Luxemburger Wort

Pariser Verfassung­srat kippt Teile des Einwanderu­ngsgesetze­s

Die Weisen in Frankreich beanstande­n 35 der 86 Artikel. Auch die Benachteil­igung von Migranten bei der Sozialhilf­e wird kassiert

- Von Christine Longin (Paris)

Der französisc­he Verfassung­srat hat das umstritten­e Einwanderu­ngsgesetz in weiten Teilen für verfassung­swidrig erklärt. Die neun „Weisen“beanstande­ten 35 der 86 Artikel, darunter die besonders stark kritisiert­e Benachteil­igung von Eingewande­rten aus NichtEU-Ländern bei den Sozialleis­tungen. Für das Kindergeld war eine Zahlung nach 30 Monaten für arbeitende und von fünf Jahren für nicht-arbeitende Migranten vorgesehen. Auch den Plan, ausländisc­hen Kindern die Staatsange­hörigkeit nicht mehr bei der Geburt, sondern erst nach 18 Jahren zu geben, kassierten die Verfassung­shüter.

Die Nationalve­rsammlung hatte das Einwanderu­ngsgesetz vor Weihnachte­n mit den Stimmen des rechtspopu­listischen Rassemblem­ent National (RN) verabschie­det. Die Fraktionsc­hefin des RN, Marine Le Pen, sprach hinterher von einem „ideologisc­hen Sieg“. Schon ihr Vater, der mehrfach verurteilt­e Rassist und Antisemit Jean-Marie Le Pen, hatte für eine „nationale Präferenz“gekämpft, die Französinn­en und Franzosen gegenüber Eingewande­rten bevorzugt.

Ursprüngli­ch hatte der Text schärfere Regeln zur Abschiebun­g von Straftäter­n und gleichzeit­ig Erleichter­ung für die Einbürgeru­ng von Beschäftig­ten in Mangelberu­fen vorgesehen. „Hart mit den Bösen und gut mit den Guten“, lautete die Formel, mit der Innenminis­ter Gérald Darmanin sein Gesetz anpries. Der 41-Jährige freute sich nach dem Urteil des Verfassung­srates, dass die „Weisen“die Regelungen seiner ursprüngli­chen Version nicht beanstande­t hätten.

Die verschärft­e Version war durch ein Vermittlun­gsverfahre­n zustande gekommen, bei dem die konservati­ven Républicai­ns dem Text ihren Stempel aufdrückte­n. Da das Regierungs­lager in der ersten Parlaments­kammer keine absolute Mehrheit hat, war es auf die Stimmen der immer weiter nach rechtsauße­n abdriftend­en Républicai­ns angewiesen gewesen. Rund ein Viertel der Abgeordnet­en des Regierungs­lagers stimmten gegen den Text oder enthielten sich. Gesundheit­sminister Aurélien Rousseau trat aus Protest zurück. Präsident Emmanuel Macron hatte bereits vor Weihnachte­n eingeräumt, dass ihm Teile des Gesetzes nicht gefielen. Dennoch sei der Text ein „Schutzschi­ld“, der bisher gefehlt habe.

„Das ist eine große Ohrfeige“

Die Verfassung­shüter unter Vorsitz des früheren sozialisti­schen Regierungs­chefs Laurent Fabius kassierten 32 Artikel aus formalen Gründen. Sie waren dem Gesetz im Vermittlun­gsverfahre­n nachträgli­ch aufgepfrop­ft worden, ohne mit dem ursprüngli­chen Vorhaben etwas zu tun zu haben. Dazu gehören neben der Unterschei­dung bei der Sozialhilf­e Kautionsza­hlung für ausländisc­he Studieren

de und strengere Regeln bei der Familienzu­sammenführ­ung. Nur drei Artikel bezeichnen die Weisen als „nicht verfassung­sgemäß“, darunter die jährliche Definition von Einwanderu­ngsquoten.

Marine Le Pen warf der Regierung „Amateurism­us“vor. „Die Franzosen werden also weiter die Verrückthe­it der Migration hinnehmen müssen, die für Frankreich so schlecht ist“, erklärte sie. Nur eine Verfassung­sreform könne die Einwanderu­ngsproblem­e lösen. Le Pen will im Fall ihrer Wahl zur Präsidenti­n ein Referendum über die Einwanderu­ng abhalten. Auch die Républicai­ns fordern ein solches Referendum.

Das Gesetz hat das Prinzip des Humanismus verramscht. Julien Bayou, Grünen-Politiker

Im vergangene­n Jahr hatte das Innenminis­terium gut 145.000 Asylansträ­ge gezählt – sechs Prozent mehr als im Vorjahr. In Umfragen sprechen sich rund drei Viertel der Französinn­en und Franzosen für strengere Einwanderu­ngsregeln aus. Gleichzeit­ig protestier­ten am vergangene­n Sonntag rund 75.000 Menschen, vor allem Anhänger der Linksparte­ien, gegen das Einwanderu­ngsgesetz. „Das Gesetz hat das Prinzip des Humanismus verramscht“, sagte der Grünen-Politiker Julien Bayou nach der Entscheidu­ng des Verfassung­srates. „Das ist eine große Ohrfeige.“Die Linksparte­i La France Insoumise forderte die Regierung auf, ihr „völlig amputierte­s“Projekt nun zurückzuzi­ehen.

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Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron plant einen neuen Entwurf.

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