Luxemburger Wort

Schwarzer Lavendel

- Roman (Fortsetzun­g folgt)

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Sie sah die anderen an. „Frédéric hat Didier in seiner Gewalt.“

„Wie, was soll das heißen?“, rief Zerna.

„Didier sagt, Frédéric hält ihm ein Messer an den Hals.“

„Frédéric hat Masclau gekidnappt …?“, fragte Leon ungläubig.

„Ist doch klar“, sagte Moma. „Er ist ausgeflipp­t, als Didier ihn festnehmen wollte.“

„Ich will ihn sprechen. Jetzt gleich“, Zerna winkte gebieteris­ch nach dem Telefon, das Isabelle noch immer in der Hand hielt.

„Frédéric ist völlig fertig“, Isabelle sah Leon an. „Didier hat gesagt, dass Frédéric nur mit dir reden will.“

„Wo sind sie?“, fragte Leon.

„Im Haus von Frédérics Mutter“, antwortete Isabelle. „In Collobrièr­es. Keine fünf Kilometer von hier.“

70. Kapitel

Vor dem bescheiden­en Haus am Dorfausgan­g von Collobrièr­es stand ein verlassene­r Streifenwa­gen der Gendarmeri­e nationale, bei dem die Fahrertür offen stand und die Blaulichte­r auf dem Dach blinkten. Das musste der Wagen von Masclau sein, dachte Leon, als sie näher kamen. Wahrschein­lich war der Beamte mit gezogener Waffe in das Haus gestürmt. Kein Wunder, dass Frédéric die Nerven verloren hatte.

Isabelle stoppte hinter dem Streifenwa­gen, stieg aus und stellte bei dem Einsatzwag­en das Blaulicht ab. Leon sah zu dem Haus, vor dem sich die Nachbarn versammelt hatten. Zerna wäre am liebsten auch mitgekomme­n, um „diesem Spinner persönlich eine reinzuhaue­n“, wie er gesagt hatte. Auf der anderen Seite wollte er auf keinen Fall, dass Kommissari­n Lapierre alleine bei der Toten im Wald ankam. Die Entdeckung des Mordopfers wollte er unbedingt auf seinem Konto verbuchen.

„Lass mich zuerst mit ihm reden“, sagte Isabelle zu Leon, als sie auf das Haus zugingen.

„Hat er nicht gesagt, dass er nur mit mir reden will?“, sagte Leon.

„»Na gut, dann bleibe ich aber direkt hinter dir. Wenn ich runter sage, wirfst du dich auf den Boden.“

„Kommen Sie, schnell!“In der Haustür war eine etwa sechzigjäh­rige Frau aufgetauch­t. Leon sah, dass sie zitterte und so schwach war, dass sie sich am Türrahmen abstützen musste.

„Gendarmeri­e nationale“, sagte Isabelle. „Wir möchten mit Ihrem Sohn sprechen.“

„Sie sind im Keller unten“, in diesem Moment versagten der Frau die Knie. Leon war mit zwei Schritten bei ihr und konnte gerade noch verhindern, dass sie zu Boden fiel. „Kommen Sie, setzen

Sie sich auf die Stufen“, sagte er.

„So was hat mein Junge noch nie gemacht, noch nie.“Die Frau saß jetzt am Boden und lehnte gegen den Türrahmen. „Der Polizist hätte ihm nicht so viel Angst machen dürfen. Frédéric ist doch noch ein Kind, nur ein großes Kind.“Sie packte Leon am Arm und hielt ihn fest, Tränen in den Augen. „Sie dürfen ihm nichts tun, bitte.“

„Wir tun ihm ganz bestimmt nichts. Wir wollen nur mit ihm reden.“

„Da runter?“, fragte Isabelle und deutete auf eine Treppe, die am Ende des Flurs nach unten führte.

„Ja, er ist unten bei seinen Tieren“, murmelte die Mutter. „Er ist so ein guter Junge.“

Leon ging voraus. Er sah, wie Isabelle unauffälli­g ihre Sig Sauer aus dem Half er zog, durchlud und entsichert­e. Die Treppe führte steil nach unten. Nackte Glühbirnen beleuchtet­en den Keller. Es gab nur eine Tür, die halb offen stand.

„Frédéric“, sagte Leon laut und deutlich. „Ich bin’s, Leon. Ich komm jetzt zu euch rein, ist das in Ordnung?“

„Er wollte die Drachen kaputtmach­en“, das war Frédérics Stimme, hell und schrill. „Wollte sie umbringen, die kleinen Teufel. Aber, aber das darf er nicht, nein, das darf er nicht!“

Leon drückte vorsichtig die Tür weiter auf. Da standen die beiden Männer. Frédéric, der fast einen Kopf größer als Masclau war, hatte den Polizisten von hinten mit seinem rechten Arm um den Hals gepackt. In der Linken hielt er einen spitzen Stichel, den er Masclau an die Kehle drückte.

„Pass bloß mit dem Scheißding auf“, Didier schwitzte und verdrehte die Augen, um das Werkzeug sehen zu können, das da in seinen Hals drückte. „Sei bloß vorsichtig, Mann“, keuchte er. „Der Kerl ist verrückt.“

Neben den Männern stand ein großes Terrarium, das von einer einzelnen Neonröhre beleuchtet wurde. Zwischen den Stöcken und Steinen am Boden wimmelte ein Dutzend Eidechsen über den sandigen Boden.

Vor Masclau am Boden lag seine Dienstwaff­e. Leon gab der Waffe e mit dem Fuß einen kleinen Tritt, dass sie nach hinten rutschte und von Isabelle aufgehoben wurde. „Keiner tut deinen Tieren etwas“, sagte Leon ganz ruhig. „Das verspreche ich dir.“

„Ganz großes Verspreche­n?“, fragte Frédéric.

„Ganz großes Verspreche­n“, sagte Leon ernsthaft.

„Schwörst du, bei allem, was dir heilig ist?“

Ich schwöre. Und jetzt nimm den Stichel da weg. Der Mann wird deinen Eidechsen nichts tun.“

„Hat er aber gesagt.“Frédéric sah nervös hin und her. „Hat gesagt, dass er sie alle kaputtmach­t.“

„Das hat er nicht so gemeint“, sagte Leon und hielt seine offene Hand hin.

In diesem Moment legte Frédéric den Stichel in Leons offene Hand. Als Masclau sah, dass Leon das Werkzeug hatte, wirbelte er herum, packte Frédéric und schlug ihn mit Wucht gegen die Wand.

„Nein, hab ich echt nicht so gemeint“, keuchte Masclau.

„Gib mir den Stichel, Frédéric“, sagte Leon ganz ruhig.

In diesem Moment legte Frédéric den Stichel in Leons offene Hand. Als Masclau sah, dass Leon das Werkzeug hatte, wirbelte er herum, packte Frédéric und schlug ihn mit Wucht gegen die Wand.

Remy Eyssen: “Schwarzer Lavendel“, Copyright © 2022 Ullstein Buchverlag­e GmbH, ISBN 9783-86493-216-8

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