Vie et Société – alles in bester Butter
Der Autor ist der Meinung, dass das Fach einer objektiven, unabhängigen und externen Bewertung unterzogen werden soll
Das ist die Feststellung, die sich dem unkritischen Leser aufdrängt, wenn er sich die Ausführungen von Herrn Gilles Retter, Präsident der Programmkommission von Vie et Société, anschaut1. „Die Sorgen haben sich längst als unbegründet erwiesen“. „Es gab in der Programmkommission nie eine Diskussion, ob jetzt zu viel oder zu wenig Religion auf dem Lehrplan steht“. „Anfängliche ,Schönheitsfehler’ sind längst behoben“. „Das Fach kommt bei den Schülern gut an“.
Eine Bilanz, die fast zu schön ist, um wahr zu sein, und stark nach Selbstlob riecht! Eine Apologia pro domo!
Nichtsdestotrotz unterlaufen dem Laudator einige Aussagen, die seinem überschwänglichen Diskurs widersprechen:
Erstens zur Methodik. „Es wird über Religionen gesprochen, aber es wird anders damit umgegangen“. Wohl wird im genannten Bericht erwähnt, dass einzelne Religionen (Judentum, Christentum, Islam) Teil des Lehrplans sind. Aber bezüglich des neuen Umgangs mit Religion(en) wird auf eine Praxis verwiesen, die darin besteht, zufällig, anlässlich der Behandlung anderer Themen, auf Religion zurückzugreifen: „… wenn zum Beispiel beim Thema Tierschutz … von Mitgeschöpf die Rede ist, dann wird darüber gesprochen, was in der Bibel dazu steht“. Mit dieser fragmentarischen, eklektischen Methode der Beliebigkeit kann kein angemessenes Grundwissen über Religion und Religionen vermittelt werden. Was die christliche Religion angeht, die eine der Wurzeln unserer europäischen Geschichte und Gesellschaft ist, verfehlt das Fach mit dieser Praxis auch seinen kulturellen Auftrag2.
Zweitens zum Auftrag und Anspruch.– „Der Name , Werteunterricht’ ist für das Fach schon lange nicht mehr gebräuchlich … weil es nie darum ging, den Schülern Werte beizubringen …“. Gewiss, Werte lassen sich nicht beibringen. Aber man kann dazu hinführen3 (amener). Genau mit dieser Zielsetzung wurde das Fach im Januar 2015 unter dem Namen „éducation aux valeurs“(Werteunterricht) ins Leben gerufen: „Le cours commun ,éducation aux valeurs’ aura comme objet principal d’amener progressivement l’élève à confronter son vécu et sa quête de sens avec les grandes questions de l’humanité et avec des éléments de réponses issus de réflexions philosophiques et éthiques ainsi que des grandes traditions religieuses et culturelles“.
Es ist höchste Zeit, dass das Fach auf dieser Grundlage einer objektiven, unabhängigen und externen Bewertung unterzogen wird.
Vermittelt durch den Artikel von Redakteurin Simone Molitor „Es wird über Religionen gesprochen, aber anders“(LW 15.01.2024, S. 2).
Cf. e. a. Régis Debray, Rapport sur l’enseignement du fait religieux dans l’école laïque. Paris 2002.
Cf. Hans Joas, Comment naissent les valeurs (traduit de l’allemand par Jean-Marc Tétaz), Paris (Calmann-Lévy) Paris 2023.