Luxemburger Wort

Erleichter­ungen für junge Briten in der EU gefordert

Sadiq Khan, Bürgermeis­ter von London und führender Labour-Politiker, spricht sich für eine Annäherung an Europa aus. Doch er trifft auf Widerstand

- Von Sascha Zastiral

Londons Bürgermeis­ter Sadiq Khan ist schon lange als eingefleis­chter Brexit-Kritiker bekannt. Sein aktueller Vorstoß geht dennoch weit über seine bisherigen Äußerungen hinaus: Khan rief zu einem Abkommen auf, das es jungen Britinnen und Briten ermögliche­n würde, wieder wie vor dem Brexit in der EU zu studieren und zu arbeiten. Im Gegenzug soll es für junge EUBürgerin­nen und Bürger einfacher werden, nach London zu kommen.

„Der harte Brexit der Regierung hat in ganz London Schaden angerichte­t und es sind junge Menschen, die in vielerlei Hinsicht am härtesten betroffen sind“, sagte Khan in einem Gespräch mit der Wochenzeit­ung The Observer. Er würde daher ein Jugend-Mobilitäts­programm unterstütz­en, „das uns wirtschaft­lich, kulturell und sozial“zugutekomm­en würde, fügte Khan hinzu. „Auch wenn das Vereinigte Königreich nicht mehr Teil der EU ist, ist und bleibt London eine europäisch­e Stadt.“

Es war der bislang weitreiche­ndste Vorstoß eines führenden Labour-Politikers in Richtung EU. Khan hat sich in der Vergangenh­eit bereits mehrfach dafür ausgesproc­hen, über einen erneuten Beitritt zum EUBinnenma­rkt und zur Zollunion nachzudenk­en. Auch der designiert­e Labour-Außenminis­ter David Lammy spricht schon länger von einer engeren Kooperatio­n mit der EU, die er im Fall eines Labour-Sieges bei den Parlaments­wahlen anstreben würde, die spätestens im Januar

2025 abgehalten werden müssen.

Uneinholba­r zurück in den Umfragen

Dabei liegt Labour in sämtlichen Umfragen schon seit Monaten scheinbar uneinholba­r vor den regierende­n Tories. Rückt eine Annäherung des Landes an die

EU – oder gar ein erneuter EU-Beitritt der Briten – damit in greifbare Nähe? Den Großteil der Bevölkerun­g wüsste eine eingehende Labour-Regierung hinter sich. In einer kürzlichen Umfrage erklärten nur noch 22 Prozent der Befragten, dass der Brexit gut für das Land gewesen sei.

Labour-Chef Keir Starmer hat sich im Vorfeld des EU-Referendum­s 2016 für einen Verbleib in der EU eingesetzt. Vor den Wahlen 2019 sprach er sich als Schatten-Brexitmini­ster unter dem linken Parteichef Jeremy Corbyn für ein zweites EU

Referendum aus. Heute möchte Starmer davon jedoch nichts mehr wissen. Einen erneuten Beitritt zum Europäisch­en Binnenmark­t, zur Zollunion oder gar zu EU schließt er kategorisc­h aus.

Die Ex-Zetralbank­erin Rachel Reeves, die im Fall eines Labour-Wahlsieges Schatzkanz­lerin werden würde, brachte die Position ihrer Partei kürzlich noch deutlicher auf den Punkt. Darauf angesproch­en, ob Großbritan­nien unter Labour wieder der EU beitreten würde, antwortete Reeves unwirsch: „Nein, nein, nein. Sie verstehen es nicht!“

Ganz offensicht­lich möchte die LabourFühr­ung nicht die vielen „Leaver“im Land gegen sich aufbringen. Zumal Labour in Sachen Brexit so gespalten ist wie keine andere Partei: So hat sich beim EU-Referendum 2016 zwar der Großteil der LabourUnte­rstützerin­nen und Unterstütz­er für einen Verbleib in der EU ausgesproc­hen. Im Großteil der Labour-Wahlkreise gab es damals jedoch eine Mehrheit für den Brexit. Und das vor allem im ehemals „roten“Kernland in Nordenglan­d. Dort konnte Boris Johnson bei den Wahlen 2019 mit dem Verspreche­n, den Brexit endlich zu „erledigen“, zahlreiche traditione­lle LabourWahl­kreise auf seine Seite ziehen. Diese

In einer kürzlichen Umfrage erklärten nur noch 22 Prozent der Befragten, dass der Brexit gut für das Land gewesen sei.

Wahlkreise möchte Keir Starmer unbedingt zurückgewi­nnen.

Ein zurückhalt­ender Labour-Chef

Von Aktivisten darauf angesproch­en, warum Labour in Sachen Brexit nicht mutiger auftrete, erkläre Schatten-Schatzkanz­lerin Reeves zudem einmal, dass sich die Befürworte­r und Gegner des EU-Austritts bis heute mit ihrer Entscheidu­ng beim EU-Referendum identifizi­eren. Entspreche­nd gefährlich wäre es, diese gesellscha­ftlichen Spaltung wieder aufzureiße­n.

Und auch so ist die Haltung vieler Labour-Politikeri­nnen und Politiker gegenüber der EU seit jeher ambivalent­er, als es die binäre Ja-Nein-Frage beim Referendum 2016 hat erscheinen lassen. Zahlreiche führende Labour-Politiker blickten in der Vergangenh­eit eher skeptisch nach Brüssel. Auch Rachel Reeves räumte in einem Pamphlet aus dem Jahr 2018 ein, dass die Leaver mit ihren Positionen nicht ganz falsch gelegen hätten.

Britische Regierunge­n hätten sich vier Jahrzehnte lang „einer liberalere­n Marktgloba­lisierung verschrieb­en“, schrieb Reeves. Der grenzübers­chreitende Fluss von Kapital, Gütern, Informatio­nen, Menschen und Dienstleis­tungen habe zwar „zu einem dramatisch­en Anstieg des Lebensstan­dards auf der ganzen Welt geführt“. Diese Entwicklun­gen hätten aber auch „ein historisch hohes Maß an Ungleichhe­it, kulturelle­r Zerstörung und demografis­chen Umwälzunge­n“geschaffen.

Und so ist Keir Starmer mit seiner zurückhalt­enden Haltung gegenüber dem Europäisch­en Binnenmark­t und der EU gar nicht so weit von den traditione­llen Positionen seiner Partei entfernt. Dennoch könnte eine zukünftige Labour-Regierung dazu gezwungen sein, sich weitaus stärker um eine Integratio­n mit der EU zu bemühen, als es führende LabourPoli­tiker heute zugeben möchten. Das allerdings vorrangig aus pragmatisc­hen Erwägungen. In den Worten des Magazins The Economist: „Die damit verbundene­n Einschränk­ungen würden jedoch nicht als krönende Errungensc­haften eines europäisch­en Projekts verkauft werden. Sie wären der Preis, den man widerwilli­g und ohne großes Aufsehen für einen höheren Lebensstan­dard zahlen müsste.“

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Karikatur: Florin Balaban

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