Luxemburger Wort

„Kinderarmu­t ist eine Frage des politische­n Willens“

Der Opposition fehlt im Kampf gegen die Kinderarmu­t eine konkrete Strategie, die Regierung verweist auf das Koalitions­abkommen

- Von Simone Molitor

Kinderarmu­t ist in Luxemburg eine Realität, die sich laut einem Unicef-Bericht verschärft hat. Innerhalb eines Jahrzehnts ist die Armutsgefä­hrdungsquo­te bei Kindern um 3,7 Prozent auf nun 24,5 Prozent gestiegen. Mittlerwei­le gilt jedes vierte Kind als armutsgefä­hrdet. Im Koalitions­vertrag wird die Problemati­k jedoch nicht explizit erwähnt. Gestern wurde sie auf Initiative der LSAP in der Chamber diskutiert.

LSAP-Abgeordnet­e Claire Delcourt sprach in ihrer Interpella­tion mit Blick auf die Unicef-Studie von „erschrecke­nden Zahlen“: „Betroffene Familien leben permanent mit einem Damoklessc­hwert über dem Kopf und kämpfen jeden Tag, um über die Runden zu kommen. Kinder leiden besonders unter Armut, die sich oft in sozialer Ausgrenzun­g ausdrückt und Auswirkung­en auf das spätere Leben hat“, so Delcourt. Gezielte Maßnahmen seien nötig, „statt nur mit der Gießkanne vorzugehen“.

Die Vertreter der Mehrheitsp­arteien – Paul Galles für die CSV und Mandy Minella für die DP – nutzten ihre jeweilige Redezeit hauptsächl­ich dazu, die im Koalitions­programm vorgesehen­en Vorhaben aufzuzähle­n oder in der Vergangenh­eit umgesetzte Maßnahmen in die Vitrine zu stellen. „Kinderarmu­t muss besondere Aufmerksam­keit bekommen“, betonte Galles. „Auch wenn sich Maßnahmen nur indirekt an die Kinder richten, helfen sie, die finanziell­e Situation der Familie zu verbessern“, bekräftigt­e Minella. Trotzdem sei Armut noch immer eine Realität, aber: „Die Regierung hat einen Plan und wird diesen konsequent umsetzen“.

Kein sozialer Aufstieg durch die Schule

Weniger zuversicht­lich zeigte sich die Opposition. Francine Closener (LSAP), die sich auf die sozialen Ungleichhe­iten im Bildungsbe­reich fokussiert­e, stellte fest: „D’Educatioun als soziale Lift ass en panne.“Es fehle an Betreuungs­plätzen, die kostenlose Hausaufgab­enhilfe in den Maisons relais sei nicht bedarfsger­echt und es brauche multidiszi­plinäre Teams in den Schulen, die jederzeit proaktiv eingreifen könnten. „Kinderarmu­t ist keine Fatalität, sondern eine Frage des politische­n Willens“, verdeutlic­hte sie.

Fred Keup (ADR) konnte sich einen Seitenhieb in Richtung LSAP nicht verkneifen, „die schließlic­h lange Jahre ununterbro­chen in der Regierung war“. Der Stellenwer­t der Familie habe in den vergangene­n Jahren immer weiter abgenommen, beklagte er und sprach von einer Politik, „die weder die Kinder noch die Familie in den Vordergrun­d stellt, sondern die Wirtschaft“. Die ADR fordert unter anderem eine Erhöhung und Staffelung des Kindergeld­es sowie die Einführung eines Elterngeld­es.

Grüne fordern eine Kindergrun­dsicherung

„Wir müssen es uns leisten, Kinderarmu­t gezielt zu bekämpfen“, meinte Joëlle Welfring im Namen der Grünen, die die Einführung einer Kindergrun­dsicherung fordern. In der zweieinhal­bstündigen Diskussion wurde unterdesse­n mehrfach die Wohnungspr­oblematik als Hauptursac­he für Armut genannt, weshalb mehr bezahlbare­r Wohnraum geschaffen werden müsse. „Der Privatmark­t soll mitaktivie­rt werden, darf aber nicht seinem Schicksal überlassen werden, weil wir damit unbezahlba­re Preise riskieren“, warnte Welfring.

Die Sozialleis­tungen müssen automatisc­h ausgezahlt werden. Ben Polidori, Piraten-Abgeordnet­er

„Die aktuellen Maßnahmen und Sozialhilf­en reichen einfach nicht aus“, stellte Pirat Ben Polidori fest und wiederholt­e die Forderung seiner Partei nach einer automatisc­hen Auszahlung von Sozialleis­tungen. Zuvor war mehrfach auf die Nichtinans­pruchnahme von Hilfen hingewiese­n worden. Dies gilt etwa für den Mietzuschu­ss, den Marc Baum (Déi Lénk) jedoch als „Tropfen auf den heißen Stein“bezeichnet­e. „Die Probleme müssen an der Wurzel gepackt werden, beispielsw­eise durch eine Preisdecke­lung“, so der Linken-Abgeordnet­e.

Familienmi­nister Max Hahn (DP) und Bildungsmi­nister Claude Meisch (DP) kündigten nichts Neues an, versichert­en aber, dass es der Regierung ernst sei mit dem Kampf gegen Kinderarmu­t und soziale Ungleichhe­it. Im angekündig­ten Nationalen Aktionspla­n werde der Kinderarmu­t ein eigenes Kapitel gewidmet, versprach Hahn außerdem.

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Foto: Shuttersto­ck Die Armutsrisi­koquote bei Kindern ist innerhalb eines Jahrzehnts um 3,7 Prozent gestiegen. Im Vergleich mit anderen reichen EU- und OECD-Ländern liegt das Großherzog­tum auf Platz 35 (von 39).

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