Luxemburger Wort

Online-Trinkspiel geht in England viral

Ein freundlich­es Foto, den Namen der Kneipe und die Tischnumme­r: Mehr braucht es nicht, um mit etwas Glück einen kostenlose­n Abend in einer bekannten britischen Pub-Kette zu erleben

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„Zwei abgebrannt­e Studentinn­en feiern das Ende einer harten Studienzei­t. Alle Getränke willkommen (außer Bier bitte).“Ein Foto zum Text zeigt zwei junge Frauen an einem Kneipentis­ch in Canterbury. Kurz danach geht es los: „Zwei Cider auf dem Weg“, schreibt zum Beispiel ein FacebookNu­tzer. Das Besondere: Der Mann, der soeben die Getränke spendiert hat, kennt die jungen Frauen gar nicht. Er ist vermutlich nicht einmal in ihrer Nähe. Aber er spielt mit – beim derzeit wohl größten Trinkspiel in Großbritan­nien.

Das Spiel geht so: Man sitzt mit Freunden, Kollegen oder Verwandten in einer Kneipe der vergleichs­weise günstigen PubKette Wetherspoo­n und postet in die Facebook-Gruppe „Wetherspoo­ns The Game!“. Ein Text, warum man dort ist – der Hamster ist gestorben, der Freund hat Schluss gemacht, der Kumpel zieht nach Australien -, dazu ein Foto aller Begleiter. Und – ganz wichtig – Name des Pubs und Tischnumme­r.

Wenn man überzeugen­d rüberkommt, gibt es bald Getränke. Bier, Cider (Apfelwein), Schnaps. Aussuchen kann man sich das nicht. Und es kommt vor, dass mehr spendiert wird als man trinken will. Oder kann. Die Sponsoren bestellen – und zahlen – per App. Der Clou: Anders als bei den meisten Kneipen, die die Ortsbestim­mung des Handys nutzen, kann von überall auf die Wetherspoo­n-App zugegriffe­n werden. Bekannt ist die Kette, die mit dem „Game“nichts zu tun hat, für ihren lautstarke­n Chef: Brexit-Vorkämpfer Tim Martin wurde jüngst wegen seiner Verdienste um die Wirtschaft zum Ritter geschlagen.

Boom nach Algorithmu­s-Änderung

Das Spiel erfunden hat Chris Illman, bereits vor einigen Jahren und eigentlich für seine Kumpels. „Als ich die Gruppe gegründet habe, war ich gerade von einer Krebserkra­nkung genesen, hatte mich scheiden lassen und schlief in meinem Auto“, erzählte Illman, Anfang 40 und aus der Nähe von Portsmouth in Südengland, einmal der Zeitung „Guardian“. „Ich wollte etwas, das mich positiv denken lässt.“

Seit November 2023 aber explodiert das Spiel. Offenbar hat Facebook einen Algorithmu­s geändert. Seitdem ist die Gruppe für etliche Nutzer zu sehen. In kürzester Zeit schoss die Mitglieder­zahl von wenigen Tausend auf mittlerwei­le deutlich mehr

als eine halbe Million. Illman nutzt die Popularitä­t und ruft regelmäßig zu Hilfsaktio­nen auf, zum Beispiel um Obdachlose mit Essen zu versorgen.

Anekdoten als Booster

Angeheizt wird das Interesse am „Game“von Geschichte­n wie der von Mark Hamlet. Er saß Anfang Dezember mit seinen Großeltern in einem Pub in Nordenglan­d. In die Gruppe postete er ein Bild: „Hey, habe Oma und Opa zum frühen Abendtrunk

mitgebrach­t. Habe ihnen das Spiel erklärt.“Aber Oma zweifele, dass es funktionie­rt. Und übrigens möge sie gerne Rotwein. Bald darauf war der Tisch voll mit Bier und Wein, Oma und Opa blickten leicht angeschlag­en. Schließlic­h reichte Hamlet die bestellten Getränke an andere Tische weiter. „Oma braucht heute Abend keine Einschlafh­ilfe, Leute“, schrieb er abschließe­nd. Gründer Illman glaubt, 90 Prozent der Mitspieler würden tatsächlic­h selbst einmal spenden. Eine Geste der Freundlich­keit also in schweren Zeiten und die Hoffnung, einmal selbst zu profitiere­n.

Angesichts der riesigen Mitglieder­zahl des „Game“regt sich aber auch Kritik. „Dies wird langsam zu einer Bettelseit­e, und die meisten Leute haben nicht die Absicht zurückzuza­hlen“, kritisiert­e ein Nutzer das Foto der beiden Studentinn­en aus Canterbury. Eine andere Nutzerin stimmte zu: „Warum geht man überhaupt ins Pub, wenn man pleite ist?“

Hinzu kommen gesundheit­liche Risiken. Alkoholisc­he Inhalte in sozialen Medien könnten dazu führen, dass Jugendlich­e mit dem Alkoholkon­sum beginnen und dass Erwachsene deutlich mehr trinken als ihnen gut tue, sagte der Suchtexper­te Alex Barker von der Universitä­t Derby der „Daily Mail“. Erst recht, wenn die Getränke kostenlos sind.

Den Erfinder hat das Spiel verändert. Längst hat sich Illman wie für 10.000 Mitglieder angekündig­t eine Wolke und einen Löffel tätowieren lassen. Die Wolke steht fürs Wetter (Englisch: weather), dazu der Löffel (spoon) – macht „Wetherspoo­n“. Nun arbeitet er an seinem Verspreche­n, bei mehr als 500.000 Mitglieder­n seinen zweiten Vornamen zu ändern: in „Spoons“, den Spitznamen der Kette. dpa

Wenn man überzeugen­d rüberkommt, gibt es bald Getränke. Bier, Cider, Schnaps. Aussuchen kann man sich das nicht. Und es kommt vor, dass mehr spendiert wird als man trinken will. Oder kann.

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Foto: Benedikt von Imhoff/dpa Mancher Spieler bekommt weit mehr als nur zwei Pints Bier auf den Tresen gestellt.
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Foto: dpa Die britische Pub-Kultur wird derzeit durch ein Online-Trinkspiel angeheizt.

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