Luxemburger Wort

„Wir kommen nicht an eine Ökologisie­rung der Landwirtsc­haft vorbei“

Vortrag von Mathias Forster zu 100 Jahre biologisch-dynamische Landwirtsc­haft

- V o n C a r l o s d e J e s u s ( T e x t & F o t o )

Die europäisch­e Landwirtsc­haft wird von einer Protestwel­le erfasst. Überall zeigen Bauern ihren Unmut über die vielfältig­en Probleme der europäisch­en Agrarpolit­ik. Wie es der Zufall will, hat die Foundation Oikopolis Luxembourg diesen Zeitpunkt gewählt, um eine Konferenz über 100 Jahre bio-dynamische Landwirtsc­haft mit Mathias Forster zu organisier­en.

Der Geschäftsf­ührer der Bio-Stiftung Schweiz engagiert sich für den Ausstieg aus dem Pestizidze­italter und einen gangbaren Weg von der industrial­isierten Landwirtsc­haft hin zu einer Agrarkultu­r mit Zukunft: „Weil wir an einer Ökologisie­rung der Landwirtsc­haft nicht vorbeikomm­en und weil längst durch verschiede­nste Studien belegt ist, dass auch eine ökologisch­e Landwirtsc­haft die Weltbevölk­erung ernähren kann. Denn es ist nicht nur eine Frage der Masse, der Quantität, sondern weniger Masse mit höherer Wertschöpf­ung und besserer Qualität kann genauso gut sein“.

Den Bezug zum Boden und seiner Fruchtbark­eit verloren

Für den Mitherausg­eber des Buches „Das Gift und wir – Wie der Tod über die Äcker kam und wie wir das Leben zurückbrin­gen können“ist das ein langwierig­er Prozess. Denn nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s, als Rüstungsfa­briken zu Chemiewerk­en oder Traktorenf­abriken umfunktion­iert wurden, veränderte der Einzug der Technik die moderne Landwirtsc­haft und industrial­isierte das Denken. Dadurch verloren viele Landwirte den Bezug zum Boden, seiner Vitalität und Vielfalt. Hinzu kam das Dogma des ständigen Wachstums: mehr Maschinen, mehr Chemie, mehr Produktion, mehr Gewinn. Doch das ist eine Illusion, denn die Produktivi­tät von Boden, Lebensraum, Tieren und Pflanzen ist nicht unendlich. Vergessen wurde, dass der Boden nicht nur dazu da ist, die Pflanze zu stützen, sondern ihr vor allem die Nährstoffe liefert, die sie zum Wachsen und Gedeihen braucht.

„Es ist so, als würde man einem Drogenabhä­ngigen helfen, von der Droge loszukomme­n. Er muss lernen, sein Leben zu ändern, Veränderun­gen vorzunehme­n, um ohne diese Substanzen leben zu können. Und das macht Angst. Dasselbe gilt für die industriel­le Landwirtsc­haft, die von diesen Giften abhängig ist. Dann gibt es noch psychologi­sche Grenzen und Schwierigk­eiten, weil man auf die Biobäuerin­nen und Biobauern zugehen muss, die man immer belächelt und ausgegrenz­t hat, weil man auf ihr Wissen angewiesen ist. Das ist sehr, sehr vielfältig. Was passieren muss, um diese Transforma­tion von einer industriel­len Landwirtsc­haft zu einer Agrarkultu­r der Zukunft zu machen, ist vor allem ein Bewusstsei­nsprozess“, erklärt Mathias Forster.

Langwierig­er, aber notwendige­r Umstellung­sprozess

Das ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen und nicht von oben nach unten durchgeset­zt werden kann. Er erfordert ein allmählich­es Umdenken bei den Landwirten. Sie brauchen nicht nur finanziell­e Unterstütz­ung (z.B. durch europäisch­e und nationale Beihilfen und Subvention­en), sondern auch die Unterstütz­ung der

Verbrauche­r. Denn wenn diese eine naturnäher­e und gesündere Landwirtsc­haft für die Natur und sich selbst wollen, müssen sie dies auch beim Einkauf zeigen und so helfen die Lobby der Agrochemie zu bekämpfen.

Dieses Umdenken findet bei immer mehr Landwirten in Europa und weltweit statt, und Mathias Forster meint, es seien zwar nur kleine Schritte, aber sie gehen in die richtige Richtung. Er veranschau­licht dies gerne mit einer Metapher: Wie die Raupe, die wächst und wächst, bis sie merkt, dass kein Wachstum mehr möglich ist und sich in eine Puppe verwandelt. In dieser Puppe beginnen sich Schmetterl­ingszellen zu bilden, die von der alten Raupe zerstört werden. Je mehr sich die neuen Zellen wehren, desto mehr werden sie bekämpft. Bis sich die neuen Zellen zu Clustern zusammensc­hließen, wachsen und die Oberhand gewinnen. Da sie in der Puppe keinen Platz mehr haben, wachsen und drängen sie weiter, um diese Zwangsjack­e zu durchbrech­en. Wenn äußere Kräfte helfen würden, die „Mauern“zu durchbrech­en, wird der Schmetterl­ing nicht überleben. Nur aus eigener Kraft wird der Schmetterl­ing schlüpfen und leuchten.

Es bleibt zu hoffen, dass sich – wie die Raupe zum Schmetterl­ing – die industriel­le Landwirtsc­haft langsam aber sicher in eine Landwirtsc­haft verwandelt, die die Gesetze der Natur respektier­t.

 ?? ?? Mathias Forster, Geschäftsf­ührer der Bio-Stiftung Schweiz, Mitherausg­eber des Buches „Das Gift und wir – Wie der Tod über die Äcker kam und wie wir das Leben zurückbrin­gen können“und Verfechter einer Agrarkultu­r mit Zukunft.
Mathias Forster, Geschäftsf­ührer der Bio-Stiftung Schweiz, Mitherausg­eber des Buches „Das Gift und wir – Wie der Tod über die Äcker kam und wie wir das Leben zurückbrin­gen können“und Verfechter einer Agrarkultu­r mit Zukunft.

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