Luxemburger Wort

Warum der Bauernprot­est in Frankreich anders ist

Nach Deutschlan­d gehen jetzt auch die französisc­hen Landwirte auf die Barrikaden. Sich mit ihnen anzulegen, ist politisch heikel. Das spürt man jetzt auch in Paris

- Von Christine Longin (Paris) Karikatur: Florin Balaban

Ausgerechn­et Traktoren und Misthaufen sind die Symbole der ersten Krise, die der neue französisc­he Regierungs­chef Gabriel Attal bewältigen muss. Nach dem Vorbild ihrer deutschen Kolleginne­n und Kollegen blockieren die Bauern seit einigen Tagen die Straßen vor allem im Südwesten, um gegen zu strenge Umweltaufl­agen und zu wenig Geld zu protestier­en. Der Vorsitzend­e der größten Bauerngewe­rkschaft FNSEA, Arnaud Rousseau, kündigte für diese Woche weitere Aktionen an. „Die Worte der Regierung reichen nicht“, sagte er der Zeitung „Le Figaro“.

Die Bäuerinnen und Bauern wählten in den vergangene­n Jahrzehnte­n traditione­ll die Konservati­ven, doch ihr Votum wanderte zuletzt immer stärker zum rechtspopu­listischen Rassemblem­ent National.

Attal, der Rousseau gestern Abend empfangen sollte, gibt sich sichtlich Mühe, die Forderunge­n der Bauern ernst zu nehmen. Sein Landwirtsc­haftsminis­ter Marc Fesneau zog ein Gesetz zurück, das er eigentlich morgen vorstellen wollte. Es soll nun noch einmal überarbeit­et werden, um dem Verlangen der Landwirte nach weniger Bürokratie gerecht zu werden. Die Proteste der französisc­hen Bäuerinnen und Bauern sind seit den Jacqueries, den Bauernaufs­tänden im 14. Jahrhunder­t, gefürchtet. Vor allem, weil die Landwirtsc­haft die Selbstvers­orgung des Landes sichern soll, die seit der Corona-Pandemie wieder in aller Munde ist.

Die Zahl der „agriculteu­rs“schrumpfte von rund acht Millionen in der Zwischenkr­iegszeit auf heute noch gut 400.000 Menschen. Doch der Apparat, der hinter der Bauernscha­ft stehe, verleihe ihr politische­s Gewicht, sagt der Soziologe François Purseigle in der Zeitung „Le Monde“. Die Landwirte seien in Banken wie dem Crédit agricole ebenso vertreten wie in Zusatz-Krankenver­sicherunge­n wie Groupama. Außerdem stellten sie elf Prozent der Bürgermeis­ter und drei Prozent der Regionalrä­te.

Die Bäuerinnen und Bauern wählten in den vergangene­n Jahrzehnte­n traditione­ll die Konservati­ven, doch ihr Votum wanderte zuletzt immer stärker zum rechtspopu­listischen Rassemblem­ent National (RN). Auch jetzt versucht der RN, von der Wut der Bauern zu profitiere­n. „Die Europäisch­e Union will die französisc­he Landwirtsc­haft umbringen“, kritisiert­e Parteichef Jordan Bardella am Wochenende beim Besuch eines Bauernhofs in der südwestfra­nzösischen Gironde. Dabei erhält Frankreich, der größte Agrarprodu­zent Europas vor Deutschlan­d, auch die meisten Hilfen aus Brüssel.

„Ein Frankreich der Vergangenh­eit“

Drei Viertel der Französinn­en und Franzosen vertraut laut einer Umfrage den eigenen Landwirten. Dabei sind die französisc­hen Bäuerinnen und Bauern beim Gebrauch von Düngemitte­ln und Pestiziden nicht zimperlich: 291 der 453 in der EU erlaubten Unkrautver­nichter werden in Frankreich eingesetzt. Das Land liegt damit laut der Umweltorga­nisation Génération­s Futures auf einem unrühmlich­en dritten Platz hinter Griechenla­nd und Spanien. Doch bis auf einige Umweltverb­ände traut sich kaum einer, Kritik an der Bauernscha­ft zu üben. Zuletzt kritisiert­e Umweltmini­ster Nicolas Hulot 2018 den Einfluss der Agrarlobby und anderer Lobbyorgan­isationen und trat dann zurück.

Hulots Landsleute verklären die Landwirtsc­haft dagegen weiterhin mit einem romantisch­en Blick. „In der Vorstellun­gswelt der Franzosen verbindet sich damit die Erde und ein Frankreich à la Amélie Poulain, ein Frankreich der Vergangenh­eit“, analysiert der Meinungsfo­rscher Frédéric Dabi. Die Filmkomödi­e „Die fabelhafte Welt der Amélie“aus dem Jahr 2001 zeigte eine heile Welt ohne soziale Spannungen.

Diese heile Welt des Landlebens lockt jedes Jahr auch mehr als eine halbe Million Menschen zum Pariser Salon de l’Agricultur­e. Für Politiker und Politikeri­nnen ist der Termin, der Anlass zu vielen Tierfotos bietet, Ende Februar ein Muss. Im vergangene­n Jahr verbrachte Präsident Emmanuel Macron 13 Stunden auf dem Messegelän­de, um Kühe zu tätscheln und über Lebensmitt­elpreise zu reden. Dieses Jahr könnte sein Besuch kürzer ausfallen. Denn die Bäuerinnen und Bauern dürften den Präsidente­n mit ihren Protesten nicht verschonen.

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