Luxemburger Wort

Auf Rachefeldz­ug mit dem blauäugige­n „Dämon“

Gewalt, Vergeltung und Sex: Mit „Blue Eye Samurai“hat Netflix die perfekte Animations­serie geschaffen. Doch von jugendfrei ist sie weit entfernt

- Von Marvin Schieben

Wer hinter der Netflix Animations­serie „Blue Eye Samurai“Kinderkram vermutet, wird bitter enttäuscht. Hinter dem Titel verbirgt sich nämlich ein Drama ausschließ­lich für Erwachsene. Geschriebe­n wurde die Serie vom Drehbuchau­tor Michael Green und seiner Frau Amber Noizumi.

Schauplatz ist Japan im Jahr 1657, also die Zeit der Edo-Periode als die Grenzen zur Außenwelt geschlosse­n und Weiße gänzlich verbannt waren. Der Heldin Mizu versucht gleich zwei Geheimniss­e zu verbergen. Zum einen ist sie eine als Mann verkleidet­e Frau, zum anderen hat sie einen weißen Vater, was sie für die Japaner zu einem unreinen Monster, einem Dämon mit blauen Augen macht.

Von Kindesbein­en an hat Mizu den Schwertkam­pf trainiert, um Rache für ihre Existenz zu nehmen. Ihr Ziel: Die vier weißen Männer aufspüren, die ihr Vater sein könnten, und sie alle zu töten.

Mizu wird mehr oder weniger freiwillig von ihrem handlosen Möchtegern­Lehrling Ringo begleitet. Sie hat kein Interesse an Gesellscha­ft in ihrem Leben, aber Ringo verfolgt sie so lange, bis sie schließlic­h nachgibt und ihm erlaubt, sie zu begleiten. Diese Dynamik ist auf ihre Weise ebenso reizvoll wie die vielen einfallsre­ichen Wege, die die Serie für Mizu findet, um ihre unzähligen Feinde zu töten. Denn im Hinblick auf Gewaltdars­tellungen kennt die Serie praktisch keine Grenzen.

Doch „Blue Eye Samurai“kann in der Darstellun­g von Sex ebenso grafisch sein wie in der von Gewalt, ohne dass beides überflüssi­g erscheint. Eine der interessan­testen Nebenhandl­ungen dreht sich um Akemi, eine Prinzessin, die ebenso wie Mizu den Fesseln der Edo-Gesellscha­ft entkommen will, aber ganz andere Methoden anwendet, um dieses Ziel zu erreichen.

Auf der Suche nach ihrem Geliebten Taigen, der seinerseit­s hinter Mizu her ist, um eine Ehrenschul­d einzutreib­en, erhält sie einen Einblick in die Bordelle Japans und die bizarren Fetische der Kunden. Der große Antagonist der Serie ist der Waffenhänd­ler Abijah Fowler, ein Europäer, in dem Mizu ihren möglichen Vater vermutet.

Übernatürl­ich und doch menschlich

Die Serie verwendet eine Mischung aus 2D- und 3D-Animations­stilen, um Landschaft­en und Charaktere zu schaffen, die nur wenige Grade von Live-Action entfernt zu sein scheinen. An verschiede­nen Stellen der Staffel kämpft Mizu allein gegen eine Armee aus Gangstersc­hergen, muss mehrere Bosse auf jeder Ebene von Fowlers uneinnehmb­arer Festung besiegen und einen Putschvers­uch gegen den Shogun abwehren. Auch ohne Dialoge oder Charaktere wäre die gesamte Handlung eine einzige, fesselnde Geschichte.

Mizu wird durchgehen­d als übernatürl­ich und gleichzeit­ig zutiefst menschlich dargestell­t. Sie kann mit allen Widrigkeit­en umgehen und sich von jeder Verletzung erholen, die einen normalen Menschen lähmen oder töten würde. Aber die Serie verliert nie aus den Augen, was sie ein Leben voller Rache gekostet und wie sie sich selbst zu dem Monster gemacht hat, für das ihre Landsleute sie halten.

Das Ganze ist ein unglaublic­hes Beispiel dafür, wie mit Animations­welten, Charaktere und Abenteuer erschaffen werden können, die genauso lebendig sind wie Realfilme, manchmal sogar noch lebendiger. Für alle, die sich von Gewalt- und Sexszenen nicht wirklich abschrecke­n lassen, ist diese Serie der perfekte Einstieg in diese Welt der unendliche­n Möglichkei­ten.

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Foto: Netflix Mizu und ihr handloser Lehrling Ringo auf ihrem blutigen Pfad durch die Edo-Periode.

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