„Kinderarmut ist eine Frage des politischen Willens“
Der Opposition fehlt im Kampf gegen die Kinderarmut eine konkrete Strategie, die Regierung verweist auf das Koalitionsabkommen
Kinderarmut ist in Luxemburg eine Realität, die sich laut einem Unicef-Bericht verschärft hat. Innerhalb eines Jahrzehnts ist die Armutsgefährdungsquote bei Kindern um 3,7 Prozent auf nun 24,5 Prozent gestiegen. Mittlerweile gilt jedes vierte Kind als armutsgefährdet. Im Koalitionsvertrag wird die Problematik jedoch nicht explizit erwähnt. Gestern wurde sie auf Initiative der LSAP in der Chamber diskutiert.
LSAP-Abgeordnete Claire Delcourt sprach in ihrer Interpellation mit Blick auf die Unicef-Studie von „erschreckenden Zahlen“: „Betroffene Familien leben permanent mit einem Damoklesschwert über dem Kopf und kämpfen jeden Tag, um über die Runden zu kommen. Kinder leiden besonders unter Armut, die sich oft in sozialer Ausgrenzung ausdrückt und Auswirkungen auf das spätere Leben hat“, so Delcourt. Gezielte Maßnahmen seien nötig, „statt nur mit der Gießkanne vorzugehen“.
Die Vertreter der Mehrheitsparteien – Paul Galles für die CSV und Mandy Minella für die DP – nutzten ihre jeweilige Redezeit hauptsächlich dazu, die im Koalitionsprogramm vorgesehenen Vorhaben aufzuzählen oder in der Vergangenheit umgesetzte Maßnahmen in die Vitrine zu stellen. „Kinderarmut muss besondere Aufmerksamkeit bekommen“, betonte Galles. „Auch wenn sich Maßnahmen nur indirekt an die Kinder richten, helfen sie, die finanzielle Situation der Familie zu verbessern“, bekräftigte Minella. Trotzdem sei Armut noch immer eine Realität, aber: „Die Regierung hat einen Plan und wird diesen konsequent umsetzen“.
Kein sozialer Aufstieg durch die Schule
Weniger zuversichtlich zeigte sich die Opposition. Francine Closener (LSAP), die sich auf die sozialen Ungleichheiten im Bildungsbereich fokussierte, stellte fest: „D’Educatioun als soziale Lift ass en panne.“Es fehle an Betreuungsplätzen, die kostenlose Hausaufgabenhilfe in den Maisons relais sei nicht bedarfsgerecht und es brauche multidisziplinäre Teams in den Schulen, die jederzeit proaktiv eingreifen könnten. „Kinderarmut ist keine Fatalität, sondern eine Frage des politischen Willens“, verdeutlichte sie.
Fred Keup (ADR) konnte sich einen Seitenhieb in Richtung LSAP nicht verkneifen, „die schließlich lange Jahre ununterbrochen in der Regierung war“. Der Stellenwert der Familie habe in den vergangenen Jahren immer weiter abgenommen, beklagte er und sprach von einer Politik, „die weder die Kinder noch die Familie in den Vordergrund stellt, sondern die Wirtschaft“. Die ADR fordert unter anderem eine Erhöhung und Staffelung des Kindergeldes sowie die Einführung eines Elterngeldes.
Grüne fordern eine Kindergrundsicherung
„Wir müssen es uns leisten, Kinderarmut gezielt zu bekämpfen“, meinte Joëlle Welfring im Namen der Grünen, die die Einführung einer Kindergrundsicherung fordern. In der zweieinhalbstündigen Diskussion wurde unterdessen mehrfach die Wohnungsproblematik als Hauptursache für Armut genannt, weshalb mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden müsse. „Der Privatmarkt soll mitaktiviert werden, darf aber nicht seinem Schicksal überlassen werden, weil wir damit unbezahlbare Preise riskieren“, warnte Welfring.
Die Sozialleistungen müssen automatisch ausgezahlt werden. Ben Polidori, Piraten-Abgeordneter
„Die aktuellen Maßnahmen und Sozialhilfen reichen einfach nicht aus“, stellte Pirat Ben Polidori fest und wiederholte die Forderung seiner Partei nach einer automatischen Auszahlung von Sozialleistungen. Zuvor war mehrfach auf die Nichtinanspruchnahme von Hilfen hingewiesen worden. Dies gilt etwa für den Mietzuschuss, den Marc Baum (Déi Lénk) jedoch als „Tropfen auf den heißen Stein“bezeichnete. „Die Probleme müssen an der Wurzel gepackt werden, beispielsweise durch eine Preisdeckelung“, so der Linken-Abgeordnete.
Familienminister Max Hahn (DP) und Bildungsminister Claude Meisch (DP) kündigten nichts Neues an, versicherten aber, dass es der Regierung ernst sei mit dem Kampf gegen Kinderarmut und soziale Ungleichheit. Im angekündigten Nationalen Aktionsplan werde der Kinderarmut ein eigenes Kapitel gewidmet, versprach Hahn außerdem.