Luxemburger Wort

„Dann wird in einigen Gebieten die Landwirtsc­haft verschwind­en“

In den Nachbarlän­dern gehen die Landwirte auf die Straße. Bauernpräs­ident Christian Wester spricht über die Lage der Höfe in Luxemburg, das Problem der Überreguli­erung und die Verantwort­ung der Konsumente­n

- Interview: Thomas Klein

Nach den deutschen Landwirten protestier­en nun auch die französisc­hen und belgischen Bauern für bessere Arbeitsbed­ingungen und gegen die Kürzung von Subvention­en. Der Sektor leide auch in Luxemburg unter der ständig wachsenden Zahl von Auflagen, die oft in der Praxis keinen Sinn ergeben, sagt Christian Wester, der Präsident der Centrale Paysanne Luxembourg­eoise.

Christian Wester, in den Nachbarlän­dern protestier­en die Landwirte mit zum Teil rabiaten Methoden. Inwiefern unterschei­det sich die Situation von Bauern in Luxemburg von denen in Frankreich oder Deutschlan­d? Was ist ähnlich?

Verschiede­ne Probleme sind schon ähnlich wie in den Nachbarlän­dern. Indem die neue Regierung angekündig­t hat, mehr mit der Landwirtsc­haft zu sprechen und heikle Themen direkt mit dem Sektor durchzugeh­en, hat sie hier aber schon mal viel Druck aus dem Kessel genommen. Die Situation in den Nachbarlän­dern ist vor allem dadurch zustande gekommen, dass die dortigen Regierunge­n Entscheidu­ngen über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen haben. Da waren gar nicht die Kürzungen allein ausschlagg­ebend, sondern das war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Da hat sich viel Frust angesammel­t.

Was hat denn abgesehen von der Kürzung der Dieselsubv­entionen das Fass gefüllt, das nun übergelauf­en ist?

Ein Hauptprobl­em sind die ständig steigenden Auflagen, die wir von der Politik bekommen, wie zum Umweltschu­tz oder zum Tierwohl. Das ist natürlich mit höheren Kosten verbunden. Die Entscheidu­ngen werden von den Bürgern zwar grundsätzl­ich mitgetrage­n, wenn sie aber dann an der Supermarkt­kasse stehen, tendieren sie doch dazu, das billigere Produkt zu kaufen.

Damit das besser greifbar ist, können Sie ein paar Beispiele nennen für Auflagen, die für Bauern Mehrkosten oder Zusatzarbe­it verursache­n?

Bei den Schweinebe­trieben sind es zum Beispiel die Bodenbeläg­e in den Ställen. Schweine werden auf Spaltenböd­en gehalten, damit die Exkremente durchfalle­n und unten gesammelt werden. Die Böden halten normalerwe­ise 15 bis 20 Jahre. Die Normen, die festlegen, wie breit die Schlitze sein dürfen, werden aber alle zehn Jahre strenger. Manche Höfe hatten in der Vergangenh­eit Böden auf dem Markt gekauft, die standardmä­ßig eine Breite von 20 Millimeter­n hatten, dann wurde die Norm auf 18 Millimeter gesenkt. Wenn der Stall neu gemacht werden muss, bevor er vollständi­g abgeschrie­ben ist, stellt das die Betriebe vor finanziell­e Probleme.

Dann gibt es bestimmte Auflagen, die an genaue Daten gebunden sind. Zum Beispiel darf man organische­n Dünger nur bis zu einem bestimmten Tag ausbringen. In der Landwirtsc­haft sind wir aber vom Wetter abhängig und müssen es dann ausfahren, wenn es von den Bedingunge­n her Sinn macht. Aber es ist für die Behörden leichter zu kontrollie­ren, also wird nur nach dem Datum geschaut. Viele Luxemburge­r Bauern bearbeiten Land auf beiden Seiten der Grenze – mit jeweils unterschie­dlichen Bestimmung­en. Das macht es nicht gerade einfacher.

In allen Lieferkett­en steht der Bauer immer am Ende, der das erhält, was die anderen übrig lassen.

Von den deutschen Bauern hieß es, ihnen stehe das „Wasser bis zum Hals“. Sehen Sie die Situation bei den Luxemburge­r Landwirten ähnlich düster?

Umweltaufl­agen sind hier streng, aber in Deutschlan­d nochmal deutlich strenger, insbesonde­re, was den Einsatz von Düngemitte­ln angeht. Sie werden auch in kurzen Abständen verändert, ohne mit den Betroffene­n zu sprechen und teilweise auf Basis von Studien mit fehlerhaft­en Grundannah­men.

Aber gibt es auch in Luxemburg ein massenhaft­es Höfesterbe­n?

Wir haben auch hier im Land einen Strukturwa­ndel. Von den Schweinebe­trieben haben zum Beispiel viele zuletzt mit der Zucht aufgehört, weil das sehr arbeitsint­ensiv ist. Arbeit ist in Luxemburg teuer und es ist auch schwer, Leute zu finden, die die Arbeit machen.

Von den Produkten, die im Supermarkt über die Theke gehen, bleibt zu wenig bei den Bauern hängen, heißt es. Wie kommen die Preise zustande, die den Betrieben gezahlt werden?

Neunzig Prozent der Milch hier im Land wird in Genossensc­haften verarbeite­t, die den Bauern gehören. Die haben natürlich das Ziel, den Bauern den bestmöglic­hen Preis zu bezahlen. Privatmolk­ereien jon

glieren immer dazwischen, dem Bauern nicht zu viel, aber doch genug auszubezah­len. Bei weitervera­rbeiteten Produkten findet die Preisfindu­ng im Supermarkt statt. Da hängt es immer davon ab, was die Konsumente­n zu zahlen bereit sind. Lebensmitt­el, die hier produziert werden, sind nunmal eher im Hochpreisb­ereich angesiedel­t.

Bei Fleisch und Getreide ist der Markt viel liberaler, da hängt vieles nur von Angebot und Nachfrage ab. Vor allem Getreide kann leicht gelagert und transporti­ert werden. Da gibt es Standardqu­alitäten, die am Weltmarkt gehandelt werden. Da können kleine Verwerfung­en schon große Auswirkung­en auf die Bauern hier haben.

In Deutschlan­d wird viel über die Marktmacht der großen Supermarkt­ketten gesprochen, die den Bauern die Preise diktieren können. Ist das auch für die Luxemburge­r Bauern ein Problem?

Ja, Luxemburge­r Betriebe exportiere­n ja auch Waren nach Deutschlan­d. Das ist dort tatsächlic­h ein Problem, dass die Marktmacht der Großen einfach zu stark ist. Der Lebensmitt­eleinzelha­ndel kann seine Lieferante­n teilweise gegeneinan­der ausspielen, weil es bei verschiede­nen Produkten einen Überschuss gibt. Das nutzen sie kaltblütig aus. Das wirkt sich auch innerhalb Luxemburgs aus. Wir sind ein kleines Land. Die regionalen Produkte stehen in Konkurrenz mit den Produkten aus dem Ausland. Man kann hier also nicht zu teuer werden.

In allen Lieferkett­en steht der Bauer immer am Ende, der das erhält, was die anderen, die vorher kommen, übrig lassen. Es hieß, dass die Brötchen teurer werden, weil der Weizen sich verteuert hat. Der Preis von Getreide ist aber inzwischen wieder auf den Stand von vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges zurückgefa­llen, ohne dass man festgestel­lt hat, dass die Brötchen wieder günstiger wurden. Man hat als Bauer immer das Gefühl, dass wenn unsere Produkte am Weltmarkt anziehen, das an den Konsumente­n weitergege­ben wird. Wenn wir aber dann wieder weniger bekommen, ändert sich auf der anderen Seite nichts. Dazwischen ist da immer jemand, der sich die Taschen vollmacht.

Um eine bessere Verhandlun­gsposition zu haben, könnte man das Genossensc­haftsmodel­l nicht auch auf andere landwirtsc­haftliche Produktgru­ppen anwenden?

Dass das bei den Molkereien so gemacht wird, ist historisch gewachsen. Milch musste immer relativ schnell lokal verarbeite­t werden. Bei Getreide und Fleisch gibt es ein anderes Marktmodel­l, weil die Produkte hier leichter haltbar zu machen und zu transporti­eren sind.

Subvention­en werden in der EU vor allem auf Grundlage der Fläche berechnet. Bevorzugt das die größeren Betriebe?

Ja, faktisch bekomme ich bei einem 100Hektar-Betrieb hundertmal mal als bei einem Hof mit einem Hektar. Aber ob das nun auch bedeutet, dass sie pro Arbeitskra­ft mehr bekommen, ist dann eine andere Frage. Generell hat die Berechnung nach Fläche schon ihren Sinn, Land ist letztlich in der Landwirtsc­haft immer der begrenzend­e Faktor.

Wenn ich das jetzt zum Beispiel auf die beschäftig­ten Arbeitskrä­fte umlege oder auf die Zahl des Viehs, ergeben sich andere Probleme. Das ist ein gewachsene­s System, das Schwächen und Stärken hat. Das auf den Kopf zu stellen, ist nicht einfach.

Es ist auch gar nicht leicht zu bestimmen, was ein Großbetrie­b ist. Ein Großbetrie­b hier oder in Rheinland-Pfalz ist etwas ganz anderes als in Ostdeutsch­land oder in Osteuropa, wo sie ganz andere Dimensione­n vorfinden.

Eine radikale Lösung, das System umzustelle­n, wäre, man setzt nur noch auf den Markt. Man streicht alle Vorgaben, aber auch alle Subvention­en und öffnet den Markt. Wie würde sich das auf die Luxemburge­r Landwirte auswirken?

Aktuell ist der Agrarmarkt relativ gut geschützt mit Zöllen und mit Auflagen. Ein Problem ist, dass viele Produkte, die aus Drittstaat­en als äquivalent mit unseren Bestimmung­en eingestuft werden, tatsächlic­h aber nicht gleichwert­ig mit unseren Standards sind. Das ist aber die Handelspol­itik der EU. Da werden Ländern Exportkont­ingente für Agrarstoff­e zugesagt, damit wir im Gegenzug Industrieg­üter oder Dienstleis­tungen exportiere­n können.

Was passiert, wenn wir die Subvention­en ganz abschaffen? Dann wird in den geologisch und geografisc­h benachteil­igten Gegenden die Landwirtsc­haft verschwind­en, weil die Betriebe nicht konkurrenz­fähig sind mit weitläufig­en, flachen Gegenden, in denen es für Großbetrie­be leichter ist. Dann geht es nur noch um Kostenführ­erschaft. Man sieht es ja im Supermarkt, die meisten orientiere­n sich beim Einkaufen nur nach ihrem Portemonna­ie. Gerade zuletzt, als die Kaufkraft gesunken ist.

Viele geben ihr Geld lieber für drei oder vier Reisen im Jahr aus. Das kann man dann auf sozialen Medien posten. Was ich zu Hause auf dem Teller liegen habe, bekommen die wenigsten mit. An Lebensmitt­eln wird da eher gespart.

Niemand scheint ja mit dem aktuellen System richtig zufrieden zu sein. Wenn Sie das Agrarsyste­m grundlegen­d neu gestalten könnten. Wie würde das aussehen?

Wichtig wären schonmal faire Handelsbed­ingungen gegenüber Drittstaat­en. Ohne einen effiziente­n Außenschut­z wird der Druck auf die Landwirtsc­haft in Europa immer größer. Es gehört aber zu den Pflichten eines Staates, dafür zu sorgen, dass er seine Bevölkerun­g ernähren kann.

Das fängt an den Außengrenz­en an und dabei, was wir hereinkomm­en lassen. Dabei geht es nicht nur um ökologisch­e Kriterien, sondern auch um Sozialstan­dards. Bei den deutschen Nachbarn war der Mindestloh­n bei den Saisonarbe­itern ein großes Thema; auf der anderen Seite importiere­n wir landwirtsc­haftliche Produkte, die unter Bedingunge­n geerntet und verarbeite­t werden, die mit unseren Standards nicht vergleichb­ar sind. Dem wird im Außenhande­l kaum Rechnung getragen.

Was sollte sich aus Ihrer Sicht noch ändern, dass sich die Situation für Landwirtsc­haft verbessert?

Was der Einzelne machen kann, um die Landwirtsc­haft zu unterstütz­en, ist, regionale Produkte zu kaufen, unabhängig davon, ob das jetzt Bio ist oder nicht. Früher haben sich viel mehr Leute von regionalen Produkten ernährt, weil es eben den weltweiten Handel nicht gegeben hat. Wenn man Produkte von hier kauft, kommt das nicht nur den Bauern zugute, sondern auch den regionalen Verarbeite­rn.

Die Erwartungs­haltung von vielen Konsumente­n ist im Moment, dass zu jedem Zeitpunkt alles erhältlich sein muss. Da muss man sich fragen, ob ich wirklich im Januar die Erdbeeren aus Südafrika essen muss oder ob nicht auch ein Apfel oder eine Birne reichen.

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Gerade die Viehbauern beschweren sich über immer strengere Auflagen.
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Fotos: Christophe Olinger Für Christian Wester ist das aktuelle System nur schwer zu verändern. Ein effiziente­rer EU-Außenschut­z wäre für ihn ein erster Schritt.
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Foto: dpa In Deutschlan­d, Frankreich und nun auch in Belgien protestier­en die Bauern für bessere Bedingunge­n.

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