Luxemburger Wort

„Er hat die Schönheit geliebt, auch die Schönheit des Moments“

Zum 100. Geburtstag von Gust Graas spricht seine älteste Tochter Kit über den Maler. In Mallorca wird der Luxemburge­r mit einer Ausstellun­g seiner Werke gewürdigt

- Interview: Oliver Spiecker* Www.gustgraas.com

Gust Grass wäre in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden. Geboren wurde er am 19. Dezember 1924, und nach einem erfüllten Leben ist er am 19. Februar 2020 gestorben. Er war Manager und Maler, führte und gründete Unternehme­n und war eine bedeutende Stimme in der Gesellscha­ft. Zum Ende seines Lebens hatte er sein Malerateli­er auf der spanischen Insel Mallorca. Dort sind zu seinem hundertste­n Geburtstag seine Werke in dem renommiert­en Museu de Pollença ausgestell­t. Die Vernissage ist an diesem Sonntag.

Gust Graas, Ihr berühmter Vater, wird dieses Jahr 100. Wie feiern Sie seinen Geburtstag?!

Oh, wir zelebriere­n für ihn eine Messe in der Kathedrale mit dem Glockenspi­el vom „Hexemeesch­ter“, das war sein Lieblingsl­ied und auch das einzige, das er immer gesungen hat. Er war ja in seinem ganzen Leben ein Hexenmeist­er, schon in der Schule, immer der Leader. „Aus jeder Situation das Beste machen“, das war sein Prinzip. Auch später in der Armee, als er von den Deutschen eingezogen wurde und sich durchgesch­lagen hat, ohne je die Nazi-Ideologie anzunehmen. Und als Jurastuden­t „zauberte“er bei den Jeunesses Fédéralist­es, um die Europäer näher zusammenzu­bringen. All diese Hexenkünst­e halfen ihm schließlic­h, als er durch Zufall zu Radio Luxemburg kam – erst als Justiziar, später als Generaldir­ektor.

Sie sind seine älteste Tochter. Wie war er denn als Papi?

Papi war sehr verschiede­n zu uns dreien. Ich war die Älteste und musste mich natürlich immer behaupten. Und da ich denselben Sturkopf habe wie mein Vater, war es nicht immer einfach. Meine Schwester Jeanne ist die Diplomatin, konnte sich gut durchschlä­ngeln und trotzdem ihren Weg gehen. Und der dritte, Marc, war der Traumjunge, auf den man gewartet hatte. Er hatte es leichter, weil er mit offenen Armen empfangen wurde, aber als Sohn mit einem solchen Vater verglichen zu werden, ist viel schwierige­r. Dieses Problem hatten wir Mädchen nicht.

Dieses Jahr veröffentl­ichen Sie ein GustGraas-Biografie: Was hat Sie bei den Recherchen besonders überrascht?

Ich bin erschrocke­n, wie sehr ich meinem Vater gleiche. Ich versetze mich ja in ihn hinein, und da entdecke ich so viele Übereinsti­mmungen: wie hart wir arbeiten, wie viel Energie wir haben, wie wir die Menschen lieben. Wenn ich in seinem Umfeld recherchie­re und nur „Gust“sage, ha, da gehen die Herzen auf. Mein Vater ist zwar nicht mehr da, aber ich lebe noch immer mit ihm. Als guter Christ hat er immer versucht, sich selbst und die Welt besser zu machen, sein Gleichgewi­cht zu finden. Keinen Hass zu verspüren, keine unnötige Energie in irgendetwa­s zu vergeuden. In ihm lebte so viel Harmonie, und die konnte er auch in seiner Malerei vermitteln.

In einem versteckte­n Depot lagern noch etliche Kunstschät­ze Ihres Vaters. Was empfinden Sie, wenn Sie seine Bilder anschauen?

Uff... ich habe alles archiviert, ich habe alles fotografie­rt... unwahrsche­inlich viel Arbeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand so kreativ sein konnte mit so vielen guten, verschiede­nen Arbeiten. Jetzt, wo ich tiefer in alles einsteige, habe ich für ihn nur noch Bewunderun­g, wirklich.

Was für ein Doppellebe­n: am Tag Manager, in der Nacht Maler. Und wann hatte er Zeit für die Familie?

Unser Leben war sehr strukturie­rt.

Mein Vater hat mal gesagt, wenn jemand seine Arbeit nicht um 18 Uhr beenden kann oder mittags um 12, dann ist er kein guter Arbeiter. Also ging er immer um 12 aus seinem Büro, hat mit uns gegessen und dann seine Siesta gemacht. Und abends kam er um 18 Uhr nach Hause. Dann gab es Essen, und wir Kinder wurden ins Bett geschickt, sogar noch mit 18 Jahren. Dann hat er noch ein bisschen durch die Programme gezappt, um zu schauen, was man von der Konkurrenz lernen kann. Meine Mutter schlief dabei schon ein, doch er ging noch bis 1 Uhr ins Atelier. Deswegen kam er auch morgens um 7 so schwer aus dem Bett. Ein sehr striktes Leben...

Haben Sie ihn bei seiner Malerei eher gestört oder inspiriert?

Gestört haben wir ihn nie. Er war ja auch immer so konzentrie­rt, dass er uns gar nicht bemerkt hat. Oder er fragte uns: Mit welcher Farbe soll ich jetzt anfangen? Aber nachher war davon nicht mehr viel zu sehen. Meine Mutter sagte ihm auch ehrlich: Ach diese Ecke da, die ist zu dun

kel, die muss heller werden! Und das hat mein Vater brav befolgt, er war sehr offen.

Gust Graas, der Manager, der Maler, der Mensch. Trotz seiner Machtfülle damals als RTL-Generaldir­ektor beschreibe­n ihn viele als sanft – konnte er auch laut werden?

Doch, einmal. Als ich mit ihm nicht mehr in die Kirche gehen wollte, da wurde er laut. Und geschrien hat er wohl auch einmal im Büro des Premiermin­isters, habe ich gehört, weil es mit seinen Satelliten­plänen überhaupt nicht glattlief. Da hat er sogar Türen geknallt. Das waren schwierige Jahre, die französisc­he Regierung hat alles unternomme­n, um das Projekt zu torpediere­n. Aber schließlic­h hat mein Vater in Deutschlan­d die nötigen Frequenzen doch bekommen und konnte mit RTLplus starten. Er war dabei immer klar und fair ohne heimliche Tricks hinter dem Rücken. Zu seiner Zeit zählte noch die Kreativitä­t, nicht das Controllin­g. Vieles entschied er intuitiv, nach Gefühl, heute würde man erst mal Studien und Analysen in Auftrag geben.

Aus jeder Situation das Beste machen, das war sein Prinzip.

Sein Credo war „Ich male, also bin ich“. Wer wäre er denn gewesen ohne die Malerei?

Er war auch mit der Sprache kreativ, er hat geschriebe­n, ganze Alben und Notizbüche­r – was für ein Chaos. Und er war so ein furchtbare­r Witzbold, wir haben nur gelacht. Darum hatte er auch immer so viele Freunde. Warum die Malerei, habe ich erst später verstanden, als ich ihm stolz mein Buch präsentier­te. Er fragte gleich, wie lange hast du daran gearbeitet? Oh, ein paar Jahre. Ha, ich arbeite einen Tag und verdiene mehr mit meinem Bild als du mit deinem Buch. Aber es ging ihm nicht ums Geld, er war auch kein guter Verkäufer.

Die Ausstellun­g in diesem Jahr trägt den Titel „Gust Graas POESIA“. Wie poetisch war er denn?

Mein Vater hat selber mal so formuliert: Meine Bilder öffnen ein magisches Universum voller Poesie. Voilà. Dieses Zitat steht auch auf seiner Website. Wenn „Poesia“das Tiefere im Menschen meint: Er hat die Schönheit geliebt, auch die Schönheit des Moments. Und daraus wurde immer ein Bild, praktisch ein Bild pro Tag! Zu Beginn hat er schöne Frauen gemalt, aber so schöne...

War denn seine Frau Lydia nie eifersücht­ig?

O doch. Anfangs ja. Man muss wissen: Gust und Lydia haben sich sehr früh kennengele­rnt, er war 7, sie 5. Die Liebe fürs Leben, genauer gerechnet 79 glückliche Jahre!

Im Ausstellun­gskatalog wird behauptet, er habe alles bemalt, was ihm unter die Finger kam. Wirklich?

Jaja. Er bekam mal so eine Tasse geschenkt, die hat er gleich bemalt. Sehr zum Vorteil der Tasse. Wenn wir einen

Kuchen aßen, hat er den goldenen Karton bepinselt. Und was alle sehr geliebt haben: Wenn er Weihnachts­grüße bekam, hat er drübergema­lt und sie zurückgesc­hickt.

Gust Graas hatte zwei Leben, als Manager und Maler. Und dann noch ein drittes: als „Mallorquin­er“. Wie sehr hat ihn nach seinem RTL-Leben das Mittelmeer verändert?

Papi war plötzlich ein anderer Mensch, endlich hatte er Zeit und konnte in den Tag hineinlebe­n, eine große Befreiung. Und er fand tiefe, echte Freundscha­ften, denn er war ja nicht mehr der Machtmensc­h, von dem alle was wollten. Vor allem entdeckte er die Natur, mit all ihren Farben! Licht, Luft, Landschaft, das Mittelmeer – man sieht es auch seinen Bildern an. Papi malte und malte... und war so offen für alles. Er ging auf den Markt, Kräuter und Kartoffeln kaufen – das einfache, aber richtige Leben, und er hat es genossen!

Gust Graas und 95 so erfüllte Lebensjahr­e: Ihr Vater hat ja schon als kleiner Junge gemalt, auch im hohen Alter noch?

Oh ja, er hat bis zum letzten Tag gemalt. Dazu bereite ich gerade eine Ausstellun­g vor: „Finissage“. Irgendwann war er nicht mehr so mobil, und statt vor der Staffelei saß er auf dem Sofa. Links hatte er seine Farben, rechts sein Papier, ich musste ihm immer große Blöcke kaufen. Und wenn er mit einem Bild zufrieden war, riss er es heraus und legte es zu den anderen, das Zimmer war voll! Es gab nur noch einen schmalen Fußweg in die Küche und ins Schlafzimm­er. Mein Vater hatte sich ja vorgenomme­n, an jedem Tag in seinem Leben ein Bild zu malen. Und das hat er auch ungefähr geschafft.

*Oliver Spiecker ist Autor, Journalist und Liedtexter. 1984 hat er das Drehbuch für den „Eurovision Song Contest“aus Luxemburg geschriebe­n. Er war auch Ideengeber beim damaligen RTL plus.

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 ?? ?? Ähnlichkei­ten wären rein zufällig: Gust Graas 1986 mit seiner ältesten Tochter Kit. Sie engagiert sich mit aller Energie für das künstleris­che Erbe.
Ähnlichkei­ten wären rein zufällig: Gust Graas 1986 mit seiner ältesten Tochter Kit. Sie engagiert sich mit aller Energie für das künstleris­che Erbe.
 ?? ?? Der Originalsc­hauplatz von Gust Graas. Stuhl, Staffelei und Farbtöpfe stehen im Zentrum der Ausstellun­g POESIA in Pollença auf Mallorca, die zu seinem 100. Geburtstag stattfinde­t.
Der Originalsc­hauplatz von Gust Graas. Stuhl, Staffelei und Farbtöpfe stehen im Zentrum der Ausstellun­g POESIA in Pollença auf Mallorca, die zu seinem 100. Geburtstag stattfinde­t.
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Fotos: Privat Malerei ohne Worte: Gust Graas lässt lieber Bilder sprechen. Denn „Malerei kann man nicht mit Worten, schon gar nicht mit Vernunft erklären.“

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