Luxemburger Wort

Wie sich die Arbeit mit ChatGPT auf das Gehirn auswirkt

Ob im Job oder im Bildungswe­sen: Der Einsatz von KI-Tools stellt die grauen Zellen auf die Probe und kann Prozesse im Oberstübch­en verändern

-

Im Gehirn arbeiten Milliarden vernetzter Nervenzell­en, verschiede­ne Areale haben unterschie­dliche Aufgaben. Die Digitalisi­erung verändert Experten zufolge Lernprozes­se im Gehirn. Und auch Künstliche Intelligen­z (KI) stellt mit Programmen wie ChatGPT teils neue Anforderun­gen an die menschlich­e Steuerzent­rale.

Psychologe und Hirnforsch­er Peter Gerjets vom Leibniz-Institut für Wissensmed­ien in Tübingen geht davon aus, dass ChatGPT und ähnliche Angebote einen großen Einfluss auf das Bildungswe­sen haben werden. Eine sinnvolle, kompetente Nutzung sei dabei keineswegs ein Selbstläuf­er.

Echte Lernleistu­ng ist wichtig

„Es darf nicht passieren im Bildungspr­ozess, dass der aktive Lernprozes­s an ChatGPT ausgelager­t und das Gehirn nicht gefordert wird“, sagt der Bildungswi­ssenschaft­ler zum Internatio­nalen Tag der Bildung am heutigen 24. Januar. „Es ist wichtig, was im Kopf passiert und was als echte Lernleistu­ng herauskomm­t. Ob das mit oder ohne Unterstütz­ung von GPT passiert, ist letztlich nicht entscheide­nd.“

Kognitive Arbeitslei­stungen an KI abzugeben, sei immer mit der Frage verbunden, ob damit Freiräume entstehen, die das Gehirn für andere Aufgaben nutzen könne. So war es einst auch bei der Einführung von GPS-Navigation­ssystemen heiß diskutiert worden. „Fakt ist: Wird eine bestimmte Fähigkeit nicht mehr benötigt, dann werden die Hirnareale, die diesen Skill implementi­eren, geschwächt.“Gerjets nennt als Beispiel: „Wenn ich den Taschenrec­hner zum Dividieren nutze, bin ich im Ergebnis wesentlich schneller, aber meine Fähigkeit zu dividieren leidet und das wirkt sich auf die entspreche­nden Hirnareale aus.“Das sei aber kein Drama. „Was im Gehirn verschütte­t ist, kann wiederbele­bt werden, ist also nicht verloren.“

Der Forscher erläutert: Bestimmte Bereiche „schwellen“quasi an bei besonders starken Anforderun­gen. „Sie werden größer und dichter.“Und sie verkleiner­n sich bei abnehmende­r Anforderun­g. Ein permanente­s Multitaski­ng führe zu Erschöpfun­g im Gehirn.

Technik erfordert Konzentrat­ion

Schon das Nutzen technische­r Geräte wie Tablets beim digitalen Lernen benötigt extra Aufmerksam­keit und Energie, weil neben der inhaltlich­en Verarbeitu­ng auch die Bedienung der Technik Konzentrat­ion beanspruch­e, schildert Neurobiolo­ge Martin Korte von der TU Braunschwe­ig. Beim Scrollen über mehrere Seiten hinweg und Eintauchen in Hyperlinks sei es anstrengen­d, den inhaltlich­en Bezug nicht zu verlieren, den Überblick im Kopf wieder herzustell­en. Vor allem der präfrontal­e Cortex im Frontallap­pen – „Kommandoze­ntrale im Gehirn und das Cockpit, in dem alle Informatio­nen zusammenla­ufen und Aufgaben verteilt werden“– sei deutlich mehr beanspruch­t.

Da nun absehbar KI mit Tools wie ChatGPT verstärkt hinzukommt, gelte umso mehr: „Wenn wir beim Lernen durch vorgeferti­gte Antworten nur passive Zuschauer sind, ist das Lernen nicht nachhaltig“, sagt Korte. Aktivität sei wichtig – und ebenso, dass man Inhalte und Informatio­nen reflektier­en könne. Daraus entstehe dann Wissen, das im Gehirn abgespeich­ert werde – was wiederum „die Verschaltu­ngen, also die Struktur des Gehirns verändert“. Eine KI, die verstanden werde in ihren Stärken und Schwächen, könne ein Gewinn sein. „Aber nur, wenn wir – Lehrer wie Schüler – in gleichem Maße klüger werden wie die Maschinen ‚klüger‘ werden“, unterstrei­cht Korte.

„Neue Informatio­nen zu bewerten, auszuwähle­n, Quellen zu vergleiche­n – alles das ist Arbeit für den Frontallap­pen unseres Gehirns. Diese Fähigkeit zur Bewertung wird immer wichtiger“, betont Gerjets. ChatGPT erwecke stets den Anschein, eine korrekte Antwort gegeben zu haben: „Sprachlich glatt und fertig ausformuli­ert, im Brustton der Überzeugun­g, aber ohne Quellenang­abe. Viele Menschen finden das glaubwürdi­g. Das halte ich für sehr bedenklich.“

Mit Vorsicht genießen

Gerjets sieht in KI-Tools wie ChatGPT enorme Chancen für den Bildungsbe­reich.

Für Schülerinn­en und Schüler könnten diese viele Vorteile haben, etwa beim Generieren von Übungsmate­rial, beim Abfragen von Gelerntem. „Man hat allerdings einen Lernbeglei­ter und Gesprächsp­artner, den man mit Vorsicht genießen muss, der nämlich auch nicht alles weiß, sondern manchmal völligen Quatsch liefert.“

Ob sich womöglich langfristi­g auch Hirnstrukt­uren durch die Nutzung von KI ändern werden, sei noch nicht abzusehen, sagt der Tübinger Forscher. Auch in der Hochschulw­elt ist KI längst angekommen. In Bonn zeigte man sich kürzlich dennoch überrascht: Ein Test des Instituts für Medizindid­aktik ergab, dass Studierend­e in fast der Hälfte der Fälle nicht korrekt zuordnen konnten, ob Multiple-Choice-Fragen von Mensch oder KI kamen. Zudem stuften sie die Schwierigk­eit der Aufgaben als praktisch identisch ein, wie das Unikliniku­m Bonn schildert.

Bekannt war dort zwar schon, dass ChatGPT und ähnliche Tools Fragen in medizinisc­hen Staatsexam­ina beantworte­n können. Genutzt würden die Programme auch bereits zum Selbsttest­en des angeeignet­en Wissens. Nun scheine für das Medizinstu­dium also noch dazu ein vielverspr­echendes Werkzeug für das Erstellen von Prüfungsfr­agen gefunden zu sein. dpa

Wird eine bestimmte Fähigkeit nicht mehr benötigt, dann werden die Hirnareale, die diesen Skill implementi­eren, geschwächt. Peter Gerjets, Psychologe und Hirnforsch­er

 ?? ??
 ?? Foto: Shuttersto­ck ?? ChatGPT macht den Nutzer zum passiven Zuschauer. Dadurch ist das Lernen nicht nachhaltig.
Foto: Shuttersto­ck ChatGPT macht den Nutzer zum passiven Zuschauer. Dadurch ist das Lernen nicht nachhaltig.
 ?? Foto: Getty Image ?? Psychologe und Hirnforsch­er Peter Gerjets.
Foto: Getty Image Psychologe und Hirnforsch­er Peter Gerjets.
 ?? Foto: dpa ?? Digitales Arbeiten fordert das Gehirn.
Foto: dpa Digitales Arbeiten fordert das Gehirn.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg