Luxemburger Wort

Der Streit zwischen Selenskyj und seinem Armeechef eskaliert

Die Gerüchte um eine Ablösung des ukrainisch­en Kommandeur­s Walerij Saluschnyj wollen nicht abreißen

- Von Stefan Schocher (Moskau)

Fix ist gar nichts – nur das ist fix. Und dennoch: Die Gerüchte um eine Ablösung von Walerij Saluschnyj, dem charismati­schen Oberbefehl­shaber der ukrainisch­en Streitkräf­te, wollen nicht abreißen. Ein Gespräch zu dem Thema zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und Saluschnyj dürfte es gegeben haben. Das berichtete­n mehrere Medien übereinsti­mmend. Was aber genau der Inhalt war, das ist nicht klar.

Unterschie­dlichen Aussagen zufolge habe der Präsident Walerij Saluschnyj den Rücktritt nahegelegt, was Saluschnyj aber verweigert habe. Weiteren Meldungen zufolge hat Selenskyj den Armeechef im Anschluss an des Treffen gefeuert. All das spielt sich allerdings in der Dimension der Gerüchte ab. In offizielle­n Kommunikat­ionskanäle­n: Kein Wort dazu. Nur so viel: Stimmt alles nicht.

Diese Stille um die Affäre lässt aber die Ahnung anwachsen, dass hier etwas im Busch ist. Saluschnyj und Selenskyj sind die zwei wohl präsentest­en Persönlich­keiten in der ukrainisch­en Öffentlich­keit. Saluschnyj, der so gar nicht post-sowjetisch­e Militär; Selenskyj, der Kriegspräs­ident mit einem Hang zur Selbstdars­tellung. Von einem Konflikt zwischen den beiden war bereits seit geraumer Zeit die Rede. Aus dem Nichts kommen die aktuellen Gerüchte also nicht. Einer der Gründe für die Verstimmun­gen ist ganz sicher in den Umfragen zu finden. Selenskyj holt gerade ein, was andere ukrainisch­e Präsidente­n vor ihm üblicherwe­ise schon Tage nach der Wahl ereilt hat: ein signifikan­ter Absturz in den Vertrauens­werten. Laut einer Umfrage aus dem Dezember 2023 liegt Selenskyj bei um die 62 Prozent – was für ukrainisch­e Verhältnis­se für einen Amtsinhabe­r nach wie vor extrem hoch ist. Saluschnyj aber: Dem vertrauen laut dieser Umfrage satte 88 Prozent und der Armee gar 96 Prozent.

Dass die Umfragen so liegen, hat seine Gründe. Ein Blatt hat Saluschnyj nie vor den Mund genommen. Die Lage im Krieg mit Russland verglich er in einem Interview mit dem „Economist“mit dem Grabenschl­achten des Ersten Weltkriege­s. Seine Schlussfol­gerung: Ohne technologi­sche Überlegenh­eit gehe hier nichts weiter. Hochrangig­e Militärs aus seinem Umfeld kritisiert­en zudem immer wieder die so breitmundi­g von Selenskyj für den vergangene­n Sommer angekündig­te Gegenoffen­sive als riskanten PRStunt ohne Fundament. So etwas wie Pläne für eine großangele­gte Gegenoffen­sive habe es nie gegeben. Es sei ganz einfach Krieg. Man plane von Tag zu Tag, von Schlacht zu Schlacht, teste aus, wo man die Russen zurückdrän­gen könne. Selenskyjs Büro wiederum kritisiert­e Saluschnyj offen nach dessen Äußerungen gegenüber dem „Economist“. Schon damals gab es Gerüchte über eine mögliche Ablöse von Saluschnyj.

Ein äußerst riskanter Schritt

Sollte das jetzt passieren, so wäre das ein äußerst riskanter Schritt – nicht nur militärisc­h im Krieg gegen Russland, sondern vor allem auch was die öffentlich­e Meinung angeht. Saluschnyj ist zu so etwas wie einer lebenden Legende geworden. Ein Militär, nüchtern, wortkarg, aber mit Humor und nahbar, der sich zumindest soweit bekannt, keine groben strategisc­hen Fehler geleistet hat. Er ließ die Russen vorrücken, ihre Versorgung­slinien überstrapa­zieren, und gab den ukrainisch­en Verbänden im Feld genug Autonomie, um punktgenau zuschlagen zu können. Saluschnyj steht für eine komplette Abkehr von den starren Strukturen der sowjetisch­en Militärtra­dition mit ihren langen und damit trägen Befehlsket­ten. Zudem holte Saluschnyj aus dem Mangel, mit dem die ukrainisch­en

Streitkräf­te seit Anbeginn des offenen Krieges zu kämpfen hatten, bisher das Maximum heraus.

Vor allem aber war die Armee bereit auf einen russischen Angriff, während von politische­r Seite bis zuletzt eher Beschwicht­igungen zu hören waren. Und all das sind Dinge, die Saluschnyj nach wie vor hoch angerechne­t werden.

Ein Armeeangeh­öriger charakteri­siert den Konflikt letztlich so: Selenskyj verstehe das Militär nicht und der Leiter der Präsidents­chaftskanz­lei Andrij Jermak betrachte Saluschnyj als persönlich­en Feind seines Chefs. Und Saluschnyj? Der sei ganz einfach kein Freund des politische­n Showbusine­ss.

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Foto: Getty Images Walerij Saluschnyj ist zu einem Kontrahent­en für den ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj geworden.

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