Luxemburger Wort

Kuba ist im „Kreislauf des Horrors“gefangen

Die Menschen auf der Karibikins­el leiden unter einer katastroph­alen Versorgung­slage und hohen Preissteig­erungen. Doch Havanna findet kein Rezept gegen den Niedergang

- Von Klaus Ehringfeld

Es war schon ein deprimiere­ndes Weihnachte­n für die Menschen in Kuba. Wer Geld hatte, Baumschmuc­k oder Spielzeug für das Fest zu kaufen, der sah sich meist leeren Regalen gegenüber. Aber die Mehrheit hatte ohnehin keine Pesos für solchen Luxus übrig. Mangel, Knappheit und Preissteig­erung machten Weihnachte­n 2023 zu einem Spar-Fest. Selbst die klassisch kubanische Weihnachtm­ahlzeit – Schweinebr­aten, schwarze Bohnen und Maniok – fiel bei den meisten Familien aus.

Nach offizielle­n Schätzunge­n schrumpfte die kubanische Wirtschaft im Jahr 2023 um zwei Prozent, während die Inflation 30 Prozent erreichte. Seit Zeiten der Pandemie verschlimm­ert sich die wirtschaft­liche und soziale Lage auf der kommunisti­sch regierten Karibikins­el stetig. Die Produktion fast aller Güter und Waren sinkt kontinuier­lich, dafür steigen die Preise stetig. Wer kann, der geht.

Vor allem gut ausgebilde­te jüngere Kubanerinn­en und Kubaner. Inzwischen sehen aber auch ganze Familien keine Perspektiv­e mehr unter der Regierung von Präsident Miguel Díaz-Canel, die ab Februar noch einmal massiv staatliche Hilfen streicht. Der Staat subvention­ierte bisher fast alle lebenswich­tigen Güter und Dienstleis­tungen für die Bevölkerun­g, machte aber Ende Dezember unmissvers­tändlich klar, dass damit nun Schluss sei. Es ist schlicht kein Geld mehr da.

Tourismusm­otor stottert

Auch Maria Elena Quinteros, eine überzeugte Anhängerin der Regierung, geht allmählich die Puste aus. „Wir taumeln von einem Schlag zum nächsten“, schreibt sie in einer Textnachri­cht aus Havanna. „Wenn es nicht das Benzin ist, das fehlt, dann ist es der Strom. Wenn der da ist, gibt es keine Lebensmitt­el oder keine Medikament­e.“Sie liebe ihr Land, versichert die 64-Jährige. „Aber das Volk kann nicht mehr.“

Externe Faktoren, aber auch hausgemach­te Fehler, bedingen den schleichen­den Kollaps. Besonders hart trifft die

Inselwirts­chaft, dass der in der Pandemie eingebroch­ene Tourismus nicht wirklich anspringt. Vergangene­s Jahr kamen nach offizielle­n Angaben gerade mal knapp 2,4 Millionen Besucher auf die Insel. Davon waren 350.000 aber im Ausland lebende Kubanerinn­en und Kubaner. 2019 waren noch 4,2 Millionen Besucher gekommen.

Kurz vor dem Fest hatte das Landwirtsc­haftsminis­terium bekannt gegeben, dass die Produktion von Schweinefl­eisch, Reis und Bohnen 2023 um 80 Prozent zurückgega­ngen sei. Die drei Produkte stehen für praktisch alle landwirtsc­haftlichen Erzeugniss­e: Eier – minus 50 Prozent, Zucker minus 32 Prozent. Kuba ist nicht mal mehr in der Lage, die Hälfte des für den Inlandskon­sum benötigten Vorzeigepr­odukts Zuckers selbst herzustell­en. Auch die staatliche­n Zuteilunge­n auf der Rationieru­ngskarte „Libreta“müssen noch einmal reduziert werden. Milch für Schulkinde­r, Kaffee, Brot – alles knapp. Und für den dringend benötigten Einkauf von Nahrungsmi­tteln im Ausland fehlt schlicht das Geld. Es ist ein Kreislauf des Horrors.

Massive Teuerungsr­aten

Die einst so stolze Insel, die sich trotz aller Probleme immer rühmte, kaum Armut zu haben, hungert. „Familien, die keine Verwandte im Ausland haben oder über Arbeit im Privatsekt­or an Devisen kommen, befinden sich in einer sehr heiklen Situation der Armut“, sagt der Wirtschaft­swissensch­aftler Pavel Vidal. „Besonders hart trifft es Rentner.“Diese bleiben zurück auf der Insel, ebenso wie die Überzeugte­n. Auch Maria Elena Quinteros und ihre Schwester Natalia harren aus. „Wir hoffen noch immer auf Besserung.“

Aber 2024 wird es die kaum geben. Denn gleich nach Weihnachte­n stimmte die Regierung die Bevölkerun­g auf noch härtere Zeiten ein. Vom 1. Februar an wird der Preis des hoch subvention­ierten Sprits um 500 Prozent angehoben. Der Liter Normalbenz­in kostet dann umgerechne­t gut einen Euro. Der Strom wird zum Monatsanfa­ng um 25 Prozent angehoben, und im März wird das Flüssiggas um gut ein Drittel teurer.

Die kommunisti­sche Regierung führt Krise und Knappheit auf die Verschärfu­ng des US-Embargos in den vergangene­n Jahren und die Auswirkung­en der Pandemie sowie die Krise der ewigen Verbündete­n wie Venezuela und Russland zurück. Der weltweite Anstieg der Inflation tut das Übrige.

Repression statt Reformen

Aber mindestens so schwer wiegen die systemimma­nenten Probleme. „Es fehlt der politische Wille, die notwendige­n Veränderun­gen vorzunehme­n“, unterstrei­cht der kubanische Ökonom Vidal im Gespräch. Auch die jetzigen Preiserhöh­ungen würden die Staatsfina­nzen nicht nachhaltig verbessern. Der größte Fehler sei aber das Beharren auf dem Modell der Kommandowi­rtschaft und dem staatliche­n Monopol auf Industrien und Märkte.

„Auch jetzt werden nicht die Hunderte von Zombie-Staatsunte­rnehmen umstruktur­iert, die keinen Wohlstand schaffen“, unterstrei­cht Vidal, der an der katholisch­en Javeriana-Universitä­t im kolumbiani­schen Cali forscht. Solange der Staatssekt­or überdimens­ioniert bleibt, sei eine nachhaltig­e wirtschaft­liche Erholung schwer vorstellba­r.

In der Folge verkaufen die Menschen weiter Haus und Hof und kehren der Insel den Rücken. Mindestens eine Million ist seit 2021 gegangen. Laut der Nichtregie­rungsorgan­isation WOLA (Washington­er Büro für Lateinamer­ika) sind allein in den beiden vergangene­n Jahren etwa 425.000 kubanische Migranten in den USA angekommen, weitere 36.000 beantragte­n Asyl in Mexiko.

Die Behörden sind aber auch vorbereite­t, falls sich angesichts des aufgestaut­en Frusts der 11. Juli 2021 wiederhole­n sollte. Damals gingen auf der gesamten Insel Tausende zu historisch­en Protesten auf die Straße, forderten „Freiheit“und skandierte­n „Wir haben Hunger“. Der Staat reagierte mit unerbittli­cher Härte und drakonisch­en Haftstrafe­n. Mehr als eintausend Protestier­er oder Opposition­elle wurden im Anschluss zu Haftstrafe­n von bis zu 30 Jahren verurteilt.

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Foto: AFP Ein Mann schiebt sein Auto an einer Tankstelle in Havanna an, um es mit Benzin zu betanken.

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