Warum der Bauernprotest in Frankreich anders ist
Nach Deutschland gehen jetzt auch die französischen Landwirte auf die Barrikaden. Sich mit ihnen anzulegen, ist politisch heikel. Das spürt man jetzt auch in Paris
Ausgerechnet Traktoren und Misthaufen sind die Symbole der ersten Krise, die der neue französische Regierungschef Gabriel Attal bewältigen muss. Nach dem Vorbild ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen blockieren die Bauern seit einigen Tagen die Straßen vor allem im Südwesten, um gegen zu strenge Umweltauflagen und zu wenig Geld zu protestieren. Der Vorsitzende der größten Bauerngewerkschaft FNSEA, Arnaud Rousseau, kündigte für diese Woche weitere Aktionen an. „Die Worte der Regierung reichen nicht“, sagte er der Zeitung „Le Figaro“.
Die Bäuerinnen und Bauern wählten in den vergangenen Jahrzehnten traditionell die Konservativen, doch ihr Votum wanderte zuletzt immer stärker zum rechtspopulistischen Rassemblement National.
Attal, der Rousseau gestern Abend empfangen sollte, gibt sich sichtlich Mühe, die Forderungen der Bauern ernst zu nehmen. Sein Landwirtschaftsminister Marc Fesneau zog ein Gesetz zurück, das er eigentlich morgen vorstellen wollte. Es soll nun noch einmal überarbeitet werden, um dem Verlangen der Landwirte nach weniger Bürokratie gerecht zu werden. Die Proteste der französischen Bäuerinnen und Bauern sind seit den Jacqueries, den Bauernaufständen im 14. Jahrhundert, gefürchtet. Vor allem, weil die Landwirtschaft die Selbstversorgung des Landes sichern soll, die seit der Corona-Pandemie wieder in aller Munde ist.
Die Zahl der „agriculteurs“schrumpfte von rund acht Millionen in der Zwischenkriegszeit auf heute noch gut 400.000 Menschen. Doch der Apparat, der hinter der Bauernschaft stehe, verleihe ihr politisches Gewicht, sagt der Soziologe François Purseigle in der Zeitung „Le Monde“. Die Landwirte seien in Banken wie dem Crédit agricole ebenso vertreten wie in Zusatz-Krankenversicherungen wie Groupama. Außerdem stellten sie elf Prozent der Bürgermeister und drei Prozent der Regionalräte.
Die Bäuerinnen und Bauern wählten in den vergangenen Jahrzehnten traditionell die Konservativen, doch ihr Votum wanderte zuletzt immer stärker zum rechtspopulistischen Rassemblement National (RN). Auch jetzt versucht der RN, von der Wut der Bauern zu profitieren. „Die Europäische Union will die französische Landwirtschaft umbringen“, kritisierte Parteichef Jordan Bardella am Wochenende beim Besuch eines Bauernhofs in der südwestfranzösischen Gironde. Dabei erhält Frankreich, der größte Agrarproduzent Europas vor Deutschland, auch die meisten Hilfen aus Brüssel.
„Ein Frankreich der Vergangenheit“
Drei Viertel der Französinnen und Franzosen vertraut laut einer Umfrage den eigenen Landwirten. Dabei sind die französischen Bäuerinnen und Bauern beim Gebrauch von Düngemitteln und Pestiziden nicht zimperlich: 291 der 453 in der EU erlaubten Unkrautvernichter werden in Frankreich eingesetzt. Das Land liegt damit laut der Umweltorganisation Générations Futures auf einem unrühmlichen dritten Platz hinter Griechenland und Spanien. Doch bis auf einige Umweltverbände traut sich kaum einer, Kritik an der Bauernschaft zu üben. Zuletzt kritisierte Umweltminister Nicolas Hulot 2018 den Einfluss der Agrarlobby und anderer Lobbyorganisationen und trat dann zurück.
Hulots Landsleute verklären die Landwirtschaft dagegen weiterhin mit einem romantischen Blick. „In der Vorstellungswelt der Franzosen verbindet sich damit die Erde und ein Frankreich à la Amélie Poulain, ein Frankreich der Vergangenheit“, analysiert der Meinungsforscher Frédéric Dabi. Die Filmkomödie „Die fabelhafte Welt der Amélie“aus dem Jahr 2001 zeigte eine heile Welt ohne soziale Spannungen.
Diese heile Welt des Landlebens lockt jedes Jahr auch mehr als eine halbe Million Menschen zum Pariser Salon de l’Agriculture. Für Politiker und Politikerinnen ist der Termin, der Anlass zu vielen Tierfotos bietet, Ende Februar ein Muss. Im vergangenen Jahr verbrachte Präsident Emmanuel Macron 13 Stunden auf dem Messegelände, um Kühe zu tätscheln und über Lebensmittelpreise zu reden. Dieses Jahr könnte sein Besuch kürzer ausfallen. Denn die Bäuerinnen und Bauern dürften den Präsidenten mit ihren Protesten nicht verschonen.