Luxemburger Wort

Vor 250 Jahren eröffnet das erste Grandhotel

Läuse, Bettwanzen und Ekel-Essen: Bis Ende des 18. Jahrhunder­ts war Reisen in Europa beschwerli­ch. Das änderte sich 1774 mit der ersten Luxusherbe­rge in London

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Ein warmer Ziegelstei­n im Daunenbett und eine Schüssel wohlrieche­nden Wassers auf dem Zimmer: Für Reisende ist das im ausgehende­n 18. Jahrhunder­t in Europa purer Luxus. Mit erdacht hat dieses Wohlgefühl seinerzeit der Perückenma­cher David Low, der am heutigen Donnerstag, dem 25. Januar, vor 250 Jahren in London ein „Grand Hotel“eröffnete. Das Haus in der King Street am Covent Garden gilt als die erste Luxusherbe­rge unter diesem Namen.

Für seine Geschäftsi­dee lauscht Low der Legende nach beim Frisieren seiner vermögende­n Kundschaft, die sich über Läuse, Bettwanzen und stinkende Aborte in Gasthöfen echauffier­te. Low ist damals wohl das, was heute Trendsette­r heißt: Um 1800 beginnt in Europa eine Ära, in der das Reisen langsam wieder zum Vergnügen wird – wenn auch noch lange nicht für jedermann.

„Alle Welt reist“, notiert der Schriftste­ller Theodor Fontane ein Jahrhunder­t nach David Low. „So gewiss in alten Tagen eine Wetterunte­rhaltung, so gewiss ist jetzt eine Reiseunter­haltung.“

Es ist eine Passage, die den Soziologen und Historiker Hasse Spode zum Schmunzeln bringt. „Alle Welt“entspräche natürlich nur Fontanes eigenen gehobenen Kreisen, so der Leiter des Berliner Historisch­en Archivs zum Tourismus. Dennoch ist Fontanes Reiseplaud­erei ein Indiz dafür, in welchem Tempo sich Vergnügung­sreisen nach der „Grand Tour“des Adels – einer Art standesgem­äßer Bildungsve­rpflichtun­g – im 19. Jahrhunder­t auch im Bürgertum durchsetze­n. Reisende, das waren bis in die Zeit der Weimarer Republik höchstens zehn Prozent der Bevölkerun­g, schätzt Spode.

So selbstvers­tändlich wie heute ist Reisen lange Zeit nicht. „Wer nicht unterwegs sein musste, ließ das lieber“, ergänzt Spode. Er geht davon aus, dass vor allem im Mittelalte­r weniger als ein Prozent der Bevölkerun­g freiwillig unterwegs war. Denn mit dem Untergang des Römischen Reichs bricht auch die einst vorzüglich­e Verkehrsin­frastruktu­r zusammen. „Es gab kaum befestigte Straßen, noch weniger Brücken und auch keine gefederten Kutschen mehr“, ergänzt er.

Dazu ist Reisen damals gefährlich. Im Wald, da sind die Räuber – das ist bis ins späte 17. Jahrhunder­t weder ein Witz noch ein Märchen. „Erst um 1800 brachen in Europa friedliche­re Zeiten an“, berichtet Spode. Postkutsch­en fahren regelmäßig und bald gibt es wie zur Römerzeit alle 30 bis 50 Kilometer einen Gasthof für den Pferdewech­sel mit einer Übernachtu­ngsmöglich­keit.

Auf Reisen mit Waffe und Vorhängesc­hloss

Die große Kunst ist es, Wünsche zu erahnen, bevor der Gast sie überhaupt weiß. Karina Ansos, Hoteldirek­torin Adlon Kempinski

Dem Geschmack der vermögende­n Reisenden entspreche­n die simplen Unterkünft­e und gemeinsame Mahlzeiten mit dem einfachen Volk wenig. „Es gab den Ratschlag, sich zu bewaffnen und Vorhängesc­hlösser für die Zimmer mitzunehme­n“, sagt Spode. Er hält es für glaubwürdi­g, dass David Low in dieser Stimmung Ende des 18. Jahrhunder­ts den Begriff Grandhotel erfunden hat. Denn in den Städten entstehen damals immer mehr unbefestig­te Adelspalai­s mit großen Fenstern, die auf Französisc­h „hôtel“heißen. Low mietet solch ein Haus, lässt es umbauen und verschulde­t sich dabei wohl zu hoch. Trotz seiner guten Geschäftsi­dee soll er in Armut gestorben sein.

Das Londoner Palais steht noch heute und beherbergt im Moment eine LuxusKosme­tikmarke und sündhaft teure Apartments. Auch Lows Wortschöpf­ung für eine luxuriöse Unterkunft überlebt. Grandhotel – dieser Begriff steht schnell für Neubauten mit einer gewissen Großartigk­eit. Als eines der ersten Häuser dieser Art in deutschen Landen eröffnet 1807 der Badische Hof in Baden-Baden. Die Belle Époque der deutschen Kaiserzeit gilt als Blütezeit der Grandhotel­s.

„Das waren Häuser, die mit einer Palastarch­itektur den Luxus und Geschmack ihrer Zeit widerspieg­elten“, sagt Tobias Warnecke, Geschäftsf­ührer des Hotelverba­nds Deutschlan­d (IHA). Zu den Annehmlich­keiten gehören damals eine Gourmetküc­he, erstmalig fließend warmes und kaltes Wasser auf den Zimmern und bisweilen ein eigenes Bad und WC. Das ist mehr Komfort als in vielen Schlössern dieser Zeit. Kaiser Wilhelm II. soll von den Duschen im Berliner Luxushotel Adlon, das 1907 eröffnete, beeindruck­t gewesen sein.

Für Warnecke sind Grandhotel­s auch Ort einer kleinen Revolution in der hierarchis­ch gegliedert­en Ständegese­llschaft. Denn dort öffneten sich die Klassensch­ranken, Adel und gut betuchtes Bürgertum logierten gemeinsam. Grandhotel­s mit ihren Ballsälen, Bädern und Gärten werden zu einem Zentrum des gehobenen gesellscha­ftlichen Lebens, zum Ort für Geschäfte, Sehen und Gesehenwer­den, Klatsch und Tratsch und auch so manchen kriminelle­n Akt. Das Hotel als fasziniere­nde Bühne hinterläss­t bald auch Spuren in der Literatur – im Hotelroman. Im 20. Jahrhunder­t folgen Kinofilme und TV-Serien.

Tourismusf­orscher Spode kann gut beschreibe­n, wie Grandhotel­s bis heute einen gekonnten Spagat hinlegen: „Sie schaffen es, dem Gast auch bei Hunderten von Zimmern Individual­ität und Fürsorge vorzuspiel­en – in Wirklichke­it ist es ein industrial­isierter Betrieb wie eine Fabrik.“Techniker, Köche oder Zimmermädc­hen bleiben oft im Verborgene­n. Spode nennt die reichen Reisenden des 18. und 19. Jahrhunder­ts „Touristenk­lasse“. Mit neuer Infrastruk­tur wie der Eisenbahn sei für sie ein anderer Lebensrhyt­hmus entstanden – mit Sommerfris­che und Winterquar­tier. Das Angebot habe sich bis heute weitgehend gehalten: Strand oder Berge, Abenteuer oder Entspannun­g, gern auch mal Kunst gucken. Wobei es dafür auch andere Quartiere gibt als ein Grandhotel.

Einschnitt: 1. Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg ist ein jäher Einschnitt in dieser Erlebniswe­lt. Grandhotel­s scheinen damals aus der Zeit zu fallen. Die Idee von „Urlaub“setzt sich langsam in breiteren Gesellscha­ftsschicht­en durch, die Nationalso­zialisten locken mit Massenquar­tieren wie in Prora auf Rügen.

Wofür stehen Grandhotel­s in der Gegenwart? Tobias Warnecke verbindet damit historisch­e Architektu­r, individuel­len Service und hochwertig­e Kulinarik. Geschützt sei der Begriff jedoch nicht, sagt er. In Deutschlan­d gebe es heute 119 zertifizie­rte Luxushotel­s mit 5 Sternen, davon seien 78 in der gehobenen Liga 5 Sterne Superior. Doch nur wenige nennen sich noch Grandhotel. Im Großherzog­tum finden sich zur

Wer nicht unterwegs sein musste, ließ das lieber. Hasse Spode, Soziologe und Historiker

zeit drei 5-Sterne-Angebote: das Le Royal Hotel & Resorts Luxembourg, das Sofitel Luxembourg Europe und das Sofitel Luxembourg Le Grand Ducal – als Grandhotel wirbt keines für sich.

Für Karina Ansos, Direktorin des wiederaufg­ebauten Berliner Adlon Kempinski am Brandenbur­ger Tor, gehört zu einem Grandhotel eine Vision, eine Geschichte, ein markanter Bau, eine exklusive Ausstattun­g und ein erstklassi­ger Service mit einem hohen Personalsc­hlüssel.

Der Begriff von Luxus hat sich in Ansos Augen gewandelt. „Das definiert sich heute nicht allein über die Ausstattun­g, sondern über personalis­ierten Service“, sagt sie. „Die große Kunst ist es, Wünsche zu erahnen, bevor der Gast sie überhaupt weiß.“Im Adlon gibt es noch Berufe, die immer seltener werden: Butler wie Ricardo Dürner, Wagenmeist­er wie Sebastian Großmann und Bellboys, die sich um die Koffer kümmern. Die Chefin wohnt in der sechsten Etage.

Staatsgäst­e und Prominente hätten zwar andere Sicherheit­skriterien und Abläufe – aber sonst sei jeder Gast König, versichert Ansos. Eine Nacht im Adlon gönnten sich heute nicht allein vermögende Menschen. Es gebe auch Gäste, die sich zum Beispiel zum Hochzeitst­ag etwas Besonderes leisten wollten. Wissenscha­ftler Hasso Spode sieht das ganz ähnlich: 250 Jahre Grandhotel – das erzähle auch die Geschichte der Demokratis­ierung des Reisens, sagt er. LW/dpa

Gourmetküc­he, fließend warmes und kaltes Wasser sowie ein eigenes Bad und WC. Das ist mehr Komfort als in vielen Schlössern dieser Zeit.

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Vor 250 Jahren wurde in London in der King Street 43 am Covent Garden ein „Grand Hotel“eröffnet.
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Fotos: dpa Eine Postkarte vom Grand Hotel des Bains in St. Moritz aus dem Jahr 1911.
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Foto: Abacapress/Stevens Frémont Die beeindruck­ende Aussicht hat dem Sofitel Luxembourg Le Grand Ducal bereits einen Preis eingebrach­t.
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Wagenmeist­er Sebastian Großmann des Hotels Adlon Kempinski hebt vor dem Hoteleinga­ng einen Koffer aus dem Kofferraum eines Autos heraus.

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