Ein Starreporter, der auf dem Schoß des Mächtigen saß
Ein preisgekrönter deutscher TV-Journalist wurde zum Leib-Interviewer Wladimir Putins. Der Fall sagt viel über Kompetenz, Inkompetenz und Hierarchien in den Medien aus
Hubert Seipel schreibt über alles Mögliche. In „Putin. Innenansichten der Macht“schildert er auch den Präsidentschaftswahlkampf Boris Jelzins 1966 gegen den Kommunisten Gennadij Sjuganow. „Die Oligarchen geben Hunderttausende aus, um russische Journalisten zu bestechen.“Der Presse gehe es schlecht, mangels Anzeigen und Abonnements bestelle man positive Artikel wie Pizzas aus dem nächsten Restaurant. Und Seipel fügt gönnerhaft hinzu: „Manche Journalisten schreiben nicht ausschließlich für Geld, sondern durchaus aus Überzeugung.“
Seipels Titelheld hatte mit diesem Wahlkampf noch nichts zu tun. Aber der Autor hat bekanntlich selbst Hunderttausende Euro aus Russland kassiert, für die Arbeit an seinen Putin-Büchern. Jedenfalls stellt sich auch die Frage, ob Seipel Russlands Staatschef nur für Geld oder auch aus Überzeugung so eifrig gegen alle Kritik verteidigte.
2018 schloss er einen Sponsorenvertrag mit einer karibischen Briefkastenfirma ab, hinter der der kremlnahe Multimilliardär Alexei Mordaschow stand, der Seipel 600.000 Euro zuschoss. Für sein nächstes
Buch „Putins Macht: Warum Europa Russland braucht.“Schon 2014 gab es einen „geheimen“Sponsorenvertrag mit demselben Mordaschow, unklar über welche Summen. Wie jetzt bekannt wurde, bot er der ARD noch kurz vor Putins „Spezialoperation“gegen die Ukraine ein Interview mit dem Kremlchef an.
Eine glänzende Reporterkarriere
Seipel, Jahrgang 1950, hat in Deutschland eine glänzende Karriere hinter sich, ARDund „Spiegel“-Reporter und Sachbuchautor, dekoriert mit Deutschen Fernseh- und Adolf-Grimme-Preisen. Einer, der so gut war, dass er in jedem Ressort mitmischen durfte.
Aus Moskauer Korrespondentenperspektive eine Astralgestalt aus einer anderen Dimension. Seipel war schon wieder weg, als seine TV-Dokumentation „Ich, Putin“im Jahr 2012 alle Kollegen verblüffte. Vor allem mit seinen sehr privaten, sehr starken Bildern Wladimir Putins. Etwa der erregten Jungsgesichter von Putin und seinem Kumpel Sergei Schoigu, als sie im sibirischen Unterholz einen Riesenjeep besteigen, um Hirsche zu jagen. Nur den Ton hätte man dabei abdrehen können: Seipels
Kommentar, dass die Moskauer Straßenproteste Putin damals zu schaffen machten, klang flach.
Seipel wurde danach mit neuen Kameragesprächen so etwas wie Putins deutschsprachiger Leibinterviewer – und zunehmend fragwürdig. Putin mag bekanntlich keine Journalisten, die ihn mit unangenehmen Fragen festnageln wollen. So wie ARDMoskaukorrespondent Thomas Roth, der einen sichtlich genervten Putin 2008 vor laufender Kamera zu der Aussage nötigte, Russland erkenne die bestehenden ukrainischen Grenzen an.
Aber das war eines der letzten großen Interviews, die Putin einem westlichen Russland-Korrespondenten gab. Der russische Staatschef zog immer häufiger weniger sachkundige Chefredakteure vor, oder eingeflogene, nicht russisch sprechende Stars wie Seipel.
Nur bedingt eine Ausnahme
Der Fall Seipel ist nur bedingt eine Ausnahme. Journalisten sind eitel. Von einem stundenlangen Gespräch mit Wladimir Putin träumt jeder. Und wer es bekommt, dazu noch mit der Aussicht auf einen Nachfolgetermin, mag durchaus auf die eine
oder andere unangenehme Frage verzichten.
Die Nähe zur Staatsmacht bedeutet auch die Gefahr, sich von ihr vereinnahmen zu lassen. Seipel dementiert es erbost, aber „seine Innenansichten“lesen sich, als hätte ein Redenschreiber des Kremls sie redigiert. Kein Wort über Putins Gewohnheiten oder Schwächen. Das einfache Russland, seine halb zerfallenen Dörfer, seine Menschen, ihr Glück oder Unglück, interessieren Seipel sowieso nicht. Er ist ganz oben angekommen in Russland. Ihm gefällt es dort, im Gunst-Schein des Staatschefs. Dieser Schein hat anscheinend auch die Redakteure deutscher Leitmedien geblendet, die Seipels blasse Putin-Biografien lobend bis begeistert rezensierten.
„Wladimir Putin meint, was er sagt“, heißt es bei Seipel. Ein dutzendfach widerlegter Irrtum, aber Seipel mag davon schon überzeugt gewesen sein, bevor die ersten Gelder flossen. Jetzt rechtfertigt er diese Gelder so wütend, wie er sie zuvor dementierte. Ohne „Drittmittel“habe er seine Bücher gar nicht schreiben können.
Seipel schildert ganz selbstverständlich, wie Putin ihm am Beckenrand seines Pools in Sotschi sitzen lässt, um ein paar Runden zu schwimmen und sein tägliches Sportsoll zu erfüllen. Wer auf dem Schoß mächtiger Männer sitzt, hält still, auch wenn man ihn demütigt. Und wer dort zu oft und lange sitzt, der ist irgendwann korrumpiert, mit oder ohne Sponsorenvertrag.
Putin mag bekanntlich keine Journalisten, die ihn mit unangenehmen Fragen festnageln wollen.