„Er fräst bis zum Nerv, um eine Wurzelbehandlung zu provozieren“
Aus Gier soll Dr. Mattiuzzi die gesunden Zähne seiner Patienten geschädigt haben. In Luxemburg darf er seit heute nie mehr arbeiten
„Der schlechteste Zahnarzt, den ich je in meinem Leben hatte“, beginnt ein Mann seine Google-Bewertung über Dr. Patrice Mattiuzzi. „Ich habe über 2.000 Euro ausgegeben, um meine Zähne beim Kieferorthopäden reparieren zu lassen, aber dieser Mann hat sie mir in einem einzigen Termin ruiniert“, schreibt eine Frau. „Hat meine Zähne so ‚behandelt‘, dass ich ein paar Wochen später an der Notaufnahme landete“, lautet die Bewertung einer anderen.
Neben schwerer Behandlungsfehlervorwürfen finden sich auch einzelne Nutzer des Online-Portals, die den Zahnarzt aus Bartringen, in höchsten Tönen loben. Der Wahrheitsgehalt all dieser Rezensionen kann nicht überprüft werden. Fakt ist: Der seit 2014 in Luxemburg niedergelassene Arzt darf ab heute nicht mehr hierzulande praktizieren.
Das lebenslange Berufsverbot, zu dem der Mediziner kurz vor Weihnachten in zweiter Instanz von einem Disziplinarausschuss der Ärztekammer verurteilt worden ist, ist in Kraft. Es ist die Höchststrafe, die der Ausschuss verhängen kann. Wie aus dem schriftlichen Urteil hervorgeht, soll der Mann unter anderem Sozialversicherungsgelder erschlichen und grobe Behandlungsfehler begangen haben.
Behandlungen ohne Patientenzustimmung
Die Behandlungsfehler sollen dabei nicht fahrlässig, sondern in einem vollen Bewusstsein geschehen sein, um teure Behandlungen verrechnen zu können. „Die meisten Wurzelkanalbehandlungen werden von Dr. Patrice Mattiuzzi selbst provoziert, indem er bis zum Nerv fräst, um eine Wurzelbehandlung zu provozieren und überkronen zu können“, sagt eine ehemalige Assistentin des Arztes im Zuge des Disziplinarverfahrens. Dies würde er sogar bei 15-jährigen Patienten so machen.
Eine andere Mitarbeiterin berichtet von einem ähnlichen Vorgehen: Dr. Patrice Mattiuzzi röntgt neue Patienten zwar nicht routinemäßig. „Es kommt aber immer häufiger vor, dass er gesunde Zähne fräst und erst danach eine Röntgenaufnahme macht.“Der Arzt soll auch systematisch Amalgamfüllungen durch andere Füllungen ersetzt haben – ohne Zustimmung der Patienten und ohne vorherige Diagnose.
Dr. Patrice Mattiuzzi soll dabei unter unzureichenden hygienischen Bedingungen gearbeitet haben. Das geht auch aus einem Bericht der Santé nach einer Kontrolle im Jahr 2017 hervor: „Aufgrund dieser Feststellungen musste ich davon ausgehen, dass die zur Behandlung der Patienten gebrauchten Instrumente nicht ordnungsgemäß nach Gebrauch sterilisiert werden und somit eine direkte Infektionsgefahr für nachbehandelnde Patienten und die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung besteht“. Wie RTL vergangene Woche berichtete, musste die Praxis auf Anordnung der Gesundheitsbehörde vorübergehend geschlossen werden. Aus dem schriftlichen Urteil der Disziplinarkommission geht unterdessen hervor, dass auch eine Mitarbeiterin deutliche Zweifel an der Händehygiene des Mannes geäußert hatte.
Strafverfahren steht noch aus
Eine Analyse der Daten der CNS zeigt auch Ungereimtheiten bei den Abrechnungen auf. So soll Patrice Mattiuzzi deutlich mehr Behandlungen abgerechnet haben als seine Berufskollegen. Und dies, obwohl der Arzt in seiner Praxis nur über einen Behandlungsstuhl und zwei Assistentinnen verfügte. In einem Vergleich im schriftlichen Urteil stehen den etwa 5.600 abgerechneten Leistungen von Mattiuzzi, nicht einmal die Hälfte an Behandlungen der zweitplatzierten Zahnarztpraxis gegenüber.
Die Abrechnungsmethoden des Zahnarztes sind auch Gegenstand eines Strafverfahrens. Wie Reporter.lu berichtet,
wird seit 2017 gegen den Arzt ermittelt, nachdem die CNS unter anderem Anzeige wegen Fälschung und Betrug erstattet hatte. Wegen ähnlicher Vorwürfe sei er im Mai 2022 in Frankreich zu einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten, einer Geldstrafe von 250.000 Euro und einem fünfjährigen Berufsverbot verurteilt worden.
Bereits zwischen Januar 2015 und Juni 2018 durfte der Mann dort nicht arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt war Patrice Mattiuzzi schon in Luxemburg aktiv. 2014 hatte er eine Praxis in Bartringen übernommen. Ein Jahr zuvor begannen seine Anstrengungen, sich in Luxemburg niederzulassen, nachdem er in seiner Heimat bereits ein erstes Mal wegen illegaler Abrechnungen zu einer Geldbuße von 30.000 Euro verurteilt worden war. Da er laufende Straf- und Disziplinarverfahren gegen sich gegenüber dem Collège médical verschwiegen hatte, war ihm 2016 hierzulande für drei Monate die Berufserlaubnis entzogen worden.
Lange Verfahrensdauer
Zwischen dem nunmehr verhängten lebenslangen Berufsverbot und der Einleitung des Disziplinarverfahrens durch das Collège médical liegen fast sechs Jahre. Allein das Berufungsverfahren hat zweieinhalb Jahre in Anspruch genommen. Nachdem Dr. Mattiuzzi gegen ein erstinstanzliche Berufsverbot von drei Jahren Einspruch eingelegt hatte, wurde drei Monate nach dem Urteil eine Verhandlung für den 17. Mai 2021 anberaumt. Mehr als ein Dutzend Mal musste in der Folge aus unterschiedlichen Gründen und meist auf Drängen des Angeklagten ein neuer Termin gefunden werden.
Im Zuge des Verfahrens ging Patrice Mattiuzzi auch rechtlich gegen Zeugen vor. Insgesamt reichte der Mann gegen 14 Personen, darunter Patienten und Mitarbeiter, eine Direktklage ein. Über deren Stand liegen dem LW keine Informationen vor. Der Disziplinarausschuss sah jedoch keinen Grund zur Annahme, dass der Ausgang der Klagen einen Einfluss auf das Urteil haben könnte.