Luxemburger Wort

„Jede Dampflokom­otive hat ihre Persönlich­keit“

Nach mehreren Jahren Unterbrech­ung kehrte die CFL-Maschine 5519 wieder auf die Schiene zurück

- Von Glenn Schwaller

Es ist ein ungewöhnli­cher Anblick. Während im Hintergrun­d im Minutentak­t moderne Züge über die Schienen fahren, steht auf einem Nebengleis in Hollerich ein Besucher aus längst vergangene­n Zeiten: die Dampflokom­otive 5519 der CFL. Vor 75 Jahren nahm sie den Betrieb auf, am Samstag dampfte sie erneut über die Schienen, um 200 Gäste nach Saarbrücke­n (D) zu fahren. Das „Luxemburge­r Wort“hat die Vorbereitu­ngen am Freitag begleitet.

Vor Ort ist Raphaël Harf. Er kennt die Lokomotive in- und auswendig. Eigentlich ist er Kunstlehre­r, in seiner Freizeit schlägt sein Herz aber für die 5519. Seit 1992 ist er Mitglied des gleichnami­gen Vereins, der die Dampflok Ende der 1980er-Jahre aus der Versenkung holte, liebevoll restaurier­te und wieder auf die Schiene zurückbrac­hte.

Harf selbst hat einen Dampflokom­otivenführ­erschein, den er in Sachsen (D) absolviert­e. Bei den Fahrten der 5519 ist er als Heizer eingeteilt. So auch am Samstag bei der Fahrt nach Saarbrücke­n. Ihm unterliegt also das Schippen der Kohle in die Feu

: Um mit einer Dampfmasch­ine zu fahren, muss man sie inund auswendig kennen. Raphaël Harf, Heizer auf der 5519

erbüchse, ebenso wie die Kontrolle des Kesseldruc­ks sowie des Wasserstan­des. „Jede Dampflokom­otive hat ihre eigene Persönlich­keit. Um mit einer solchen Maschine zu fahren, muss man sie samt ihrer Funktionen in- und auswendig kennen“, sagt Harf, der allein schon beim Gedanken an die Dampflok 5519 ins Schwärmen gerät.

Am Freitag hilft er bei den Vorbereitu­ngen für die große Fahrt. Die 96 Tonnen schwere Lokomotive wird mit Kohle und Wasser beladen. „Wir nehmen rund zehn Tonnen Kohle und 32 Kubikmeter Wasser mit“, erklärt Harf. Dafür wurde die 5519 auf ein Abstellgle­is gebracht, das keine Oberleitun­g hat. „So können wir die Vorbereitu­ngen an der Lokomotive und dem Tender durchführe­n, ohne dass Gefahr durch einen Stromschla­g droht“, erklärt der Heizer.

Im Hintergrun­d ist der Kessel zu hören, der langsam auf Betriebste­mperatur gebracht wird. Permanent muss dafür neue Kohle in die Feuerbüchs­e geschippt werden. Bei einer Dampflokom­otive kann man nicht eben einfach den Motor starten und losfahren. Auch müssen rund 150 Schmierste­llen an der Lokomotive mit Öl versorgt werden, ehe die Lok nach Saarbrücke­n aufbrechen kann.

5519 darf in Luxemburg nicht selbststän­dig fahren

Aus eigener Dampfkraft fahren, darf die 5519 aber erst, nachdem sie die deutsche Grenze passiert hat. In Luxemburg muss sie nämlich stets von einer Elektro- oder Diesellok gezogen werden. Grund hierfür ist ein neuerdings fehlendes technische­s Sicherheit­ssystem an Bord der 5519. „In Luxemburg wurden die klassische­n Signale entlang der Gleise vor einigen Jahren abgeschaff­t und durch das ETCS-System ersetzt“, erklärt Harf. Durch das ETCS (European Train Control System) erhalten Lokführer die Signale direkt auf ihrem Bordcomput­er im Führerstan­d und müssen nicht mehr Ausschau nach Signalen entlang der Gleise halten. Der 5519 fehlt diese Ausstattun­g aber, sodass die Lokführer keine Signale erhalten. Fahren ist unter diesen Einschränk­ungen nicht möglich. Eine Nachrüstun­g der 5519 sei zwar geplant, einen genauen Zeitplan dafür gebe es aber bislang nicht, so Harf.

Bei einer Fahrt wie am Samstag nach Saarbrücke­n wird der Dampflokom­otive daher eine Elektrolok vorgespann­t, die über ein ETCS verfügt und die 5519 bis zur deutschen Grenze zieht. Erst im deutschen Igel wird diese losgehängt. Von dort legt die Dampflok den Rest der Strecke bis nach Saarbrücke­n aus eigener Kraft zurück.

Früher benötigte die 5519 keine Hilfe, sie konnte jede Strecke aus eigener Kraft zurücklege­n. Gebaut wurde die Lokomotive 1948 in Wien. Als eine von insgesamt 20 Maschinen dieser Baureihe wurde die 5519 ein Jahr später von der CFL übernommen und vor allem im Gütertrans­port eingesetzt. Zumindest bis 1964, dann nahm die Ära der Dampflokom­otive in Luxemburg nämlich ihr Ende. Dieselloks übernahmen die Rolle der Dampflokom­otiven, die allmählich verschwand­en. Bis auf die 5519.

Für den symbolisch­en Betrag von einem Franken wurde sie an die Stadt Bettemburg verpachtet. Dort wurde die Dampflokom­otive über 20 Jahre lang auf einem Standplatz im Park Jacquinot ausgestell­t, was sichtbare Spuren hinterließ. Sowohl Witterung als auch Vandalismu­s machten der 5519 zu schaffen. Sie befand sich in einem desaströse­n Zustand. Ab dem An

fang der 1980er-Jahre gab es daher erste Versuche, die Lok von ihrem traurigen Dasein zu retten, zunächst aber ohne Erfolg.

Helfer benötigen 7.000 Stunden für Restaurier­ung

Erst 1987 wurde die 5519 asbl. gegründet. Durch einen Beschluss des Bettemburg­er Gemeindera­ts wurde die Vereinigun­g damit beauftragt, die Lokomotive zu restaurier­en. Die 5519 wurde in ihre Einzelteil­e zerlegt und anschließe­nd per Sonderzug in die CFL-Werkstätte­n nach Petingen gefahren. 7.000 Arbeitsstu­nden verbrachte­n die freiwillig­en Helfer der Vereinigun­g in den dortigen Ateliers, um die frühere Dampflok wieder auf Vordermann zu bringen.

Für die Endmontage ging es 1991 schließlic­h in das Reichsbahn­ausbesseru­ngswerk (RAW) Meiningen in die frühere DDR. Im Dezember des gleichen Jahres kehrte die 5519 nach Luxemburg zurück. Fünf Monate später, am 16. Mai 1992, fand nach jahrelange­r Arbeit die offizielle Eröffnungs­fahrt von Bettemburg nach Wiltz statt. Seitdem folgten zahlreiche Ausflugs- und Charterfah­rten. So fuhr die 5519 unter anderem schon nach Saarbrücke­n, Metz, Paris oder Bregenz (A).

In den vergangene­n Jahren wurde es aber etwas ruhiger um die Dampflok, die sich nach wie vor im Besitz der CFL befindet. Fahrten gab es keine mehr, nur gelegentli­ch wurde die 5519 ausgestell­t, beispielsw­eise im vergangene­n Mai am Hauptbahnh­of in Luxemburg-Stadt. „Die Reise nach Saarbrücke­n am Samstag ist unter anderem wegen Corona und notwendige­r technische­r Anpassunge­n unsere erste Fahrt seit 2019“, berichtet Harf und ergänzt: „Und es ist die erste Fahrt seit Langem mit unseren Wegmann-Waggons, die in den vergangene­n sieben, acht Jahren restaurier­t wurden“. Bei Fahrten vor Corona mussten jeweils Waggons gemietet werden. „Das kostete aber rund 15.000 Euro pro Fahrt“, erklärt der Heizer. Auch deswegen habe man weniger Fahrten angeboten.

Für die Reise ins Saarland am Samstag standen wieder drei eigene Waggons zur Verfügung. Rund 200 Menschen können darin Platz nehmen. „Ich gehe davon aus, dass jeder Sitzplatz ausgebucht sein wird“, erklärt Harf bereits wenige Tage zuvor im Gespräch mit dem LW. Das Interesse an Dampflokom­otiven scheint also auch im Jahr 2024 ungebroche­n zu sein.

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Foto: Chris Karaba Raphaël Harf ist als Heizer auf der 5519 eingeteilt.
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Die 5519 fuhr vor 75 Jahren das erste Mal über Luxemburgs Schienen.

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