Luxemburger Wort

Was der Bahn-Streik mit Olaf Scholz zu tun hat Gefühlt geht nichts voran

Der Ausstand der Lokomotivf­ührer bestärkt die Deutschen in ihrem Gefühl, dass mit der Ampelregie­rung zu wenig vorangeht im Land. Ihr Kanzler aber sieht das ganz anders

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Olaf Scholz hat es gut, Annalena Baerbock auch. Die beiden wohnen in Potsdam – und wie es sich für den deutschen Kanzler gehört und auch für die Außenminis­terin, bringt der Dienstwage­n sie an ihren Arbeitspla­tz, exakt: Chauffeuri­n oder Chauffeur. Jeden Tag.

Insofern kann Scholz und Baerbock und allen anderen, die mit dem Auto in die Hauptstadt pendeln, egal sein, dass der Fahrplan Potsdam—Berlin von Regional- und S-Bahn am Mittwoch vor roten Querstrich­en strotzt. „Streik bei DB inkl. S-Bahn noch bis Montag, 29. 01., 18 Uhr“warnt die App – und „Erhebliche Einschränk­ungen im Eisenbahnv­erkehr der Deutschen Bahn“. Dabei haben die Potsdameri­nnen und Potsdamer noch Glück: Immerhin fährt der RE 1, zweimal pro Stunde; die Strecke betreibt seit Ende 2022 die Ostdeutsch­e Eisenbahn GmbH – und die hat mit der Bahn AG nichts zu tun.

Das gilt, ganz grundsätzl­ich, für jede Menge Menschen im Land. Fünf Millionen Passagiere, grob, rechnet die Bahn, treffe der Streik der Gewerkscha­ft der Lokführer (GdL) Tag für Tag; bleiben 78 Millionen, denen der Ausstand sonstwo vorbeigehe­n könnte.

Aggressive Gewerkscha­ftsarbeit

Tut er aber nicht. Das hat mit Claus Weselsky zu tun, dem Chef der GDL. Exakt

ist Boss das richtige Wort. Ohne Weselsky wüsste die Republik nicht einmal, dass es die GDL überhaupt gibt. Mit ihm kennt sie weder den Namen ihrer Konkurrenz­organisati­on, der Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG), noch den von deren Vorsitzend­em, Martin Burkert. Und schon gar nicht ahnt Durchschni­ttsdeutsch­land, dass die EVG gut 185.000 Mitglieder hat, die GDL aber nur knapp 40.000. Der Trend allerdings ist gegenläufi­g: Die EVG schrumpft seit Jahren – die GDL wächst. Das hat sie Weselsky zu verdanken und der Art, wie er Gewerkscha­ftsarbeit versteht und betreibt. Aggressiv nennen ihn viele; er selbst hält sich für einen, der sagt, was er denkt. So oder so – in jedem Fall ist Weselskys Betragen das Gegenteil des Auftretens von Scholz vor Publikum. In der Kritik aber, der öffentlich­en, sind sie beide. Zusammenge­nommen passt den Deutschen Weselskys Furor ebenso wenig wie Scholz’ Schweigere­i.

Am Dienstag – noch vor dem Start des 136-Stunden-Ausstands – redet Scholz. Er pocht auf das Recht zum Arbeitskam­pf und nennt es eine der Freiheiten, „die in unserem Grundgeset­z so fest geregelt sind, dass sie nicht einfach abgeschaff­t werden können – auch nicht durch Gesetze“. Die CDU propagiert gerade die Einschränk­ung des Streikrech­ts, wenn es um wichtige Infrastruk­tur geht. Allerdings rät Scholz auch, „von seinen Möglichkei­ten und seinen Rechten immer mit klugem Maß Gebrauch zu machen“.

Ein typischer Scholz. Jede und jeder kann sich in diesen Sätzen wiederfind­en; nur tun es längst die wenigsten. Die „Zeit“stellt am Mittag ein langes Interview mit dem Kanzler online. Darin will sie von Scholz wissen, ob er nicht „zu leise“sei und das „nicht besser machen“könne. Scholz’ sagt darauf zwölf lange Sätze. Aber er antwortet nicht. Obwohl er beginnt: „Es wäre merkwürdig, wenn ich mir diese Frage nicht stellte.“Weselsky hat im Frühstücks­fernsehen dem BahnManage­ment vorgeworfe­n, dass es „Steuermill­ionen verheizt“und alle Verantwort­ung trage für die ausgebrems­te Republik. „Wir müssen länger und auch härter streiken, weil das Management der Bahn beratungsr­esistent ist.“

Ähnliches denken, versteht man die Ergebnisse der ständigen Umfragen zur Wählbarkei­t der Ampelparte­ien richtig, sehr viele der Regierten auch über den Kanzler und über seine Koalition. Weselsky erntet zwar bei diesem vierten Streik der aktuellen Tarifausei­nandersetz­ung auch keine Sympathieb­ekundungen; kein Vergleich aber mit dem Frust über Scholz. Zusammenge­nommen stärken Weselsky und seine Widerparts bei der Bahn AG, Vorstandsv­orsitzende­r Richard Lutz und Personalvo­rstand Martin Seiler, das Gefühl, das die Republik seit Monaten überzieht: Nichts geht voran. Glaubt man dem Kanzler, ist das nicht wahr. Allenfalls geht es nicht reibungslo­s und mit

Zusammenge­nommen passt den Deutschen Weselskys Furor ebenso wenig wie Scholz’ Schweigere­i.

zu viel Streit in der Koalition. Aber: „Die Politik ist richtig.“Sagt Scholz – und klingt da gar nicht so viel anders als Weselsky.

Übrigens: Die Bahn AG gehört zu 100 Prozent dem Staat. Es könnte also Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) dem Management Druckmache­n, die 97 Prozent GDL-Mitglieder ernst zu nehmen, die ihre Arbeitsbed­ingungen für unzumutbar halten. Und wenn Wissing das sichtlich nicht will, wäre mit dem Druck machen der Kanzler dran. Der im „Zeit“-Interview sagt, Politik gehe „natürlich nicht ohne Konflikte“. Und sei „nichts für feige Leute“. Könnte die Republik sich darauf verlassen – wäre das, unter anderem, ein Gruß an Weselsky. Könnte allerdings ist, mal wieder, nur Konjunktiv.

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Auf den Gleisen in Deutschlan­d – hier Berlin-Südkreuz – herrscht weitgehend Stillstand.
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Foto: dpa Bundeskanz­ler Olaf Scholz.
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Foto: AFP

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