Luxemburger Wort

Vor 1210 Jahren starb Karl der Große

Er war eine ruhmreiche Gestalt des Mittelalte­rs, dessen Reich etwa eine Million Quadratkil­ometer mit 180 Diözesen und 700 Abteien umfasste

- Von Gusty Graas

Unter den historisch­en Persönlich­keiten ragt er ganz besonders hervor: Karl der Große genießt noch heute hohes Ansehen: Seit 1950 wird fast jährlich in Aachen der Karlspreis, 1988 umbenannt in Internatio­nalen Karlspreis zu Aachen, an alle, die sich um Europa verdient gemacht haben, verliehen. Mit Joseph Bech (1960), dem Luxemburge­r Volk (1986) sowie Jean-Claude Juncker (2006) kam auch unser Land bereits dreimal zu Ehren. Karl wird als Vater Europas und ehrwürdige­r Leuchtturm Europas dargestell­t.

Kaiser Karl IV. aus dem Hause Luxemburg war in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunder­ts bestrebt, die Verehrung seines Namensvett­ers zu intensivie­ren, um die Reichstrad­ition tiefer im Bewusstsei­n der Bürger zu verankern. Dem französisc­hen König Ludwig XI. schwebte vor, den Kult um Karl zu einer Art Staatsreli­gion zu erheben. Napoleon, der 1804 die Karlsgruft in Aachen besuchte, erlag ebenfalls der Aura des Kaisers: 1806 teilte er dem Papst mit, er sei nun Karl der Große. Diese fast grenzenlos­e, vor allem in konservati­ven Kreisen gepflegte Mystifizie­rung – als Apotheose gilt seine kanonisch allerdings nicht anerkannte Heiligspre­chung im Jahre 1165 – darf aber aufgrund seiner Vita hinterfrag­t werden. Immerhin benutzte er Gewalt und Intrigen, um absoluter Herrscher eines riesigen Reiches zu werden. Details aus dem Leben Karls können der „Vita Karoli“vom Gelehrten und Laienabt Einhard (um 770-840) entnommen werden. Im Namen Karl sehen moderne Namensfors­cher die romanisier­te Form von Hariolus.

Nach dem Ableben Pippins dem Mittleren im Jahr 714 übernahm dessen Sohn Karl Martell die Regierung über das Frankenrei­ch. Vor seinem Tod im Oktober 741 hatte dieser seine Söhne Karlmann, Pippin und Grifo zu seinen Erben ernannt. Wegen Streitigke­iten mit seinem Bruder Pippin dankte Karlmann im Jahre 747 ab. Nachfolger wurde darauf dessen Sohn Drogo.

Bertrada, Gemahlin von Pippin, gebar am 2. April 748 einen Sohn, der denselben Namen wie sein Großvater Karl erhielt. Pippin wurde 751 in Soissons zum König erhoben. Mit der Absetzung Childerich­s wurden die Merowinger nach fast einem Jahrhunder­t von den Karolinger­n definitiv abgelöst. Pippin gelang zudem eine Annäherung an das Papsttum sowie die Eroberung Aquitanien­s. Er versuchte frühzeitig seinen Sohn Karl auf kommende Aufgaben vorzuberei­ten. In dem Sinne unterstand zum Beispiel das Kloster Saint-Calais bei Le Mans ab 760 auch dem Schutz Karls. 763 erhielt der künftige Kaiser einige Grafschaft­en zur Verwaltung. Indem Pippin erneut die alten Reichsteil­e Neustrien und Austrasien sowie Aquitanien teilte, regelte er seine Nachfolge. Karl wurde das Gebiet zwischen den südwestlic­hen Pyrenäen bis an den Rhein zugesproch­en.

Nach Pippins Tod am 24. September 760 musste Karl zunächst die Leitung des Frankenrei­chs mit seinem 751 geborenen Bruder Karlmann teilen. Das Frankenrei­ch folgte auf das im Jahre 476 untergegan­gene Römische Reich im Westen Europas. Der Name Franken bedeutete wohl die Mutigen, Kühnen oder Ungestümen. Wahrschein­lich handelte es sich um einen auf verschiede­ne, zwischen Rhein und Weser lebende Völker übertragen­en Sammelbegr­iff. Ein Konflikt zwischen den beiden Brüdern sollte entflammen. Allerdings starb Karlmann am 4. Dezember 771 im Alter von nur 20 Jahren. Die Aufnahme von Karlsmanns Witwe Gerberga mitsamt ihren Kindern durch den langobardi­schen König Desiderius, übrigens Karls Schwiegerv­ater, kam einer Kriegserkl­ärung an den zukünftige­n Kaiser gleich.

Konflikt mit den Sachsen

772 fand dann der erste Sachsenzug Karls statt, wobei er die bei dem Heiligtum Irminsul erbeuteten Opfergaben ins Frankenrei­ch transporti­eren ließ. Dieser Sieg erhöhte sein Ansehen. Zu Ostern 774 marschiert­e der König mit einem bedeutende­n Heer nach Rom, wo er von Papst Hadrian empfangen wurde, der Karls Funktion als Schutzherr der Ewigen Stadt unterstric­h. Neun Monate lang belagerte er zudem die Stadt Pavia, die schlussend­lich von Desiderius aufgegeben wurde. Karl führte nun ab dem 5. Juni 774 den Titel eines Königs der Franken und Langobarde­n. Im Herbst 774 startete er eine weitere Offensive gegen die Sachsen. 776 musste er einen Aufstand von opposition­ellen Langobarde­n niederschl­agen und anschließe­nd die Alpen überschrei­ten, um ebenfalls aufmüpfige Sachsen zu bekämpfen. Bei den Lippe-Quellen nahe Paderborn erklärten sich mehrere Sachsen bereit, sowohl zum Christentu­m überzutret­en, als auch Karl als ihren Herrscher anzuerkenn­en.

Ein Jahr später fiel Karl in Spanien ein. Auf seinem Rückzug erlitt er allerdings in den Pyrenäen eine Niederlage, die durch das im 12.

Jahrhunder­t aufgezeich­nete Rolandslie­d einen hohen Bekannthei­tsgrad erreichte. Karls Abwesenhei­t nutzten die Sachsen, um einen erneuten Zerstörung­szug durchzuset­zen. Unter der Führung Widukinds kam es an der Nordseite des Süntelgebi­rges zur Schlacht, die mit einer Niederlage der Franken endete. Karls Reaktion spiegelte sich im Blutbad von Verden wider, wo angeblich 4500 Sachsen ums Leben kamen. Mit der Capitulati­o de partibus wollte Karl die Christiani­sierung der Sachsen fortsetzen. Doch diese riefen immer wieder zum Widerstand auf. 783 griff Karl erneut massiv militärisc­h in Sachsen ein. Nach Widukinds Taufe im Jahre 785 schien der Konflikt mit den Sachsen nach 13 Jahren der Auseinande­rsetzungen endgültig beendet zu sein.

In der Zwischenze­it hatte Karls dritte Gemahlin Hildegard ihm die Zwillingsb­rüder Ludwig und Lothar geschenkt. Auch schlug der Frankenkön­ig 781 durch die Heirat seiner Tochter Rotrud mit dem jungen Kaiser Konstantin VI. eine Brücke zu Byzanz. Im selben Jahr wurden seine jüngeren Söhne Pippin und Ludwig aus der Ehe mit Hildegard, zu Unterkönig­en in Italien und Aquitanien von Papst Hadrian gekrönt.

787 bemächtigt­e sich Karl des Fürstentum­s von Benevent und stieß nach Bayern vor. Nachdem Herzog Tassilo III. zu lebenslang­er Klosterhaf­t verurteilt worden war, fiel Bayern an den Frankenkön­ig. Da der byzantinis­che Kaiser 787 Karl nicht zum Konzil nach Nikaia einlud, brach Letzterer die Beziehunge­n zum Kaiserreic­h ab. Karls Kriegsseri­e setzte sich allerdings fort, musste er doch 795 wieder gegen die Sachsen antreten. Mithilfe von Markgraf Erich von Friaul und Pippin konnte er die heidnische­n Awaren unterwerfe­n. Da dem Frankenkön­ig weite Teile Italiens unterstand­en, konnte

Als herausrage­ndes Ereignis gilt der Weihnachts­tag im Jahre 800, an dem Karl in der Petruskirc­he zu Rom zum Kaiser gekrönt und das neue Kaisertum begründet wurde.

Karl ebenfalls den Titel eines patricius Romanorum führen. Die letzten Endes erfolgte definitive Eroberung Sachsens im Jahre 804 mit ihren zahlreiche­n Deportatio­nen, setzte den Schlussstr­ich unter die 30-jährige Bekämpfung der Sachsen.

Nach dem Tode von Papst Hadrian im Jahr 795 kam es in Rom zu Unruhen. Sein Nachfolger Leo III. wurde misshandel­t und im Kloster San Erasmo in Monte Celio gefangen gehalten. Allerdings brachten die Verschwöre­r nicht den nötigen Mut auf, einen neuen Papst zu bestimmen, ohne den Ober- und Mittelital­ien beherrsche­nden Karl um Rat zu fragen. Leo konnte im Amt bleiben, wohl auch weil er Karl mit der Kaiserkron­e lockte. Der Papst machte keinen Hehl aus seiner Sympathie für die Franken. Im Triclinium des Lateran ließ er ein Mosaik anbringen, das unter anderem zeigt, wie der hl. Petrus König Karl ein vexillum, also eine Fahnenlanz­e, überreicht. Am 4. Juni 800 starb Karls

Frau Liutgard, die er nach dem Tod seiner vorherigen Frau Fastrada 794 geheiratet hatte. Zwei Monate später brach der zu diesem Zeitpunkt mächtigste christlich­e Herrscher auf Erden, sieht man vom oströmisch­en Kaiser ab, nach Italien auf, wo er in Mentana am 23. November feierlich empfangen wurde. Ein von Karl einberufen­es Konzil beschloss am 23. Dezember, dass Karl, König der Franken, nun Kaiser genannt werden musste. Da zu dieser Zeit bei den Byzantiner­n seit 797 mit Kaiserin Irene eine Frau den Thron besetzte, sei der Kaisername also vakant, so die Argumentat­ion für die Ernennung Karls zum Kaiser in den Annalen der nahe Worms gelegenen Abtei Lorsch. Seit dem Ikonoklasm­us von Kaiser Leo III. hatten sich die Beziehunge­n zwischen Papsttum und Konstantin­opel zudem verschlech­tert. Die Päpste Paul I. und Konstantin II. sahen im fränkische­n König den einzigen Schutz gegen ein eventuelle­s byzantinis­ches Eingreifen.

Krieg mit Byzanz

Als herausrage­ndes Ereignis gilt der Weihnachts­tag im Jahre 800, an dem Karl in der Petruskirc­he zu Rom zum Kaiser gekrönt und das neue Kaisertum begründet wurde. Schätzunge­n zufolge umfasste sein Reich zu diesem Zeitpunkt etwa eine Million Quadratkil­ometer mit 180 Diözesen, 700 Abteien sowie 750 Königsgutb­ezirken (fisci). Es sollte bis 1806 als Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation bestehen bleiben. Diese Krönung empfand Byzanz als Provokatio­n. Gegenüber seinen Untertanen erwies sich der neue Kaiser zusehends als absoluter Herrscher, verlangte er doch von ihnen, seine Befehle auszuführe­n und ihr Leben nach den Geboten Gottes auszuricht­en.

Um die verschiede­nen Amtsträger noch enger an sich zu binden, führte er die Vasallität sowie das Lehnswesen ein. Ihm gehörte das alleinige Recht der Münzprägun­g. Er umgab sich mit bedeutende­n christlich­en Gelehrten wie Alkuin oder Theodulf von Orléans. Um eine Grundausbi­ldung zu gewährleis­ten, ließ der neue Kaiser Schulen an Bischofski­rchen und Klöstern errichten. Latein entwickelt­e sich in den gebildeten Kreisen zur gebräuchli­chen Sprache und im Westen des Reiches entstand mit der karolingis­chen Minuskel eine neue Schrift. Im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht entsprach Karls persönlich­er Lebensstil nicht der christlich­en Eheauffass­ung, lebte er doch gleichzeit­ig mit mehreren Frauen zusammen!

Als 806 Venedig und Dalmatien ins Frankenrei­ch einverleib­t wurden, brach der vier Jahre dauernde Krieg mit Byzanz aus. Die Macht Karls nahm ständig steigende Dimensione­n an und seine Besitzunge­n dehnten sich auch auf byzantinis­che Territorie­n aus. Im Gegensatz zu Nikephoros I. erkannte Michael I. Karl als Kaiser an und in der Winterpfal­z Aachen akklamiert­e der byzantinis­che Gesandte diese weitreiche­nde Entscheidu­ng im Jahre 812, als er Karl mit Basileus begrüßte. Faktisch gab es nun zwei Kaiserreic­he, obwohl Karl sich nicht als Kaiser der Römer bezeichnet­e. Der Frankenher­rscher hatte den Zenit seiner Macht erreicht, da zudem der Papst seiner politische­n Herrschaft unterstand. Allerdings tauchten mit den Normannen neue Feinde auf, die das Frankenrei­ch stark bedrohten. Zudem schälte sich ein Konflikt mit seinem Sohn Pippin der Bucklige, stammend aus einer Verbindung mit einem adligen Mädchen namens Himiltrud, heraus.

Im Jahre 806 entschloss sich der fränkische Kaiser seine Nachfolge, der Divisio regnorum, in Form eines Kapitulars zu regeln. Karl der Jüngere sollte die Territorie­n von der Loire bis an den Rhein und die Gebiete bis an die Elbe und die Donau erhalten. Für Ludwig waren Aquitanien, Septimanie­n, die Provence und Teile Burgunds vorgesehen. Des Weiteren verordnete Karl, dass, falls einer seiner Söhne sterben sollte, dessen Gebiete gleichmäßi­g unter seinen beiden Brüdern aufgeteilt werden. Doch eine Frage wurde in der Divisio regnorum nicht beantworte­t: Wer sollte Karl als Kaiser folgen? Zwei seiner Söhne, Karl der Jüngere und Pippin von Italien, verstarben bereits 811 beziehungs­weise 810. Es verblieb also nur noch Ludwig von Aquitanien, den Karl im September 813 als Mitkaiser einsetzte. 811 hatte der Kaiser ebenfalls ein Privattest­ament verfasst. Am 28. Januar 814, nachdem er nahezu 46 Jahre lang als König der Franken amtiert hatte, starb Karl. Sein Leichnam wurde in der Marienkirc­he zu Aachen beigesetzt.

Karl der Große lebt im kollektive­n europäisch­en Gedächtnis weiter. Der seinen Namen tragende Preis hat eine volle Berechtigu­ng: Europa benötigt mehr denn je engagierte Menschen, die den Wert der Europäisch­en Union zu schätzen wissen. Allerdings soll bei der Vergabe nicht die Person Karls im Vordergrun­d stehen, sondern die Symbolik der Ehrung.

Bibliograf­ie:Becher Mathias, Karl der Große, Verlag C.H. Beck, 6. Auflage, München, 2014Ostrog­orsky Georg, Byzantinis­che Geschichte, S. 147 ff., Verlag C.H. Beck oHG, 3. Auflage, München 2019

 ?? Foto: Getty Images ?? Der Karlsbrunn­en in Aachen: Die Figur Karls des Großen wurde 1620 im belgischen Dinant gegossen, der Brunnen besteht dort seit 1334.
Foto: Getty Images Der Karlsbrunn­en in Aachen: Die Figur Karls des Großen wurde 1620 im belgischen Dinant gegossen, der Brunnen besteht dort seit 1334.
 ?? Foto: Getty Images ?? Die Krönung Karls des Großen, die in der Weihnachts­nacht des Jahres 800 stattfand, begründete das neue, mittelalte­rliche Kaisertum. Sehr wahrschein­lich spielt das Fresko von Raffael (1483 – 1520) – hier eine Detailansi­cht – auf den 1515 geschlosse­nen Friedensve­rtrag zwischen dem Heiligen Stuhl und Frankreich an, da Papst Leo III. (795-816) die Züge Leos X. und Karl der Große diejenigen von Franz I. trägt.
Foto: Getty Images Die Krönung Karls des Großen, die in der Weihnachts­nacht des Jahres 800 stattfand, begründete das neue, mittelalte­rliche Kaisertum. Sehr wahrschein­lich spielt das Fresko von Raffael (1483 – 1520) – hier eine Detailansi­cht – auf den 1515 geschlosse­nen Friedensve­rtrag zwischen dem Heiligen Stuhl und Frankreich an, da Papst Leo III. (795-816) die Züge Leos X. und Karl der Große diejenigen von Franz I. trägt.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg