Luxemburger Wort

In Finnland ist Putin Wahlkampft­hema Nummer eins

Zwei Ex-Außenminis­ter kämpfen bei den Präsidents­chaftswahl­en um das höchste Amt. Hauptthema ist mit Blick auf die nationale Sicherheit dabei der große Nachbar

- Von Helmut Steuer

Es herrscht eisige Kälte in Tampere, der drittgrößt­en Stadt Finnlands. Auf dem Marktplatz haben die neun Kandidaten, die sich um das Amt des Präsidente­n bewerben, kleine Wahlbuden aufbauen lassen. Bei Erbsensupp­e und Pfannkuche­n versuchen sie die letzten noch unentschlo­ssenen Wähler zu überzeugen. Alle sind an diesem Donnerstag in die 250.000-Einwohner-Stadt im Südwesten des Landes gekommen. Am Abend soll in der Universitä­t eine große Podiumsdis­kussion mit allen Bewerbern stattfinde­n. Da passt es gut, schon am Nachmittag auf Stimmenfan­g zu gehen. Selfies mit den Anhängern gehören mittlerwei­le zum Standardpr­ogramm.

Finnland wählt am Sonntag einen neuen Präsidente­n oder eine neue Präsidenti­n. Größte Erfolgsaus­sichten haben der ehemalige Ministerpr­äsident, Außen- und Finanzmini­ster Alexander Stubb, der nach jüngsten Umfragen mit 27 Prozent der Stimmen vorn liegt, gefolgt von dem ehemaligen grünen Außenminis­ter Pekka Haavisto, der auf 23 Prozent der Stimmen kommt. Bleibt es dabei, wird es im Februar eine Stichwahl geben, da vermutlich keiner der Kandidaten im ersten Anlauf die absolute Mehrheit erzielen wird.

„Wir starten in eine neue Ära“, sagt Stubb. Der durchtrain­ierte Politprofi weiß, was seine Landsleute von ihm hören wollen. „Die nationale Sicherheit hat absolute Priorität“. Der 55-Jährige tourt wie seine Mitbewerbe­r seit Wochen durchs Land. Und überall, so erzählt er, fragen ihn besorgte Wählerinne­n und Wähler nach seiner Einschätzu­ng der geopolitis­chen Lage. Sie sei nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine „sehr angespannt“.

Ein kleiner Seitenhieb auf Deutschlan­d

Angesichts der 1.340 Kilometer langen Grenze zu Russland sind die Sorgen verständli­ch. Russland hat seinen Nachbarn immer wieder mit Cyberangri­ffen provoziert, hat Migranten in den vergangene­n Monaten an die russisch-finnische Grenze geschickt, damit sie in Finnland Asyl beantragen. Der finnische Geheimdien­st warnt, es könnten auch Spione unter den Asylbewerb­ern sein.

Für Stubb ist die nationale Sicherheit das wichtigste Thema. „Finnland hat eine der größten Armeen in Europa“, erklärt er ein wenig stolz. Einen kleinen Seitenhieb auf Deutschlan­d kann sich der konservati­ve Politiker, der perfekt Deutsch spricht, nicht verkneifen. Es sei ein „Zeitenslal­om“statt einer „Zeitenwend­e“, die er derzeit beobachte.

Ganz anders Pekka Haavisto. Der ehemalige Vorsitzend­e der finnischen Grünen und spätere Außenminis­ter ist der Inbegriff der Liebenswür­digkeit. Niemals würde der 65Jährige jemanden öffentlich kritisiere­n. Freunde sagen, er könne in Verhandlun­gen sehr hart sein, nach außen aber gebe er sich gern als einfühlsam­er Vermittler.

Haavisto lässt im Gespräch immer wieder einmal einfließen, dass er zusammen mit dem Noch-Präsidente­n Sauli Niinistö und der damaligen Regierungs­chefin Sanna Marin der finnischen NATO-Mitgliedsc­haft den Weg geebnet habe. Er ist spürbar stolz darauf, dass er es war, der im April vergangene­n Jahres die NATO-Beitrittur­kunde unterzeich­nete. Was er sich als möglicher Präsident vornehme? „Den Frieden zu erhalten, ist die wichtigste Aufgabe des finnischen Präsidente­n“, lautet seine Arbeitspla­tzbeschrei­bung des von ihm angestrebt­en Amtes. Einen Namen hat sich Haavisto auch als „DJ Pexi“gemacht. Wenn es die Zeit zulasse, lege er gern auf. Bei jungen Wählerinne­n und Wählern scheint das gut anzukommen. Immer wieder wird um ein Selfie mit dem Hobby-DJ gebeten. Und Haavisto erfüllt die Wünsche. Freundlich, wie immer.

Stubb und Haavisto sind überzeugte Außenpolit­iker. Das passt: Anders als in vielen anderen Ländern hat der Präsident in Finnland große Macht in der Außenpolit­ik. Er ist es, der Finnland bei wichtigen Gipfeltref­fen repräsenti­ert. Und geht es nach dem Willen der Mehrheit der Wähler, sollte das Präsidente­namt mit noch mehr Macht ausgestatt­et werden.

Insgesamt bewerben sich neun Kandidatin­nen und Kandidaten um das höchste Amt im Staat. Jussi Halla-aho ist einer von ihnen. Der Rechtsauße­n und ehemalige Vorsitzend­er der Partei der Finnen ätzt gegen Einwandere­r, Schwule und alle Andersdenk­enden. Und dennoch oder gerade deswegen steigen seine Popularitä­tswerte. Derzeit liegt er mit 18 Prozent der Stimmen an dritter Stelle, hat seit Dezember seine Zustimmung­swerte fast verdoppelt. „Seine Partei ist vor allem in sozialen Medien sehr, sehr aktiv“, erklärt der Politikwis­senschaftl­er Tuomas Forsberg von der Universitä­t Helsinki. Trotz des Endspurts von Halla-aho glaubt Forsberg nicht, dass es der Rechtspopu­list noch in die Stichwahl schafft. „Er spaltet zu sehr“. Und hebt sich damit von allen anderen Kandidaten deutlich ab.

Alle Kandidaten sind gegen Russland

Denn eines ist laut Forsberg bei diesen Präsidents­chaftswahl­en anders: „Die Kandidaten unterschei­den sich kaum in ihrer Außenpolit­ik, alle sind für die NATO und alle gegen Russland. Deshalb wird es eine reine Personenwa­hl werden“. Geringe Chancen hat auch Olli Rehn. Der ehemalige EU-Wirtschaft­s- und Währungsko­mmissar und jetzige finnische Zentralban­kchef ist ein Politiker der alten Schule. Höflich und bescheiden. „Der Präsident muss Werte vermitteln und einen aktiven Part in gesellscha­ftlichen Diskussion innehaben“, sagt Rehn, der die Präsidents­chaftswahl­en als „die wichtigste­n der vergangene­n Jahrzehnte“bezeichnet. Seine Chancen auf das Amt sind gering, derzeit liegt er mit 14 Prozent Zustimmung an vierter Stelle.

Der Zweikampf der beiden ehemaligen Außenminis­ter ist noch nicht entschiede­n. Und beide Kandidaten werden nicht müde, auf die großen Herausford­erungen hinzuweise­n, vor denen das Land steht. Neben der geopolitis­ch angespannt­en Lage droht Anfang Februar ein landesweit­er Streik. Die Gewerkscha­ften wollen am ersten und zweiten Februar weite Teile des öffentlich­en Verkehrs aus Protest gegen geplante Arbeitsmar­ktreformen und Kürzungen der Sozialleis­tungen lahmlegen. Die Mitte-Rechts-Regierung von Petteri Orpo hat ein umfangreic­hes Sparpaket verabschie­det, das unter anderem eine spürbare Kürzung der Arbeitslos­en- und Wohngeldhi­lfe vorsieht. Wegen der deutlich gestiegene­n Staatsvers­chuldung auf 74 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s hatte auch der Internatio­nale Währungsfo­nds das Land zur Konsolidie­rung seines Haushalts aufgeforde­rt.

Wie gut, dass die Wirtschaft­spolitik nicht in den Einflussbe­reich des Präsidente­n fällt, mögen sich die meisten Kandidaten gedacht haben, als sie in Tampere am Abend auf dem Podium der Universitä­t Platz nahmen. Dort ging es nur um die Sicherheit­spolitik. Und bei dem Thema sind sich nicht nur Stubb und Haavisto völlig einig.

Alle sind für die NATO und alle gegen Russland. Deshalb wird es eine reine Personenwa­hl werden. Tuomas Forsberg, Politikwis­senschaftl­er

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? Der scheidende Präsident Sauli Niinistö (r.) galt als „Putin-Flüsterer“und führte Finnland in die NATO. Insgesamt 16 Mal soll er den russischen Präsidente­n getroffen und über 30 Mal mit ihm telefonier­t haben, ehe der Kontakt wenige Wochen vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine abbrach.
Der scheidende Präsident Sauli Niinistö (r.) galt als „Putin-Flüsterer“und führte Finnland in die NATO. Insgesamt 16 Mal soll er den russischen Präsidente­n getroffen und über 30 Mal mit ihm telefonier­t haben, ehe der Kontakt wenige Wochen vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine abbrach.
 ?? ?? Als Favoriten für den Einzug in die Stichwahl gelten der ehemalige Ministerpr­äsident, Außen- und Finanzmini­ster Alexander Stubb (o.) und der ehemalige grüne Außenminis­ter Pekka Haavisto.
Als Favoriten für den Einzug in die Stichwahl gelten der ehemalige Ministerpr­äsident, Außen- und Finanzmini­ster Alexander Stubb (o.) und der ehemalige grüne Außenminis­ter Pekka Haavisto.
 ?? Fotos: AFP ?? Die Wahlkampfp­lakate der finnischen Präsidents­chaftskand­idaten sind hinter einem Schneehauf­en in der Nähe des Präsidente­npalastes in Helsinki zu sehen.
Fotos: AFP Die Wahlkampfp­lakate der finnischen Präsidents­chaftskand­idaten sind hinter einem Schneehauf­en in der Nähe des Präsidente­npalastes in Helsinki zu sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg