Die Follower-Spende des Staates an Parteien
Mehr Reichweite auf Kosten der Steuerzahler generieren – um dann die Partei davon profitieren zu lassen? Wie ehemalige Regierungspolitiker eine Lücke ausnutzen könnten
Stellen Sie sich vor: Ein Minister lässt sein Social-Media-Konto gänzlich von Mitarbeitern seines Ministeriums betreuen. Steuergelder werden also für die Kommunikation des Ministers aufgebracht. Ob nach einem öffentlichen Auftritt, einem Treffen mit einem ausländischen Regierungschef oder der Einweihung einer neuen Infrastruktur – an Ort und Stelle steht ein Mitarbeiter und dokumentiert die offiziellen Termine des Ministers. Innerhalb einiger Monate sammelt er mit seiner Online-Präsenz über 1.000 Follower. Dass Minister in Zeiten von Social Media den direkten, ungefilterten Umgang mit Bürgern suchen, ist 2024 schließlich normal.
Dann geht die Legislaturperiode zu Ende. Es steht ein harter Wahlkampf an. Um kein Aufsehen zu erregen und den Verdacht zu erwecken, dass mit staatlichen Mitteln Parteiwerbung auf offiziellen Konten betrieben wird, stellt der Minister seine Online-Aktivität ein. Am Wahlabend kassieren seine Partei und er eine Wahlschlappe. Er muss den Chefsitz in seinem Ministerium freimachen. Sein Social-Media-Konto, dessen Reichweite mit staatlichen Geldern ausgeweitet wurde, widmet er privat um. Heißt: Er übernimmt die Zugangsdaten des Kontos und postet parteipolitische Inhalte. Die Follower kommen jetzt seiner Partei zugute.
Hier die Frage: Darf er das? In Luxemburg schon. Denn die Übergabe von staatlich betreuten Social-Media-Konten ist hierzulande nicht geregelt. Weder gesetzlich noch durch eine Richtlinie. Das bestätigt das Staatsministerium dem „Luxemburger Wort“auf Nachfrage. Einziger Anhaltspunkt für Minister auf der Suche nach dem richtigen Umgang mit den sozialen Medien ist der gemeinsam von Informations- und Presseamt (SIP) und Zentrum für Informationstechnologien des Staates (CTIE) konzipierte, 56 Seiten starke Leitfaden mit dem Titel „Guide d‘utilisation des médias sociaux. Pour une bonne pratique!“.
Myspace, Dailymotion, Tumblr – Leitfaden für Politiker ist veraltet
Darin wird in einer Einleitung die Notwendigkeit nach Richtlinien damit gerechtfertigt, dass der „massive Rückgriff auf diese Kommunikationsinstrumente“eine „steigende Nachfrage seitens der Öffentlichkeit danach, informiert und einbezogen zu werden“zufolge hat. Jede staatliche Online-Präsenz vermittle ein bestimmtes Bild. „Dieses Bild muss gepflegt werden“, heißt es weiter.
Die darauffolgenden Kapitel führen den Leser in die Basics der Online-Kommunikation ein: Wer ist meine Zielgruppe? Wen möchte ich erreichen? Was ist meine Strategie? In welcher Sprache soll ich kommunizieren? Was ist ein soziales Medium? Dass gerade in dem einführenden Kapitel zu den beliebtesten Social-Media-Apps noch die Rede von Viadeo, Tumblr, Dailymotion, Myspace oder Youmake.tv die Rede ist, mag zuerst überraschen. Lässt sich allerdings mit dem Veröffentlichungsdatum des Leitfadens erklären: 2014. Die Richtlinien sind also mittlerweile zehn Jahre alt. Kurz: Das Dokument ist veraltet. Aus dem Staatsministerium heißt es jedoch aktuell, dass ein neuer Leitfaden aktuell nicht in Ausarbeitung sei.
Um zur Ausgangsgeschichte des Ministers zurückzukehren: Der Leitfaden mahnt zwar davor, in Wahlkampfzeiten das Parteipolitische vom Staatlichen zu trennen – es solle neutral kommuniziert werden. Eine Empfehlung, was mit den Social-Media-Konten der Minister nach Ende ihre Regierungszeit passieren soll, ist nicht darin enthalten. Und das, obwohl die private Umwidmung von staatlichen Accounts eine Grauzone bildet.
: Jede staatliche OnlinePräsenz vermittle ein bestimmtes Bild. „Dieses Bild muss gepflegt werden.“Zitat aus dem Leitfaden „Guide d‘utilisation des médias sociaux. Pour une bonne pratique!“
In den USA besitzt die Archivierung von Postings eine legale Basis
Wer sich danach erkundigen mag, wie dies in anderen Ländern gehandhabt wird, wird nur schwer fündig. Ein bekanntes Beispiel sind die USA. Dort fallen Postings von ehemaligen Präsidenten unter den Presidential Records Act (PRA). Dem PRA nach sollen alle Formen von Kommunikationen des Präsidenten und seiner Mitarbeiter archiviert werden. Zuständig dafür ist die National Archives and Records Administration (NARA).
Eingeführt wurde das Prozedere seit der Präsidentschaft Barack Obamas, dem ersten Social-Media-Präsidenten der USA. Allein auf Twitter mussten laut NARA fast 28.000 Tweets der Obama-Administration archiviert werden. Obamas Nachfolger, Donald Trump, verpasste es, seine Social-Media-Postings zu sammeln und für die Archivierung zu speichern. Was eigentlich gegen das PRA verstößt. In den USA stellt sich jedoch die Frage nach der privaten Umwidmung von Konten nicht. Es gibt dafür eine legale Basis.
Deutsches Negativbeispiel: Minister-Follower als Parteispende rechtswidrig?
Wer nach einem Negativbeispiel dafür sucht, zu welchen Problemen die private Umwidmung öffentlicher Konten führen kann, muss den Blick nach
Deutschland richten. Als die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bei den Landtagswahlen in Hessen vorigen Herbst als Spitzenkandidatin für ihre Partei antrat, widmete sie ihr X-Account privat um. Das Konto, das bisher vom Ministerium betrieben wurde, übernahm Faeser für die Wochen im September vor der Landtagswahl in Hessen.
Ein Vorgehen, das von dem in Rechtsfragen spezialisierten Portal „Legal Tribune Online“kritisiert wurde und insgesamt für Aufsehen sorgte. Denn nach Ihrer Nominierung als Innenministerin 2021 infolge des SPDSiegs bei den Bundestagswahlen, hat sich die Anzahl ihrer Follower innerhalb kürzester Zeit fast verdreifacht – nach drei Wochen von 14.000 auf 50.000. Ihre Reichweite hat sie somit aufgrund ihres Amtes und staatlicher Mittel des Ministeriums erweitert. Die private Umwidmung sei demnach rechtswidrig, da eine Fortführung eines staatlichen Accounts mit einer Parteispende einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft an eine Partei gleichzusetzen sei.
Dass Minister mit ihrem Amt ihre Reichweite erweitern, ist eine Realität. Die Hemmung, einem Regierungsmitglied, statt einer Parteipolitikerin auf Social Media zu folgen, ist bekanntlich niedriger und führt zu höherer Reichweite – von der die Partei Faesers profitiert hat.
Minister nutzen staatliche Konten weiter
Wie heikel auch in Luxemburg das Thema sein kann, zeigen die Antworten diverser Ministerien auf Anfragen bezüglich der Nutzung von Social Media durch ehemalige Minister. Vier Ministerien antworten, dass die Konten ihrer jeweiligen Minister teilweise von Mitarbeitern betreut wurden: François Bauschs (Déi Gréng) Armeeministerium, Paulette Lenerts (LSAP) Gesundheitsministerium, Claude Turmes‘ Energieministerium (Déi Gréng) und Franz Fayots (LSAP) Wirtschaftsministerium. Die restlichen Ministerien antworten alle, die Konten seien vom Minister selbst „gefüttert“worden (Anm. d. Red.: Mit Ausnahme des Justizministeriums und des Klima- und Umweltministeriums, von denen bis Redaktionsschluss keine Rückmeldung kam).
In der Antwort des Energieministeriums und des Wirtschaftsministeriums betonen Ministeriums-Mitarbeiter jedoch: „Während der Amtszeit des Ministers wurden keine Posts seiner Minister-Accounts gesponsort. Es wurden auch keine externen Firmen damit beauftragt, Material für seine Minister-Accounts zu erstellen.“Ebenso François Bausch und Paulette Lenert geben auf Nachfrage des „Luxemburger Wort“an, keinen „sponsored content“auf ihren staatlichen Konten veröffentlicht zu haben. „Dafür habe ich hauptsächlich mein privates Facebook-Account genutzt, auf den ich selber Zugang habe“, ergänzt Lenert.
Heute hat die ehemalige Gesundheitsministerin jedoch wie die anderen drei Minister die Konten, die von Mitarbeitern teilweise betreut wurden, privat umgewidmet. Paulette Lenert behält somit ihre 6.000 Follower auf X, Fayot seine 5.700 Follower, Claude Turmes seine 11.200 Follower und François Bausch seine fast 2.500 Follower. Hier gilt es jedoch zu unterscheiden: Turmes und Fayot betrieben ihre X-Konten bereits vor ihrer Minister-Zeit. Lenert und Bausch hingegen übernehmen ein Konto, das gänzlich von Mitarbeitern eröffnet und betreut wurde.
Bausch löscht Minister-Konto auf X
Auf Nachfrage betonen beide, es habe nach ihrem Regierungsaus keine Richtlinien gegeben, wie mit den Konten umzugehen ist. Beide hätten die Konten übernommen und demnach den Zugang angepasst. Sie betreiben diese heute privat. „Den Account hätt duerno entweder kënnen zougemaacht ginn, oder vu mir selwer bedriwwen ginn. Ech hunn dunn decidéiert e selwer ze geréieren.“, schreibt Bausch dem „Wort“auf Nachfrage. 30 Minuten später landet eine weitere E-Mail des ehemaligen Ministers beim „Wort“. Wegen der Übernahme Twitters durch Elon Musk überlege Bausch sowieso, sein X-Konto zu löschen, „sodass die Frage sich für mich nicht mehr stellen wird“. 20 Minuten später die nächste E-Mail: „Nach eemol zu Ärer Info: Dat ass elo geschitt.“Tatsächlich: Ein Blick auf den Kurznachrichtendienst X zeigt: Bausch hat sein Konto seit der Unterhaltung gelöscht.
Auf eine Nachfrage des „Wort“an die Kommunikationsstelle der Regierung kam bis Redaktionsschluss keine Antwort darauf, ob bereits Gespräche im Gange seien oder Vorschläge gemacht worden, die Grauzone zu beseitigen und die Richtlinien von 2014 zu modernisieren.
: Den Account hätt duerno entweder kënnen zougemaacht ginn, oder vu mir selwer bedriwwen ginn. Ech hunn dunn decidéiert e selwer ze geréieren. François Bausch, Grüner Abgeordneter und ehemaliger Armee- und Transportminister