Viktor Orbán gibt im Streit um Ukraine-Hilfen nach
Eine knappe Stunde dauerte es bis zur Einigung: Die Ukraine bekommt 50 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt. Ungarn darf das zwar hinterfragen, aber nicht mehr blockieren
Die Nerven lagen schon blank, da hatte der EU-Gipfel noch nicht einmal begonnen. „Ich kann dieses sehr seltsame und egoistische Spiel von Viktor Orbán nicht verstehen“, sagte ein relativ verzweifelter Donald Tusk, als er das Ratsgebäude am Donnerstagmorgen in Brüssel betrat.
Der polnische Regierungschef erklärte, dass es für die EU in der Ukraine-Frage um etwas Existenzielles geht. Verliert die Ukraine den Krieg, verliert ganz Europa, so sein Argument. Und deswegen kann er kaum Verständnis für seinen ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán aufbringen.
Wochenlang hatte der autokratische Premierminister neue Finanzhilfen für die kriegsgeplagte Ukraine blockiert. Konkret ging es dabei um 50 Milliarden Euro, die im Rahmen einer Revision des EU-Haushalts über mehrere Jahre Richtung Kiew fließen sollten. Die Argumente dagegen aus Budapest waren schwammig, so der Konsens in Brüssel, was Spekulationen über Viktor Orbáns wahre Beweggründe Tür und Tor öffnete. Will Budapest die Rest-EU damit erpressen, um selbst an mehr Geld zu kommen – oder will Orbán seinem Freund Wladimir Putin einfach einen Gefallen tun und Kiew weiter schwächen?
Der Gipfel am Donnerstag sollte dazu dienen, Viktor Orbán umzustimmen. Und das hat auch so geklappt. Nach nur einer Stunde verkündete EU-Ratspräsident Charles Michel die gute Nachricht: „Alle 27 Staats- und Regierungschefs einigten sich auf ein zusätzliches Unterstützungspaket für die Ukraine in Höhe von 50 Milliarden Euro im Rahmen des EU-Haushalts“, so der Belgier. „Dies sichert eine stabile, langfristige und vorhersehbare Finanzierung der Ukraine.“
Dabei deuteten die Anfangsforderungen aus Budapest kaum darauf hin. Um sein
Veto aufzugeben, forderte Viktor Orbán ursprünglich neue, jährliche Vetomöglichkeiten in Bezug auf die Ukraine-Hilfen. Das wiederum wollten ihm die 26 EU-Partner nicht zugestehen – aus nachvollziehbaren Gründen. Es sei keine „nachhaltige Lösung“, wenn die Ukraine-Hilfen „alle paar Monate wieder gestoppt werden können“, sagte etwa Luxemburgs Premier
Luc Frieden (CSV). Andere waren deutlicher: „Man kann keine 26 Staaten erpressen“, meint etwa Finnlands Premier Petteri Orpo.
Deal oder Kapitulation?
Gratis war das „OK“aus Budapest dann auch wieder nicht. Denn der EU-Gipfel hat auch beschlossen, dass die Staats- und Regierungschefs jährlich über die Verwendung der Ukraine-Hilfsgelder diskutieren werden. Auch soll, „falls notwendig“, die EUKommission in zwei Jahren einen neuen Vorschlag für die EU-Ukraine-Hilfen im Rahmen des nächsten EU-Budgets vorlegen. Das ganze klingt erst einmal nach weiteren Prüfungen – doch von den Vetomöglichkeiten, die Orbán anfangs forderte, sei man weit entfernt, versichern EU-Diplomaten.
Auch wurde in der Gipfelerklärung an die Bedingungen für die Aktivierung des Rechtsstaatsmechanismus erinnert, der 2020 ins Leben gerufen wurde, um EU-Gelder einzufrieren, falls ein Mitgliedsland sich nicht an demokratische Standards der EU hält. „Der Haushalt der Union muss vor jeder Art von Betrug, Korruption und Interessenkonflikten geschützt werden“, hieß es damals.
Doch hatten jene EU-Staaten, einschließlich Ungarn, die potenziell davon betroffen sein könnten, sichergestellt, Voraussetzungen dafür festzuhalten. „Die Anwendung des Konditionalitätsmechanismus im Rahmen der Verordnung wird objektiv, fair, unparteiisch und faktengestützt erfolgen“, hieß es damals. „Dabei werden ein ordnungsgemäßes Verfahren, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten gewährleistet.“Dass nun daran erinnert wird, soll wohl signalisieren, dass man nicht exzessiv davon Gebrauch machen wird. Das erhofft man sich zumindest in Budapest.
Diplomaten aus Gründungsstaaten meinen dagegen, dass die neuen Textpassagen in der Erklärung kaum Zugeständnisse seien, da sie lediglich auf bereits vereinbarte Sachen verweisen.
Demnach wird in Brüssel davon ausgegangen, dass Viktor Orbán bei einem Vortreffen mit dem EU-Leadership und einigen wichtigen Regierungschefs kommuniziert wurde, dass es jetzt endgültig reicht. Auf X berichtete Viktor Orbán am Donnerstag von einem „lässigen Morgengespräch“mit dem französischen Staatschef Emmanuel Macron, der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und den EU-Spitzen Charles Michel und Ursula von der Leyen. Besonders „lässig“schaut es allerdings nicht aus.
Ich kann dieses sehr seltsame und egoistische Spiel von Viktor Orbán nicht verstehen. Donald Tusk, Polnischer Regierungschef