versage ich komplett.

Liebe Leser, Sie fragen mich sicherlich gleich, warum ich mir nicht die Zahlen und Buchstaben, die in Parkhäuser­n zur Orientieru­ng dienen, einfach merke? Ja, das mache ich, doch während ich meinen Einkauf erledige, verschwind­en diese Angaben schnell aus dem Kopf.

Ich erinnere mich mit Grauen an einen Vorfall vor wenigen Jahren, als ich in einem Parkhaus durch die Gänge irrte, weil ich mir den genauen Abstellpla­tz nicht gemerkt hatte. Nach einer Stunde Suchen habe ich meinen Wagen endlich gefunden. Seitdem versuche ich meistens, mir die Koordinate­n der Parklücke aufzuschre­iben oder ein Foto zu machen. Doch das klappt nicht immer – aus den oben beschriebe­nen Gründen. Vielleicht soll ich mir verschiede­ne Tricks aus dem Internet zu eigen machen: sich zur Parklücke über eine App navigieren lassen oder den Funkschlüs­sel dauernd gedrückt halten. Dann bleibt mir hoffentlic­h das Schicksal eines Autofahrer­s aus Frankfurt erspart, der seinen vergessene­n Wagen erst nach 20 Jahren wiederfind­en konnte. Irina

lichkeiten zu mir gesagt. Einmal bekam ich von jemandem, der es besser wissen sollte, zu hören: „Ihr habt doch hier sicher nur kleine Vergehen bei der Jagd oder der Fischerei.“Da habe ich ihm erklärt, dass es bei uns sehr wohl auch Straftaten wie Vergewalti­gung, Brandstift­ung, Mord und Totschlag gibt. Und nach einer Unterredun­g mit Polizeiver­antwortlic­hen wünschte mir der damalige Direktor mal eine „gute Fahrt in den hohen Norden“, als ich gerade an einer großen Landkarte vorbeiging. Ich habe mich dann umgedreht, auf die Landkarte gezeigt und gesagt: „Schauen Sie, Herr Direktor, Diekirch liegt im Zentrum des Landes, Luxemburg liegt im Süden!“

Wurde der Gerichtsbe­zirk Diekirch entspreche­nd anders behandelt?

Abgeordnet­e Rechtsanwä­lte aus Luxemburg haben sich früher dafür eingesetzt, dass Justiz-Personal bevorzugt in Luxemburg aufgestock­t wurde. Es fühlte sich immer an, als müsste ein statistisc­her Krieg geführt werden, um nachzuweis­en, dass Bedarf an Personal besteht. Und es ist schwierig, die tatsächlic­he Arbeit aus den Statistike­n herauszule­sen. Die Haltung hat sich allerdings geändert, da gab es ein Umdenken. Früher war es auch viel verkapselt­er. Da waren alle fünf Richter aus Diekirch. Wenn dann mal einer von ihnen nach Luxemburg herunterka­m, dann wurde der noch angeschaut wie ein Außerirdis­cher.

Auch das hat sich geändert. Ich habe meine Laufbahn in Luxemburg begonnen. Schon als ich nach Diekirch gewechselt bin, waren auch die anderen ursprüngli­ch nicht von dort. Heute gibt es viel mehr Austausch als früher.

Wie war und ist denn die Situation im Bezirk Diekirch tatsächlic­h?

Ein früherer Staatsanwa­lt, in den 1960erJahr­en, hat sehr gern Delikte bezüglich der Jagd und Fischerei verfolgt. Wenn die Jagdsaison losging, dann war er einsatzber­eit. Zu meiner Zeit als Untersuchu­ngsrichter in den 1970er-Jahren war das aber schon nicht mehr zeitgemäß. Damals hat zwar der Untersuchu­ngsrichter die Ermittlung­en bei Kriminalfä­llen geführt. Wenn es beispielsw­eise um Mord ging, waren aber die Generalsta­atsanwalts­chaft und der Assisenhof zuständig, bis dieser 1987 abgeschaff­t wurde. Seitdem liegt die Zuständigk­eit für Verbrechen ganz beim jeweiligen Bezirksger­icht. Als ich 1994 bei der Staatsanwa­ltschaft angefangen habe, waren wir zu dritt. Später wurde auf fünf, dann auf acht Stellen aufgestock­t. In den 1970ern waren aber auch in Luxemburg nur acht Leute, heute sind es deren 50. Die Kriminalit­ät steigt immer weiter an, das bestätigen mir auch Kollegen. Es passiert jedenfalls genug, dass die Leute, die da sind, beschäftig­t sind.

Gibt es Straftaten, die eher im Diekircher oder im Luxemburge­r Bezirk verübt werden?

Wegen der Psychiatri­e in Ettelbrück war die Kontrolle der Aufnahme von Menschen mit psychische­n Problemen dorthin früher ein Schwerpunk­t am Gericht, genauso wie die Beantragun­g von Entlassung­santrägen. Diese Situation ist heute natürlich anders als früher. Steuerhint­erziehung, Versicheru­ngsbetrug und Ähnliches gibt es bei uns weniger als in Luxemburg. Das heißt aber nicht, dass es diese Fälle gar nicht gibt, wie etwa eine Scheinfirm­a in Weiswampac­h. Und Gewalttate­n gibt es auch in Dörfern, wo manche Leute sagen: „Wie kann so was denn hier passieren?“Fälle von Gewalt innerhalb der Familie zum Beispiel gibt es leider überall.

Wie sieht es denn am anderen Ende des Spektrums aus – bei eher „harmlosere­n“Straftaten?

Wenn man ein fremdes Auto nur für eine „Spritztour“entwendete und den Wagen anschließe­nd wieder irgendwo abstellte, wurde es früher als Gebrauchsd­iebstahl behandelt. Die Strafe war dann viel geringer als für „normalen“Diebstahl, und der Versuch war nicht strafbar. Aber wie soll man wissen, ob es nun ein versuchter Diebstahl oder ein versuchter Gebrauchsd­iebstahl war? Wenn jemand bei zehn Autos die Klinke betätigt und die Klinke verschloss­en ist – woher weiß man, dass derjenige beim elften Versuch nicht sagt, „Jetzt reicht’s“, die Scheibe einschlägt und einen „normalen“Diebstahl begeht? Das ist im Laufe der Zeit geändert worden. Das sind so die alltäglich­en Probleme, die meinen Kollegen und mir auffielen. Wenn wir solch ein Problem angemerkt haben, wurde das immer ernst genommen, egal, ob das jetzt ein Diekircher oder ein Luxemburge­r sagt.

 ?? Foto: Anouk Antony ?? Der frühere Diekircher Richter und Staatsanwa­lt Jean Bour widerspric­ht vehement veralteten Vorstellun­gen von Kriminalit­ät im Norden.
Foto: Anouk Antony Der frühere Diekircher Richter und Staatsanwa­lt Jean Bour widerspric­ht vehement veralteten Vorstellun­gen von Kriminalit­ät im Norden.
 ?? Foto: Nico Muller ?? Jean Bour arbeitete von 1974 bis 2011 im Gerichtsbe­zirk Diekirch.
Foto: Nico Muller Jean Bour arbeitete von 1974 bis 2011 im Gerichtsbe­zirk Diekirch.

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