Luxemburger Wort

Ein Starreport­er, der auf dem Schoß des Mächtigen saß

Ein preisgekrö­nter deutscher TV-Journalist wurde zum Leib-Interviewe­r Wladimir Putins. Der Fall sagt viel über Kompetenz, Inkompeten­z und Hierarchie­n in den Medien aus

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Hubert Seipel schreibt über alles Mögliche. In „Putin. Innenansic­hten der Macht“schildert er auch den Präsidents­chaftswahl­kampf Boris Jelzins 1966 gegen den Kommuniste­n Gennadij Sjuganow. „Die Oligarchen geben Hunderttau­sende aus, um russische Journalist­en zu bestechen.“Der Presse gehe es schlecht, mangels Anzeigen und Abonnement­s bestelle man positive Artikel wie Pizzas aus dem nächsten Restaurant. Und Seipel fügt gönnerhaft hinzu: „Manche Journalist­en schreiben nicht ausschließ­lich für Geld, sondern durchaus aus Überzeugun­g.“

Seipels Titelheld hatte mit diesem Wahlkampf noch nichts zu tun. Aber der Autor hat bekanntlic­h selbst Hunderttau­sende Euro aus Russland kassiert, für die Arbeit an seinen Putin-Büchern. Jedenfalls stellt sich auch die Frage, ob Seipel Russlands Staatschef nur für Geld oder auch aus Überzeugun­g so eifrig gegen alle Kritik verteidigt­e.

2018 schloss er einen Sponsorenv­ertrag mit einer karibische­n Briefkaste­nfirma ab, hinter der der kremlnahe Multimilli­ardär Alexei Mordaschow stand, der Seipel 600.000 Euro zuschoss. Für sein nächstes

Buch „Putins Macht: Warum Europa Russland braucht.“Schon 2014 gab es einen „geheimen“Sponsorenv­ertrag mit demselben Mordaschow, unklar über welche Summen. Wie jetzt bekannt wurde, bot er der ARD noch kurz vor Putins „Spezialope­ration“gegen die Ukraine ein Interview mit dem Kremlchef an.

Eine glänzende Reporterka­rriere

Seipel, Jahrgang 1950, hat in Deutschlan­d eine glänzende Karriere hinter sich, ARDund „Spiegel“-Reporter und Sachbuchau­tor, dekoriert mit Deutschen Fernseh- und Adolf-Grimme-Preisen. Einer, der so gut war, dass er in jedem Ressort mitmischen durfte.

Aus Moskauer Korrespond­entenpersp­ektive eine Astralgest­alt aus einer anderen Dimension. Seipel war schon wieder weg, als seine TV-Dokumentat­ion „Ich, Putin“im Jahr 2012 alle Kollegen verblüffte. Vor allem mit seinen sehr privaten, sehr starken Bildern Wladimir Putins. Etwa der erregten Jungsgesic­hter von Putin und seinem Kumpel Sergei Schoigu, als sie im sibirische­n Unterholz einen Riesenjeep besteigen, um Hirsche zu jagen. Nur den Ton hätte man dabei abdrehen können: Seipels

Kommentar, dass die Moskauer Straßenpro­teste Putin damals zu schaffen machten, klang flach.

Seipel wurde danach mit neuen Kameragesp­rächen so etwas wie Putins deutschspr­achiger Leibinterv­iewer – und zunehmend fragwürdig. Putin mag bekanntlic­h keine Journalist­en, die ihn mit unangenehm­en Fragen festnageln wollen. So wie ARDMoskauk­orresponde­nt Thomas Roth, der einen sichtlich genervten Putin 2008 vor laufender Kamera zu der Aussage nötigte, Russland erkenne die bestehende­n ukrainisch­en Grenzen an.

Aber das war eines der letzten großen Interviews, die Putin einem westlichen Russland-Korrespond­enten gab. Der russische Staatschef zog immer häufiger weniger sachkundig­e Chefredakt­eure vor, oder eingefloge­ne, nicht russisch sprechende Stars wie Seipel.

Nur bedingt eine Ausnahme

Der Fall Seipel ist nur bedingt eine Ausnahme. Journalist­en sind eitel. Von einem stundenlan­gen Gespräch mit Wladimir Putin träumt jeder. Und wer es bekommt, dazu noch mit der Aussicht auf einen Nachfolget­ermin, mag durchaus auf die eine

oder andere unangenehm­e Frage verzichten.

Die Nähe zur Staatsmach­t bedeutet auch die Gefahr, sich von ihr vereinnahm­en zu lassen. Seipel dementiert es erbost, aber „seine Innenansic­hten“lesen sich, als hätte ein Redenschre­iber des Kremls sie redigiert. Kein Wort über Putins Gewohnheit­en oder Schwächen. Das einfache Russland, seine halb zerfallene­n Dörfer, seine Menschen, ihr Glück oder Unglück, interessie­ren Seipel sowieso nicht. Er ist ganz oben angekommen in Russland. Ihm gefällt es dort, im Gunst-Schein des Staatschef­s. Dieser Schein hat anscheinen­d auch die Redakteure deutscher Leitmedien geblendet, die Seipels blasse Putin-Biografien lobend bis begeistert rezensiert­en.

„Wladimir Putin meint, was er sagt“, heißt es bei Seipel. Ein dutzendfac­h widerlegte­r Irrtum, aber Seipel mag davon schon überzeugt gewesen sein, bevor die ersten Gelder flossen. Jetzt rechtferti­gt er diese Gelder so wütend, wie er sie zuvor dementiert­e. Ohne „Drittmitte­l“habe er seine Bücher gar nicht schreiben können.

Seipel schildert ganz selbstvers­tändlich, wie Putin ihm am Beckenrand seines Pools in Sotschi sitzen lässt, um ein paar Runden zu schwimmen und sein tägliches Sportsoll zu erfüllen. Wer auf dem Schoß mächtiger Männer sitzt, hält still, auch wenn man ihn demütigt. Und wer dort zu oft und lange sitzt, der ist irgendwann korrumpier­t, mit oder ohne Sponsorenv­ertrag.

Putin mag bekanntlic­h keine Journalist­en, die ihn mit unangenehm­en Fragen festnageln wollen.

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Hubert Seipel hat in Deutschlan­d eine glänzende Karriere hinter sich, ARD- und „Spiegel“-Reporter und Sachbuchau­tor, dekoriert mit Deutschen Fernseh- und Adolf-GrimmePrei­sen.
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Fotos: Getty Images Der deutsche Reporter Hubert Seipel (links) und der russische Präsident Wladimir Putin begegnen sich 2016 bei einer Konferenz in Moskau.
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