„In meinem Zustand zu arbeiten ist nicht leicht“
Der dänische Filmemacher Lars von Trier über die dritte Staffel „Geister – Exodus“, aber auch über Trinken und schwarze Löcher in seinem Gehirn.
25Jahre nach der zweiten Staffel, die mit einem Cliffhanger endete, setzt sich der Regisseur von „Dancer in the Dark“wieder an die Spitze seiner Serie „Hospital der Geister“. Die neue Staffel läuft unter dem Namen „Geister – Exodus“und erkundet ebenfalls das Seltsame, Absurde und Schreckliche.
Lars von Trier, die erste Staffel Ihrer Serie „Hospital der Geister“lief 1994, die zweite dann 1997. Eine dritte war eigentlich nie geplant. Warum haben Sie sich schließlich doch noch umentschieden?
Wie Sie ja sicherlich wissen, hatte ich über die Jahre immer wieder mit mentalen Problemen und auch mit dem Trinken zu kämpfen. Arbeit hat mir immer geholfen, damit klarzukommen, wenn diese Probleme zu groß wurden. Aber wenn ich merke, dass so eine Phase wieder kommt, habe ich natürlich keine Zeit, erst einmal lange ein Projekt zu entwickeln. Deswegen erschien mir eine Fortsetzung dieser Serie plötzlich doch eine gute Idee zu sein. Auch weil ich den schwedischen Schauspieler Mikael Persbrandt kennen gelernt hatte.
Der nun in den neuen Folgen die Hauptrolle spielt…
Genau. Er hat mir, wie kaum jemand sonst, bei meinem Alkoholproblem geholfen. Wir wurden echte Freunde, und er sprach immer wieder davon, dass er gerne mal mit mir arbeiten wollen. Also schrieb ich nun die Hauptrolle in „Geister – Exodus“dezidiert für ihn. Schon in den früheren Folgen stand ja ein schwedischer Arzt im Zentrum, gespielt von Ernst-Hugo Järegård, der heute nicht mehr lebt. In einer der Folgen damals erfuhr man, dass er irgendwo in Schweden zehn Kinder hat. Mir gefiel der Gedanke, dass nun Mikael eines dieser Kinder spielt.
Auch zu „Geister – Exodus“mussten Sie erst einmal das Drehbuch schreiben. Wäre stattdessen nicht doch auch ein Spielfilm in Frage gekommen?
Vielleicht wenn ich eine gute Idee gehabt hätte. Aber normalerweise dauert es ja ein bisschen, bis man einen wirklich gelungenen Einfall für einen Film hat. Und nicht jede Idee zündet und erweist sich als tragend. Manchmal kann das dann schnell gehen, so wie damals bei „Dogville“. Da kam mir der Gedanke, mit Texten von Bertold Brecht als Grundlage zu arbeiten, und plötzlich war in zehn Tagen das komplette Drehbuch von rund 250 Seiten fertig. Aber darauf kann ich mich nicht verlassen. Bei einer Fortsetzung dieser alten Serie hatte ich nun wenigstens die Gewissheit, dass ich eine
Welt betrete, die ich schon kenne, und mit Themen arbeiten konnte, die ich mir nicht ganz neu ausdenken musste.
Ein Großteil des damaligen Ensembles lebt nicht mehr. War es schwierig, einerseits Elemente der früheren Episoden beizubehalten und trotzdem eine neue Geschichte zu entwickeln?
Ein Kinderspiel war das nicht. Aber in meinem Zustand zu arbeiten ist nie leicht. Ich würde jetzt aber auch nicht behaupten, dass ich riesige Schwierigkeiten gehabt hätte. Das Gute ist ja, dass ich mein eigener Boss bin. Jeden Einfall, den vielleicht andere Produzenten als zu verrückt oder weit hergeholt abgelehnt hätten, habe ich mir selbst durchgewunken.
Verglichen mit den Episoden aus den Neunziger Jahren wirkt die Fortsetzung nun fast ein bisschen weniger schockierend, irgendwie leichtfüßiger. Hatten Sie keine Lust mehr auf allzu viel Düsternis?
Nein, das war eher eine graduelle Entwicklung. Die allerersten vier Folgen damals waren die düstersten und gruseligsten. Schon im zweiten Teil entwickelten wir uns dann ja ein wenig weg von diesem Horrorfilm-artigen und wurden immer bizarrer. Da habe ich nun einfach weitergemacht. Aber ich habe dieses Mal
die Drehbücher auch so frei und ohne irgendwelche Verpflichtungen oder Konventionen geschrieben, dass die Geschichte wie von selbst entstand.
Hatte das hin und wieder zur Folge, dass Sie auch übers Ziel hinausschossen und spätestens beim Drehen merkten, dass gewisse Sachen vielleicht auf dem Papier funktionieren, aber in der Praxis gar nicht umsetzbar sind?
Als Regisseur bin ich ehrlich gesagt ein Fan von Problemen. Einfach weil ich es reizvoll finde, Lösungen zu finden. Es macht mir Spaß, Auswegen aus Situationen zu entwickeln, die erst einmal verzwickt erscheinen. Wenn mir zum Beispiel gesagt wird, dass für weitere Geister in Form von Spezialeffekten absolut kein Geld mehr da ist, dann blühe ich erst so richtig auf und denke mir eben etwas aus.
Eröffnete Ihnen die Arbeit an einer Serie eigentlich als Erzähler andere Möglichkeiten als es ein Spielfilm getan hätte?
In erster Linie nur, was die Zeit angeht. Für „Geister – Exodus“hatte ich fünf Stunden, die ich füllen konnte, und natürlich komme ich da auf ein paar Ideen, für die ich bei einem Film gar nicht den Raum gehabt hätte. Wenn ich also plötzlich abdrifte in eine schräge Richtung, weil ich einem kuriosen Einfall nachgehe, dann muss ich mir das nicht verbieten. Davon abgesehen ist vor allem der Umgang mit den Figuren ein anderer. Man kreiert eine Art Familie für das Publikum, die sie über mehrere Wochen hinweg immer wieder treffen. Da muss auch nicht bei jeder Person sofort erklärt werden, wer sie ist oder warum sie auftaucht.
Apropos Familie: Sie haben über die Jahre eine Art Filmfamilie um sich herum aufgebaut; mit vielen Menschen arbeiten Sie immer wieder. Dazu gehört auch Udo Kier, der nun auch in „Geister – Exodus“wieder mit dabei ist. Erinnern Sie sich noch an Ihre allererste Begegnung?
Na klar, das war in Mannheim, bei einem Filmfestival in den Achtziger Jahren. Ich war damals mit „Element of Crime“dort und Udo mit einem Kurzfilm, wenn ich mich richtig erinnere. Wir zogen abends um die Häuser und guckten uns an, was Mannheim so zu bieten hat. Ich war völlig fasziniert, denn ich war ein großer Fassbinder-Fan – und hoffte natürlich, dass Udo aus dem Nähkästchen plaudern würde.
Tat er das dann auch?
Natürlich! Er hatte mit Fassbinder ja mehr oder weniger drei Jahre lang zusammengelebt. Zumindest erzählte er mir das so. Ich weiß noch genau, wie er mir davon berichtete, dass er damals immerzu kochte. Aber wenn Fassbinder abends nach Hause kam, sagte der meistens: Ich habe keine Lust auf dein Scheiß Essen! Udo jammerte dann, dass er doch aber den ganzen Tag in der Küche gestanden habe, doch Fassbinder pflaumte ihn nur unverschämt an und ging dann saufen in eine Bar. So sah anscheinend ihr Alltag aus. Solche Geschichten von Udo zu hören, liebe ich bis heute. Es ist großartig, mit jemandem befreundet zu sein, der einen meiner Helden aus nächster Nähe kannte.
Ihre Fassbinder-Verehrung scheint nun in „Geister – Exodus“nicht unbedingt durch. Aber man meint ein wenig Ingmar Bergmann zu erkennen, und nach wie vor eine gewisse Inspiration durch David Lynch und „Twin Peaks“, richtig?
: Als Regisseur bin ich ehrlich gesagt ein Fan von Problemen Lars von Trier
Ich liebe natürlich die Russen, Dostojewski und Co. Aber ehrlich gesagt auch Thomas Mann und Proust. Lars von Trier
Vor allem haben mich Romane inspiriert, würde ich sagen. Immer schon. Ich liebe natürlich die Russen, Dostojewski und Co. Aber ehrlich gesagt auch Thomas Mann und Proust. All diese Autoren erscheinen so klug, so als wüssten sie alles. Tatsächlich allerdings schreiben sie einfach immer wieder über die gleichen Dinge, mit denen sie sich bestens auskennen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man sie zu diversen Themen hätte befragen können, zu denen sie nicht das Geringste zu sagen gehabt hätten. Der Roman als Format hat mich jedenfalls seit jeher fasziniert, dieses ausführliche, große Erzählen, in dessen Kern letztlich nur ein Thema oder eine Fragestellung steht. Daran habe ich mich in meiner Arbeit meistens orientiert, nicht zuletzt bei „Nymphomaniac“, wo ich aus einem Thema, das mich damals interessierte, sogar zwei Filme gemacht habe.
Der Kino-Zweiteiler damals machte nicht zuletzt durch pornografische Szenen von sich reden. Aber auch schon davor galten Sie vielen als Provokateur, der das Publikum schocken will. Was Sie immer von sich gewiesen haben…
Vielleicht zu Unrecht. Aber ich komme nun einmal aus einer Generation, wo Provokation nicht unbedingt als etwas Negatives gesehen wurde. Im Gegenteil! Wenn wir früher jemanden als Provo bezeichneten, dann war das ein Kompliment. Freies Denken und Meinungsfreiheit, das waren die höchsten Güter, und ich glaube heute noch daran, dass es nichts Wichtigeres in unserer Gesellschaft gibt. Viel mehr kann ich dazu gerade gar nicht sagen. Tut mir leid, dass mein Hirn nicht mehr so mitmacht, wie ich es mir wünschen würde.
Dass Sie angeschlagen sind, ist nicht zu übersehen. Hoffen Sie trotzdem darauf, vielleicht noch ein weiteres Mal hinter der Kamera stehen zu können, sofern es Ihre Gesundheit zulässt?
Ich habe keine Ahnung, wie viele schwarze Löcher mittlerweile in meinem Hirn zu finden sind. Und natürlich merke ich, dass ich langsamer bin als früher. Auch mein Englisch ist schwächer als früher. Aber eigentlich glaube ich noch daran, dass ich noch einen Film in mir habe. Ich habe auch schon angefangen, daran zu arbeiten. Mal sehen, ob dabei etwas herauskommt, das auch was taugt. Wenn nicht, verspreche ich, dass ich mich endgültig zur Ruhe setzen werde.