Luxemburger Wort

Warum Schwedens Nato-Beitritt von Victor Orbán hinausgezö­gert wird

Nachdem das türkische Parlament für die Aufnahme des skandinavi­schen Landes gestimmt hat, bremst der ungarische Präsident weiter – und erpresst die EU

- Von Helmut Steuer

Knapp 20 Monate nachdem Schweden den Beitrittsa­ntrag zur Nato-Mitgliedsc­haft gestellt hat, ist das Land dem Beitritt zum nordatlant­ischen Verteidigu­ngsbündnis einen großen Schritt näher gekommen. Am Abend stimmte das türkische Parlament in Ankara mit 255 zu 55 Stimmen dem schwedisch­en Antrag zu. Bis zuletzt hatte die Türkei unter Verweis auf Schwedens mangelnden Einsatz gegen „Terrororga­nisationen“einen schwedisch­en Nato-Beitritt blockiert. „Seit heute sind wir einen Schritt näher an einer vollen Nato-Mitgliedsc­haft“, kommentier­te Schwedens Regierungs­chef Ulf Kristersso­n die Entscheidu­ng des türkischen Parlaments.

Mit der Zustimmung des Parlaments in Ankara steht jetzt noch die Unterschri­ft von Präsident Recep Tayyip Erdogan aus. Dafür hat er nach der türkischen Verfassung 15 Tage Zeit. Ob es so lange dauern wird, ist nicht klar. Nachdem das türkische Parlament im vergangene­n Frühjahr dem Nato-Beitritt Finnlands zugestimmt hatte, dauerte es nur vier Tage, bis Erdogan seine Unterschri­ft unter das Dokument setzte.

Beide Länder, Schweden und Finnland, hatten unter dem Eindruck des russischen Angriffskr­ieg in der Ukraine nach jahrzehnte­langer Bündnisfre­iheit den NatoBeitri­tt beantragt. Während Finnland im April vergangene­n Jahres den Beitritt vollziehen konnte, wurde Schweden immer wieder vertröstet. Das Land habe nicht genug gegen die Koran-Verbrennun­gen im Land unternomme­n und gewähre außerdem Mitglieder­n der kurdischen Arbeiterpa­rtei Schutz. Seit dem vergangene­n Sommer kam ein weiteres Argument hinzu: Erdogan forderte von den USA die Lieferung von amerikanis­chen Kampfflugz­eugen vom Typ

F16.

Er machte deutlich, dass die Zustimmung der Türkei zum schwedisch­en Nato-Beitritt von der Lieferung der F16-Maschinen abhängig ist. Laut Erdogan habe US-Präsident Biden ihm eine Lieferung auch zugesagt, wenn er dem schwedisch­en Beitritt zustimme. Zeitgleich mit dem Parlaments­beschluss in Ankara befindet sich der türkische Außenminis­ter in Washington. Ob die USA ihm die definitive Lieferung der F16-Maschinen jetzt zugesagt haben, ist nicht bekannt.

Orban taktiert

Mit der türkischen Zustimmung zu einem schwedisch­en Nato-Beitritt ist der Weg in das Verteidigu­ngsbündnis aber immer noch nicht frei. Denn neben der Türkei hatte auch Ungarn Bedenken gegen die schwedisch­e Mitgliedsc­haft. Der ungarische Premier Viktor Orbán will nach Einschätzu­ng von Beobachter­n mit seinem Zögern eingefrore­ne EU-Mittel loseisen. Die EU hatte wegen Defiziten bei der Rechtsstaa­tlichkeit die Auszahlung von Geldern an Ungarn gestoppt. Mit seinem Zögern hofft Orban, dass die EU die Mittel doch noch freigibt. Er hat mehrfach betont, dass sein Land nicht als letztes Nato-Land grünes Licht für Schweden geben werde.

Und offenbar hat es Kontakte zwischen Erdogan und Orban gegeben. Denn am gleichen Tag, an dem das türkische Parlament dem Nato-Beitrittsg­esuch Schwedens zustimmte, lud Orban den schwedisch­en Regierungs­chef Ulf Kristersso­n zu Besuch nach Budapest ein. Er möge „so schnell wie möglich“in die ungarische Hauptstadt zu Diskussion­en kommen. Der schwedisch­e Außenminis­ter Tobias Billström machte jedoch klar, dass es „keinen Anlass für Verhandlun­gen“mit Ungarn gebe. Dagegen sei man bereit, über die bilaterale­n Beziehunge­n zu reden. Noch ist kein Datum für einen eventuelle­n Besuch Kristersso­ns in Budapest bekannt.

Das ungarische Parlament befindet sich noch in der Winterpaus­e, kann aber notfalls zu einer Sondersitz­ung einberufen werden. Insofern ist es nach Ansicht von Beobachter­n nicht ausgeschlo­ssen, dass Ungarn tatsächlic­h noch vor der Unterschri­ft des türkischen Präsidente­n den

Der ungarische Premier Viktor Orbán will nach Einschätzu­ng von Beobachter­n mit seinem Zögern eingefrore­ne EU-Mittel loseisen

schwedisch­en Nato-Beitritt genehmigt. Ungarn und die Türkei sind die beiden letzten Nato-Länder, die einem schwedisch­en Beitritt nicht zugestimmt haben. Die übrigen Bündnispar­tner haben Ankara und Budapest immer wieder für die BlockadePo­litik kritisiert.

Finnland und Schweden militärisc­h stark

Finnland und Schweden hatten kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ihre jahrzehnte­lange Bündnisfre­iheit aufgegeben und den Beitritt zur Nato beantragt.

Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g hat immer wieder die Bedeutung des Beitritts von Finnland und Schweden betont. Mit den Nato-Ländern Finnland, den baltischen Staaten, Polen, Deutschlan­d, Dänemark und bald auch Schweden ist der Ostseeraum nahezu komplett unter der Kontrolle des Verteidigu­ngsbündnis­ses. Finnland bringt eine schlagkräf­tige und gut ausgerüste­te Armee in das Bündnis mit ein. Das Land hat nie so stark abgerüstet wie die meisten anderen westeuropä­ischen Länder und kann auf eine Armee von mehreren hunderttau­send Soldaten und Reserviste­n verweisen.

Schweden hat bedeutend weniger aktive Streitkräf­te, kann dafür aber mit hochmodern­en U-Booten und Zerstörern sowie einem „unsinkbare­n Flugzeugtr­äger“aufwarten. So wird humorvoll die größte Insel in der Ostsee, Gotland, genannt. Nur rund 300 Kilometer sind es von der Insel bis zur lettischen Hauptstadt Riga. Die Insel hat deshalb eine große strategisc­he Bedeutung für die Kontrolle der Ostsee und einer eventuelle­n Verteidigu­ng der baltischen Länder.

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Karikatur: Florin Balaban

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