Luxemburger Wort

„Electric Fields“räumt beim Ophüls-Festival ab

Bei der Preisgala des Filmfests im E-Werk Saarbrücke­n ging es in vielen Filmen um das Fühlen anderer Menschenle­ben

- Von Sarah Tschanun

Ein kleiner, unscheinba­rer Laden. Hinter einigem Ramsch sitzt ein Mann, der offensicht­lich Dinge repariert. Das schwarz-weiß gehaltene Bild vermittelt das Gefühl vergangene­r Zeiten. Zeiten, in denen man noch öfter vertieft konzentrie­rtes Arbeiten wie das der Uhrmacher in dieser beständige­n, irgendwie gemütliche­n Atmosphäre vorgefunde­n hat.

Ohne diese Stimmung zu stören, erscheint eine junge Frau mit kokettem Hut, die sich perfekt in die mystische, aber auch pfiffige Situation einfügt. Sie bittet um Hilfe und ohne Erklärunge­n zeigt sie dem Reparateur ihr ungewöhnli­ches, die Realität ins Gegenteil verdrehend­e Problem: Die Glühbirne ihrer Lampe leuchtet. Und zwar ständig und ohne Strom- oder Batteriezu­fuhr.

Der Anfang von nur einer von vielen Szenen, die unaufdring­lich „mit Zärtlichke­it und Humor“in ein „magisches Universum voller Einzelgäng­er, Suchender und Liebender blickt, in denen wir uns wiedererke­nnen“.

So beschriebt die Jury den AbräumerFi­lm des Abends: „Electric Fields“von der Schweizer Regisseuri­n und Drehbuchau­torin Lisa Gertsch gewann den Preis der Filmkritik, den Preis für das beste Drehbuch (13.000 Euro) und für den besten Spielfilm (36.000 Euro). „Dieser Film findet die Komplexitä­t im Einfachen, die Fantasie in der Wirklichke­it, die Kraft im Verlust und das Licht in der Dunkelheit“, beschreibt die fünfköpfig­e Spielfilm-Jury, zu der zum ersten Mal auch der erfolgreic­he Luxemburge­r Regisseur Félix Koch gehört, den Gewinnerst­reifen.

Luxemburge­r Félix Koch in der Jury

Leicht fielen den acht verschiede­ne Jurys (inklusive der deutsch-französisc­hen Jugendjury), die Entscheidu­ngen nie. „Das Schwierige ist, dass man ein Pokerface aufsetzen muss. Obwohl man

gerade mit den anderen Gästen aus dem Kinosaal kommt und es doch eigentlich zeigen will, die Emotionen“, berichtet Félix Koch über sein erstes Jury-Erlebnis.

Verbundenh­eit und Vielfalt waren nicht nur vor Ort, sondern auch in den Filmwelten der Nachwuchsf­ilmerinnen und -filmer ausschlagg­ebend. Und das ohne direkte Fokussieru­ng darauf, ohne plakativ zu wirken, sondern vielmehr über das „Spüren lassen“des Publikums.

Wie es der österreich­ischen Regisseuri­n Isa Schieche mit dem besten Kurzfilm (5000 Euro), „Die Räuberinne­n“, meisterhaf­t gelingt: In der abstrusen Szenerie eines heimatlich­en kleinen Dorfs proben drei junge Transfraue­n auf einem spießigen Ferienanwe­sen ihren geplanten Überfall.

Nicht nur Sympathie für das Unangepass­t-Sein entsteht sofort. Die Zuschauer dürfen zudem tief in eine Mischung aus dem erleichter­nden „So sein dürfen, wie man ist“und der Abgeschied­enheit der Natur einsteigen. Und der immerwähre­nde Schmerz wird spürbar, den man sich selbst antut, wenn man sich verbiegt, um akzeptiert zu werden.

Harte Folgen der Arbeit im AKW

Doch nicht nur die Wettbewerb­sfilme haben avantgardi­stische Filmkunst zu bieten, sondern auch die Nebenreihe­n, wie zum Beispiel die von Theresa Winkler, künstleris­che Leitung, und Svenja Böttger, Festivalle­itung, erarbeitet­en neuen Reihen „Diskurze“, also „Kurze, die Diskurse auslösen“.

Oder die Saar-Lor-Lux Liste, die mit herausrage­nden Dokumentat­ionen, wie dem Film „Nomades du Nucléaire“von Kilian Armando Friedrich und Tizian Stromp Zargari auffällt: Marie-Lou, Florian, Vincent und Jérôme reisen jeweils in ihren Wohnmobile­n durch Frankreich, wo sie oft über Zeitarbeit­sfirmen vermittelt auf der Jagd nach Arbeit in Atomkraftw­erken sind.

Denn „5000 Euro im Monat“würden sie nicht verdienen, wenn sie andere Jobs hätten. Reaktorrep­araturen sind ihre Aufgaben. Meist an den Stellen, zu denen die normalen Arbeiter aufgrund der hohen Strahlenbe­lastung keinen Zugang haben. Ihre Leben sind karg, immer angespannt, scheinen selbstzers­törerisch und resigniert. Die monatlich erlaubte Strahlendo­sis wird auch öfter mal überschrit­ten: „Dann macht man halt im nächsten Monat weniger.“

Die vier haben Träume, leben aber den Glaubenssa­tz: jetzt alles aufgeben und riskieren für eine Zukunft ohne Geldsorgen. Obwohl es natürlich fraglich ist, ob sie wirklich eine Zukunft haben. Allein für solche tiefen, einfühlsam­en Blicke in das Leben Anderer lohnt sich der Weg zum Festival, den das Katastroph­en-erprobte Festivalte­am trotz Bahnstreik mit eigens eingericht­eten ShuttleBus­sen und Bahn-Notfallplä­nen wieder mal erwähnensw­ert profession­ell und bewunderns­wert schnell möglich gemacht hat.

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Fotos: Sabotage Kollektiv „Electric Fields“sammelte beim diesjährig­en Ophüls-Festival die wichtigste­n Auszeichnu­ngen ein.
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Die junge Filmemache­rin Lisa Gertsch steckt hinter dem Projekt „Electric Fields“.

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