Alle gegen Orbán
Ungarns Ministerpräsident blockiert immer wieder strategische Entscheidungen der EU. Bei diesem Gipfel könnte es allerdings ungemütlich für ihn werden
Liest man die Fachpresse, scheint die Sache klar: Der autokratische und prorussische ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat es zu bunt getrieben, und die restlichen EU-Partner haben es satt. Beim EU-Gipfel am heutigen Donnerstag (am Mittwochabend sollte bereits ein Abendessen unter den 27 EU-Staats- und Regierungschefs stattfinden) soll Klartext geredet werden.
Dass die 27 EU-Staats- und Regierungschefs überhaupt erst nach Brüssel reisen müssen, liegt auch bereits an Orbán. Ende Dezember war eigentlich geplant, bei einem regulären Gipfeltreffen die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine auf den Weg zu bringen, und weitere Finanzhilfen für das kriegsgeplagte Land im Rahmen einer Revision des EU-Haushalts zu gewähren. Doch daraus wurde nichts. Viktor Orbán akzeptierte die Beitrittsverhandlungen, blockierte aber die Finanzhilfen. Konkret geht es um 50 Milliarden Euro. Über die genauen Gründe wird bis heute spekuliert. Will Budapest die Rest-EU damit erpressen, um selber an mehr Geld zu kommen – oder will Orbán seinem Freund Wladimir Putin einfach einen Gefallen machen und Kiew weiter schwächen?
Ein Krisentreffen wurde für den 1. Februar einberufen, und die allermeisten EU-Staats- und Regierungschefs waren Ende 2023 noch zuversichtlich, spätestens dann eine einstimmige Lösung zu finden. Doch kurz vor dem Treffen deutet nicht vieles darauf hin, dass Budapest sein Veto aufgeben wird. Viktor Orbán fordert sogar noch jährliche Möglichkeiten, die Ukraine-Hilfen neu zu diskutieren (sprich: noch mehr Vetomöglichkeiten). Ansonsten würde er sich nicht daran beteiligen, und die EU müsse eben eine ad hoc Lösung finden. Diese würde wiederum deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Kiew braucht indes dringend Geld. „Die Nervosität ist derzeit sehr hoch“, sagt ein hochrangiger EU-Diplomat.
Die Drohkulisse steht ...
Der Druck steigt demnach und – laut „Politico“und „Financial Times“– gibt es in Brüssel auch schon Pläne, um Budapest zum Einknicken zu bringen. Das EU-Insider-Magazin „Politico“berichtete, einige EU-Regierungen würden mit dem Gedanken spielen, ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Ungarn starten zu wollen. Dieses Verfahren könnte letzten Endes dazu führen, die EU-Mitgliedschaft Ungarns faktisch zu suspendieren. Das Land hätte demnach kein Stimmrecht mehr in Brüssel.
Die „Financial Times“schrieb dagegen über einen Alternativplan, um die ungarische Regierung unter Druck zu setzen. Die stets sehr gut informierte britische Zeitung zitierte ein Vorbereitungspapier, wonach einige Staats- und Regierungschefs im Fall eines Scheiterns des Gipfels den Stopp sämtlicher EU-Zahlungen an Ungarn ins Gespräch bringen könnten. Dies könne dann wiederum zu sinkenden ausländischen Investitionen
und zu einem weiteren Anstieg der Finanzierungskosten des Staatsdefizits und einem Währungsverfall führen. Dadurch würde Ungarn in eine Wirtschaftskrise abrutschen. Viktor Orbáns protziges Auftreten in Brüssel kontrastiert seit jeher mit der Schwäche und den Abhängigkeiten seiner nationalen Wirtschaft (siehe Kasten).
... doch die EU-Partner halten sich bedeckt
Fakt ist aber auch, dass noch kein hochrangiger Politiker diese Pläne bestätigen wollte. Die luxemburgische Regierung behauptet indes, nichts davon zu wissen und redet lieber von der Schwierigkeit, Artikel 7 in die Wege zu leiten. Tatsächlich ist die Prozedur mühsam und langwierig. Sie muss auch einstimmig unterstützt werden. Zwar wirkt Orbán derzeit relativ isoliert, besonders seit dem Regierungswechsel in Polen, wo nun der sehr EU-freundliche Donald Tusk am Ruder ist, doch klingt dieses Szenario dennoch unwahrscheinlich.
Die luxemburgische Regierung hält sich demnach bedeckt. Außenminister Xavier Bettel (DP) und Premier Luc Frieden (CSV) eierten in den Tagen vor dem Treffen herum. „Wir müssen schauen, wie wir eine Einigung finden“, sagte Bettel am Dienstag und zeigte Dialogbereitschaft. Frieden betonte, es sei wichtig, Budapest nicht zu isolieren – wohl um zu verhindern, dass Orbán sich innenpolitisch weiter als Opfer und Rebell in Szene setzen kann.
Ob sich die Drohkulisse, die anonyme Diplomaten in der Fachpresse skizzieren, mit den realen Plänen der EU-Staatsund Regierungschefs deckt, wird sich demnach noch zeigen müssen.