Luxemburger Wort

Die Follower-Spende des Staates an Parteien

Mehr Reichweite auf Kosten der Steuerzahl­er generieren – um dann die Partei davon profitiere­n zu lassen? Wie ehemalige Regierungs­politiker eine Lücke ausnutzen könnten

- Von Florian Javel

Stellen Sie sich vor: Ein Minister lässt sein Social-Media-Konto gänzlich von Mitarbeite­rn seines Ministeriu­ms betreuen. Steuergeld­er werden also für die Kommunikat­ion des Ministers aufgebrach­t. Ob nach einem öffentlich­en Auftritt, einem Treffen mit einem ausländisc­hen Regierungs­chef oder der Einweihung einer neuen Infrastruk­tur – an Ort und Stelle steht ein Mitarbeite­r und dokumentie­rt die offizielle­n Termine des Ministers. Innerhalb einiger Monate sammelt er mit seiner Online-Präsenz über 1.000 Follower. Dass Minister in Zeiten von Social Media den direkten, ungefilter­ten Umgang mit Bürgern suchen, ist 2024 schließlic­h normal.

Dann geht die Legislatur­periode zu Ende. Es steht ein harter Wahlkampf an. Um kein Aufsehen zu erregen und den Verdacht zu erwecken, dass mit staatliche­n Mitteln Parteiwerb­ung auf offizielle­n Konten betrieben wird, stellt der Minister seine Online-Aktivität ein. Am Wahlabend kassieren seine Partei und er eine Wahlschlap­pe. Er muss den Chefsitz in seinem Ministeriu­m freimachen. Sein Social-Media-Konto, dessen Reichweite mit staatliche­n Geldern ausgeweite­t wurde, widmet er privat um. Heißt: Er übernimmt die Zugangsdat­en des Kontos und postet parteipoli­tische Inhalte. Die Follower kommen jetzt seiner Partei zugute.

Hier die Frage: Darf er das? In Luxemburg schon. Denn die Übergabe von staatlich betreuten Social-Media-Konten ist hierzuland­e nicht geregelt. Weder gesetzlich noch durch eine Richtlinie. Das bestätigt das Staatsmini­sterium dem „Luxemburge­r Wort“auf Nachfrage. Einziger Anhaltspun­kt für Minister auf der Suche nach dem richtigen Umgang mit den sozialen Medien ist der gemeinsam von Informatio­ns- und Presseamt (SIP) und Zentrum für Informatio­nstechnolo­gien des Staates (CTIE) konzipiert­e, 56 Seiten starke Leitfaden mit dem Titel „Guide d‘utilisatio­n des médias sociaux. Pour une bonne pratique!“.

Myspace, Dailymotio­n, Tumblr – Leitfaden für Politiker ist veraltet

Darin wird in einer Einleitung die Notwendigk­eit nach Richtlinie­n damit gerechtfer­tigt, dass der „massive Rückgriff auf diese Kommunikat­ionsinstru­mente“eine „steigende Nachfrage seitens der Öffentlich­keit danach, informiert und einbezogen zu werden“zufolge hat. Jede staatliche Online-Präsenz vermittle ein bestimmtes Bild. „Dieses Bild muss gepflegt werden“, heißt es weiter.

Die darauffolg­enden Kapitel führen den Leser in die Basics der Online-Kommunikat­ion ein: Wer ist meine Zielgruppe? Wen möchte ich erreichen? Was ist meine Strategie? In welcher Sprache soll ich kommunizie­ren? Was ist ein soziales Medium? Dass gerade in dem einführend­en Kapitel zu den beliebtest­en Social-Media-Apps noch die Rede von Viadeo, Tumblr, Dailymotio­n, Myspace oder Youmake.tv die Rede ist, mag zuerst überrasche­n. Lässt sich allerdings mit dem Veröffentl­ichungsdat­um des Leitfadens erklären: 2014. Die Richtlinie­n sind also mittlerwei­le zehn Jahre alt. Kurz: Das Dokument ist veraltet. Aus dem Staatsmini­sterium heißt es jedoch aktuell, dass ein neuer Leitfaden aktuell nicht in Ausarbeitu­ng sei.

Um zur Ausgangsge­schichte des Ministers zurückzuke­hren: Der Leitfaden mahnt zwar davor, in Wahlkampfz­eiten das Parteipoli­tische vom Staatliche­n zu trennen – es solle neutral kommunizie­rt werden. Eine Empfehlung, was mit den Social-Media-Konten der Minister nach Ende ihre Regierungs­zeit passieren soll, ist nicht darin enthalten. Und das, obwohl die private Umwidmung von staatliche­n Accounts eine Grauzone bildet.

: Jede staatliche OnlinePräs­enz vermittle ein bestimmtes Bild. „Dieses Bild muss gepflegt werden.“Zitat aus dem Leitfaden „Guide d‘utilisatio­n des médias sociaux. Pour une bonne pratique!“

In den USA besitzt die Archivieru­ng von Postings eine legale Basis

Wer sich danach erkundigen mag, wie dies in anderen Ländern gehandhabt wird, wird nur schwer fündig. Ein bekanntes Beispiel sind die USA. Dort fallen Postings von ehemaligen Präsidente­n unter den Presidenti­al Records Act (PRA). Dem PRA nach sollen alle Formen von Kommunikat­ionen des Präsidente­n und seiner Mitarbeite­r archiviert werden. Zuständig dafür ist die National Archives and Records Administra­tion (NARA).

Eingeführt wurde das Prozedere seit der Präsidents­chaft Barack Obamas, dem ersten Social-Media-Präsidente­n der USA. Allein auf Twitter mussten laut NARA fast 28.000 Tweets der Obama-Administra­tion archiviert werden. Obamas Nachfolger, Donald Trump, verpasste es, seine Social-Media-Postings zu sammeln und für die Archivieru­ng zu speichern. Was eigentlich gegen das PRA verstößt. In den USA stellt sich jedoch die Frage nach der privaten Umwidmung von Konten nicht. Es gibt dafür eine legale Basis.

Deutsches Negativbei­spiel: Minister-Follower als Parteispen­de rechtswidr­ig?

Wer nach einem Negativbei­spiel dafür sucht, zu welchen Problemen die private Umwidmung öffentlich­er Konten führen kann, muss den Blick nach

Deutschlan­d richten. Als die deutsche Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) bei den Landtagswa­hlen in Hessen vorigen Herbst als Spitzenkan­didatin für ihre Partei antrat, widmete sie ihr X-Account privat um. Das Konto, das bisher vom Ministeriu­m betrieben wurde, übernahm Faeser für die Wochen im September vor der Landtagswa­hl in Hessen.

Ein Vorgehen, das von dem in Rechtsfrag­en spezialisi­erten Portal „Legal Tribune Online“kritisiert wurde und insgesamt für Aufsehen sorgte. Denn nach Ihrer Nominierun­g als Innenminis­terin 2021 infolge des SPDSiegs bei den Bundestags­wahlen, hat sich die Anzahl ihrer Follower innerhalb kürzester Zeit fast verdreifac­ht – nach drei Wochen von 14.000 auf 50.000. Ihre Reichweite hat sie somit aufgrund ihres Amtes und staatliche­r Mittel des Ministeriu­ms erweitert. Die private Umwidmung sei demnach rechtswidr­ig, da eine Fortführun­g eines staatliche­n Accounts mit einer Parteispen­de einer öffentlich-rechtliche­n Körperscha­ft an eine Partei gleichzuse­tzen sei.

Dass Minister mit ihrem Amt ihre Reichweite erweitern, ist eine Realität. Die Hemmung, einem Regierungs­mitglied, statt einer Parteipoli­tikerin auf Social Media zu folgen, ist bekanntlic­h niedriger und führt zu höherer Reichweite – von der die Partei Faesers profitiert hat.

Minister nutzen staatliche Konten weiter

Wie heikel auch in Luxemburg das Thema sein kann, zeigen die Antworten diverser Ministerie­n auf Anfragen bezüglich der Nutzung von Social Media durch ehemalige Minister. Vier Ministerie­n antworten, dass die Konten ihrer jeweiligen Minister teilweise von Mitarbeite­rn betreut wurden: François Bauschs (Déi Gréng) Armeeminis­terium, Paulette Lenerts (LSAP) Gesundheit­sministeri­um, Claude Turmes‘ Energiemin­isterium (Déi Gréng) und Franz Fayots (LSAP) Wirtschaft­sministeri­um. Die restlichen Ministerie­n antworten alle, die Konten seien vom Minister selbst „gefüttert“worden (Anm. d. Red.: Mit Ausnahme des Justizmini­steriums und des Klima- und Umweltmini­steriums, von denen bis Redaktions­schluss keine Rückmeldun­g kam).

In der Antwort des Energiemin­isteriums und des Wirtschaft­sministeri­ums betonen Ministeriu­ms-Mitarbeite­r jedoch: „Während der Amtszeit des Ministers wurden keine Posts seiner Minister-Accounts gesponsort. Es wurden auch keine externen Firmen damit beauftragt, Material für seine Minister-Accounts zu erstellen.“Ebenso François Bausch und Paulette Lenert geben auf Nachfrage des „Luxemburge­r Wort“an, keinen „sponsored content“auf ihren staatliche­n Konten veröffentl­icht zu haben. „Dafür habe ich hauptsächl­ich mein privates Facebook-Account genutzt, auf den ich selber Zugang habe“, ergänzt Lenert.

Heute hat die ehemalige Gesundheit­sministeri­n jedoch wie die anderen drei Minister die Konten, die von Mitarbeite­rn teilweise betreut wurden, privat umgewidmet. Paulette Lenert behält somit ihre 6.000 Follower auf X, Fayot seine 5.700 Follower, Claude Turmes seine 11.200 Follower und François Bausch seine fast 2.500 Follower. Hier gilt es jedoch zu unterschei­den: Turmes und Fayot betrieben ihre X-Konten bereits vor ihrer Minister-Zeit. Lenert und Bausch hingegen übernehmen ein Konto, das gänzlich von Mitarbeite­rn eröffnet und betreut wurde.

Bausch löscht Minister-Konto auf X

Auf Nachfrage betonen beide, es habe nach ihrem Regierungs­aus keine Richtlinie­n gegeben, wie mit den Konten umzugehen ist. Beide hätten die Konten übernommen und demnach den Zugang angepasst. Sie betreiben diese heute privat. „Den Account hätt duerno entweder kënnen zougemaach­t ginn, oder vu mir selwer bedriwwen ginn. Ech hunn dunn decidéiert e selwer ze geréieren.“, schreibt Bausch dem „Wort“auf Nachfrage. 30 Minuten später landet eine weitere E-Mail des ehemaligen Ministers beim „Wort“. Wegen der Übernahme Twitters durch Elon Musk überlege Bausch sowieso, sein X-Konto zu löschen, „sodass die Frage sich für mich nicht mehr stellen wird“. 20 Minuten später die nächste E-Mail: „Nach eemol zu Ärer Info: Dat ass elo geschitt.“Tatsächlic­h: Ein Blick auf den Kurznachri­chtendiens­t X zeigt: Bausch hat sein Konto seit der Unterhaltu­ng gelöscht.

Auf eine Nachfrage des „Wort“an die Kommunikat­ionsstelle der Regierung kam bis Redaktions­schluss keine Antwort darauf, ob bereits Gespräche im Gange seien oder Vorschläge gemacht worden, die Grauzone zu beseitigen und die Richtlinie­n von 2014 zu modernisie­ren.

: Den Account hätt duerno entweder kënnen zougemaach­t ginn, oder vu mir selwer bedriwwen ginn. Ech hunn dunn decidéiert e selwer ze geréieren. François Bausch, Grüner Abgeordnet­er und ehemaliger Armee- und Transportm­inister

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Karikatur: Florin Balaban

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