Warum die Schiffe nach Europa jetzt doppelt so lange brauchen
Die Angriffe der Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe am Suezkanal häufen sich. Die wichtigste Handelsroute der Seefracht wird jetzt großräumig umfahren
„Der Suezkanal ist eine wichtige Verkehrsader für den Welthandel“, betont Daniel Kohl, Leiter des Cluster for Logistics Luxembourg. Containerschiffe befahren normalerweise die Handelsroute von Asien über das Rote Meer, um Waren nach Europa zu befördern. Auf der Route passieren täglich ungefähr 50 Handelsschiffe den Suezkanal. So wird etwa zwölf Prozent des Welthandels abgewickelt.
Seit dem Beginn des Kriegs zwischen Israel und der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas hat die Huthi-Miliz wiederholt Handelsschiffe auf der vielbefahrenen Route angegriffen. Um das zu vermeiden, werden jetzt rund 90 Prozent der Frachter, die normalerweise das Rote Meer durchqueren, umgeleitet: um Afrika herum entlang des „Kap der Guten Hoffnung“, wie Franziska Bietke, Kommunikationsmanagerin des Logistikers Kuehne & Nagel, beschreibt.
Die Frachter sind zum Großteil mit Konsumgütern beladen, erklärt Benny Mantin, Professor für Logistik und Lieferkettenmanagement an der Universität Luxemburg. Das schließt Kleidung, Technologie-Produkte und Möbel ein; aber auch Personenkraftfahrzeuge, Industriegüter und Bauteile kommen durch den Kanal, fügt Daniel Kohl hinzu. Erdöl, eines der wichtigsten Industriegüter, wird ebenfalls über den Kanal befördert.
„Schätzungen zufolge fließen täglich Waren im Wert von etwa 5,1 Milliarden Dollar (4,7 Milliarden Euro) in Richtung Westen und 4,5 Milliarden Dollar (4,1 Milliarden Euro) in Richtung Osten durch den Kanal“, verdeutlicht Benny Mantin.
Mehr Tage auf hoher See
Die abgeänderte Handelsroute um Afrika hat einen entscheidenden Nachteil: Statt bisher ungefähr 15 Tagen auf hoher See, sind die Schiffe jetzt mindestens zehn, teilweise sogar 15 Tage länger unterwegs. Das resultiert in insgesamt 25 bis 30 Tagen Fahrt.
Diese Verzögerung zieht noch weitere Konsequenzen nach sich: höhere Treibstoff-, Mitarbeiterund Transportkosten. Wilco Versteegh, der Geschäftsführer von Dachser Benelux, sagt dazu: „Die Reedereien erheben Zuschläge, weil die Schiffe jetzt über das Kap der Guten Hoffnung ausweichen müssen. Infolgedessen steigen die Seefrachtraten in allen Fahrtgebieten tendenziell an“. Daniel Kohl fügt hinzu: „Die Containerpreise von Ost nach West haben sich in einem Monat gleich verdreifacht bis vervierfacht. Der Transportpreis eines 40-FußContainers (etwa zwölf Meter lang) beträgt aktuell um die 6.000 US-Dollar (etwa 5.530 Euro)“.
Da ist aber noch Luft nach oben, wie das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in einem Bericht zuvor mitteilte: „Der aktuelle Preis ist noch weit entfernt von den drastischen Ausschlägen während der Corona-Pandemie, als der Transport eines Containers auf dieser Route bis zu 14.000 USDollar (etwa 12.900 Euro) kostete“.
Für Europa ist der Kanal besonders wichtig für den Import aus Asien und dem Nahen Osten. Wilco Versteegh, Geschäftsführer Dachser Air & Sea Logistics Benelux
Lieferschwierigkeiten nehmen zu
Durch die verlängerten Transportzeiten und die höheren Kosten werden „viele Unternehmen mit Lieferengpässen konfrontiert sein“, sagt Benny Mantin. Daniel Kohl bestätigt, dass es zu Versorgungsproblemen kommen wird.
Aber nicht nur der Transport der Waren nach Europa nimmt mehr Zeit in Anspruch, auch die Rückführung der Container nach
Asien wird sich verzögern. Dadurch würden die Versorgungsschwierigkeiten in den kommenden Wochen noch zunehmen, erklärt Franziska Bietke.
Kohl macht deutlich, dass der längere Weg um Afrika dazu führt, dass mehr als 100.000 verfügbare Container fehlen. Noch seien die wirtschaftlichen Auswirkungen der Angriffe im Alltag nicht unmittelbar spürbar, erklärt Wilco Versteegh. Doch je länger die Spannungen andauern, umso stärker wird es sich in Zukunft auswirken.
Die Angriffe haben zu Verzögerungen in den weltweiten Lieferketten geführt, was zu höheren Kosten und längeren Transportzeiten im Warenverkehr zwischen Fernost und Europa führt.
Chaos schlägt sich in Unternehmensgewinnen nieder
Daniel Kohl, Leiter Cluster for Logistics
Die Handelsroute entlang von Afrika bedeutet für viele europäische Unternehmen neben verlängerten Transportzeiten, auch höhere Frachtrechnungen und Versicherungskosten, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Das wirkt sich negativ auf die Gewinnrechnungen der Unternehmen aus. Die Folge: erste Firmen geben Produktionsstopps bekannt.
Tesla teilt mit, dass ein zweiwöchiger Produktionsstopp in seinem Werk in Grünheide geplant sei, wegen der Lieferverzögerungen. Auch der schwedische Autobauer Volvo hat einen mehrtägigen Stopp in seinem belgischen Werk angekündigt. Im Automobilsektor geht man daher davon aus, dass die Gewinne sinken werden, was sich in höheren Fahrzeugpreisen widerspiegeln kann, schreibt Bloomberg.
Auch der Einzelhandel leidet unter den Lieferschwierigkeiten. Internationale Modemarken wie Nike, Adidas oder H&M sind in einem hohen Maß von der Seefracht abhängig. Diese Unternehmen beziehen einen Großteil ihrer Waren aus Asien. Mittelfristig kann sich das auf die Verkaufspreise auswirken. Das Gleiche gilt für Lebensmittel, die aus dem Nahen Osten oder Asien importiert werden. Bloomberg schätzt, dass die aktuellen Kosten in der Containerschifffahrt ab Ende 2024 und Anfang 2025 die Inflationsrate im Euroraum in die Höhe treiben werden, sofern die Konflikte im Roten Meer anhalten.
Doch nicht alle Parteien tragen nur negative Konsequenzen davon, wie Bloomberg erklärt: „Die Gewinne globaler Schiffsunter
nehmen, wie Hapag-Lloyd, werden durch die aktuellen Ereignisse angekurbelt“. Die Containerpreise seien um 300 Prozent gestiegen, wodurch auch der Profit gesteigert wird.
Luftfrachtunternehmen wie Cargolux als potenzielle Sieger
Um Lieferengpässen entgegenzuwirken, prognostiziert Benny Mantin, dass Unternehmen auf den Luftverkehr zurückgreifen werden, um Transportzeiten geringer zu halten und Produktmangel zu vermeiden. „Für den Transport von spezifischen Produkten zwischen Europa und Asien wird dies wahrscheinlich der Fall sein“, beschreibt Anne-Catherine Benoy, Kommunikationsreferentin bei CFL Multimodal. Für Luftfrachtgesellschaft Cargolux sei dies eine gute Nachricht, so Mantin.
Moa Sigurdardottir, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei Cargolux, schließt sich dem an. Dennoch „kann der Luftverkehr nicht die gesamte Seefracht auffangen, so dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass die Logistiklinien trotzdem beeinträchtigt werden“, erklärt sie weiter.
Logistikbranche hadert mit Personalmangel
„Die Logistik spürt es sofort, wenn die Wirtschaft einbricht, da sie der verlängerte Arm der Wirtschaft ist“, betont Daniel Kohl vom Cluster for Logistics. Doch nicht nur die Geopolitik erschwert den Warenhandel. Auch der Fachkräftemangel, der in der Branche herrscht, stellt die Logistikunternehmen vor große Herausforderungen, so Janine Weber, Managerin von Dachser Luxemburg.
Daniel Kohl weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „in zehn Jahren 25 Prozent der LKWFahrer in Luxemburg in Rente gehen und nur fünf bis acht Prozent der 21- bis 25-Jährigen kommen wieder nach“. Es sei allgemein schwierig, Lastwagenfahrer zu finden und einzustellen.
Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, braucht es Lösungen. Anne-Catherine Benoy, Sprecherin von CFL Multimodal, erläutert einen möglichen Ansatz: „Wir sind davon überzeugt, dass eine Verlagerung der Gütertransporte auf die Schiene ein Teil der Lösung sein muss.“Der intermodale Schienentransport ermögliche zudem eine erhebliche Einsparung der CO2Emissionen. Dachser in Grevenmacher wiederum bietet Nachwuchstalenten eine grenzüberschreitende Ausbildung, mit einer aktuellen Übernahmequote von 100 Prozent, erklärt Janine Weber. Das soll den Beruf attraktiver machen.