„Als Sportler aus Belarus ist es meine Pflicht, mich in diesem Krieg zu positionieren“
Der Tischtennisspieler Gleb Shamruk will mit Hostert-Folschette erneut Meister werden. Die Geschehnisse in seiner Heimat kann er nicht ausblenden
Gleb Shamruk wandelt zwischen zwei Welten. Auf der einen Seiten ist da Minsk, seine Heimat, sein Hauptwohnsitz. Aber auch Hauptstadt des Landes Belarus, das sich in vielen Bereichen mit dem kriegerischen Russland verbündet. Auf der anderen Seite steht Luxemburg. Eine beheizte Tischtennishalle. Und der Sport, den er so sehr liebt.
„Wenn Athleten in Belarus oder Russland sagen, dass sie den Krieg verurteilen, wird es gefährlich für sie“, stellt der Tischtennisprofi klar, der gerade 28 Jahre alt geworden ist. Aber er sei jetzt in Luxemburg und habe das Privileg, frei sprechen zu können. „Ich liebe mein Land, aber ich bin total gegen diesen Krieg. Dabei ist es egal, wie man es nennt. Es ist immer dasselbe. Ich wünsche mir Frieden und Freiheit für die Ukraine.“
Shamruk, der seit der Saison 2021/2022 für den luxemburgischen Meister Hostert-Folschette spielt, möchte gerne langfristig im Großherzogtum leben. Doch noch stehen ihm Statuten im Weg. „Wir suchen nach einer Gelegenheit, damit ich komplett hier bleiben kann“, erzählt er. Denn aktuell pendelt er die 2.000 Kilometer zwischen Minsk und Luxemburg. „Wenn wir viele Spiele haben, bleibe ich über einige Wochen hier“, erklärt Shamruk. „Beispielsweise reise ich nach dem Pokal-Final-Four Anfang Februar wieder ab.“
Der ehemalige belarussische Nationalspieler fühlt sich in Hostert pudelwohl. Niemals hätte er gedacht, dass er in der kleinen Gemeinde im Westen des Landes auf so viel Tischtennis-Begeisterung stoßen würde. Shamruk spielte viele Jahre in Deutschland, ehe er nach einer Station in Italien von der Corona-Pandemie ausgebremst wurde. „Ich hatte Probleme, einen neuen Club zu finden, weil ich immer ein Visum brauche“, erläutert er. „Ohne das kann ich nirgendwo hin.“
Fast zwei Jahre lang bestritt der Rechtshänder keine Wettkämpfe. „Das war eine Phase, in der sich viele Spieler Gedanken über ihre Zukunft machen mussten“, erzählt Shamruk. Auch er habe überlegt, ob es Sinn ergebe, mit dem Tischtennis weiterzumachen, oder ob er sich einen anderen Job suchen müsse.
„Ich spiele Tischtennis, seit ich fünf Jahre alt bin. Ich war zehn Jahre lang Nationalspieler und jede Saison ein halbes Jahr lang nicht zu Hause“, erzählt er. „Ich konnte es mir nicht vorstellen, weil ich nichts anderes kenne.“
Kleine Gemeinde, großer Club
Im Juli 2021, wenige Monate vor dem Start einer neuen Saison, meldete Hostert-Folschette plötzlich Interesse an, weil sich deren damaliger chilenischer Profi Nicolas Burgos verletzt hatte. „Ich wusste, dass es eine wegweisende Saison für mich werden würde“, beschreibt Shamruk. Die Zusage an den Club aus der Audi TT League fiel dem Belarussen dennoch nicht leicht. „Ich habe Google geöffnet und nach der Stadt geschaut“, erzählt er. „Als ich gesehen habe, dass da nur rund 400 Leute leben, dachte ich mir: Come on. Wie kann ich da spielen? Was passiert gerade?“
Aber dann passierte tatsächlich etwas. „Bei unserem ersten Spiel waren mehr als 50 Zuschauer in der Halle“, sagt Shamruk. „Ich war wirklich überrascht.“Der Neuzugang verstand, dass die Gemeinde zwar klein, der Club, auch gemessen an der Mitgliederzahl, aber ziemlich groß ist. „Das ist schon Wahnsinn. Wenn ich zu Hause davon erzähle, glaubt mir das niemand.“Deshalb, aber auch wegen der familiären Atmosphäre, sieht Shamruk seine Zukunft in Luxemburg. „Ich fühle mich hier heimisch“, verrät er.
Hinzu kommt, dass der Sport in seiner Heimat durch die mittlerweile weitreichenden Sanktionen zum Erliegen gekommen ist. „Ich würde die sportliche Situation in Belarus als zukunftslos bezeichnen“, erklärt er. Obwohl er verstehen kann, dass die Lage seiner ehemaligen Freunde und Kollegen prekär ist, hat er Verständnis für die Maßnahmen. „Im Kern ist der Sport keine Politik“, findet Shamruk. „Aber bekannte Athleten ha
ben eine große mediale Kraft. Sie haben Millionen Follower in den sozialen Medien. Deshalb kann ich die Sanktionen nachvollziehen.“
Auch aus diesem Grund weiß Shamruk sein Profileben in Luxemburg zu schätzen – auch wenn diesmal vermutlich eine größere Herausforderung wartet. „Ich glaube, dass es die schwierigste der letzten drei Saisons wird“, sagt Shamruk und spielt darauf an, dass sich seine Mannschaft zuletzt zweimal in Folge souverän den Ligatitel sicherte. Denn nach dem Start der Zwischenrunde ist Hostert-Folschette nur Zweiter hinter den starken Berburgern.
„Berburg gelingt es, einen starken Spitzenspieler (Leandro Fuentes, Anm. d. Red.) mit großem Teamgeist und einer außergewöhnlichen Atmosphäre in der Halle zu kombinieren“, findet Shamruk, der in Hostert mittlerweile Routinier Zoltan Fejer-Konnerth als Nummer eins abgelöst hat. „Diese Spiele werden auch für mich sehr interessant“, sagt er. „Ich denke, dass der Druck bei uns liegt, weil wir die Titelverteidiger sind.“
Persönlich hat der 28-Jährige kein Problem mit hohen Erwartungen. „Ich kenne den Druck“, erklärt er – und verweist auf das Jahr 2015, als er mit der belarussischen Mannschaft Bronze bei der Team-EM holte. „Das war unglaublich“, beschreibt Shamruk. „Aber am Ende ist es mir egal, ob es 2.000 Menschen auf der Tribüne einer Arena sind oder zehn Zuschauer in Hostert. Ich will sie alle gleichermaßen glücklich machen.“
Die nächste Gelegenheit dazu bekommt Shamruk am Samstag, wenn Hostert-Folschette am dritten Spieltag der Zwischenrunde in Düdelingen antritt (14.30 Uhr). Die Gedanken an den Krieg kann der 28-Jährige allerdings nicht aus deinem Kopf verbannen – und will es auch nicht: „Als Sportler aus Belarus ist es meine Pflicht, mich in diesem Krieg zu positionieren.“