„Poesie, wann ech gelift!“
Am Tag war er Manager, in der Nacht Maler. „Ich male, also bin ich“, lautete das Credo von Gust Graas
Ein großer Luxemburger wird 100: Gust Graas. Er war es, der RTL in europäische Dimensionen führte und vor allem ins Satelliten-Zeitalter. Ein Kreativ-Kopf und Dauer-Dynamiker, als Mitbegründer der Fluggesellschaft Luxair beflügelte er sogar das ganze Land. Eigentlich müsste man seinen 200. Geburtstag feiern, denn er lebte gleich doppelt: Am Tag war er Manager, in der Nacht Maler! Der eine Graas beflügelte den anderen, beide wären ohne einander undenkbar. „Ich male, also bin ich“, war sein Credo. Sogar deutlicher: „Ohne die Malerei würde ich meine Seele verlieren.“
Der junge Gust hatte Jura studiert, aber nie Malerei. Als er zum ersten Mal seinen Fuß in ein Museum setzte, stand er unter Schock: die Kubisten, die Impressionisten, die „École de Paris“. Er suchte und fand seinen Weg als mutiger Autodidakt, ganz im Sinne von Kandinsky „aus innerer Notwendigkeit“. Pierre Bonnard und Paul Klee sind unübersehbar seine Vor-Bilder und warum auch nicht. Die Kunstgeschichte will ihre Kapitel, also gut: „abstraction poétique“. „Meine Bilder führen in ein magisches Universum voller Poesie“, lautete seine Selbstbeschreibung. Kein Wort mehr. „Ich weiß nicht, was ich bin. Über Kunst wird so viel Dummes erzählt. Ich möchte meine Bilder zeigen, aber nicht darüber reden.“Und er zeigte seine Bilder, überall in Europa, in Brüssel, Paris, London, Rom, Madrid, Wien, Berlin und natürlich Luxemburg.
1924 wird er in Esch/Alzette geboren: als Gustave Graas. Zeitgleich erlebt Luxemburg-Stadt eine ebenfalls entscheidende Geburt: die des Radios. Die Gebrüder Anen senden Musik vom Dachboden ihres Hauses. Zufall?! Einige Jahre später, 1952, wird Dr. Gust Graas Justiziar und Personalchef bei der CLR: Compagnie Luxembourgeoise de Radiodiffusion. Besser bekannt als Radio Luxemburg. Bald ist er Generaldirektor und somit Herrscher über ein buntes Imperium – die Villa Louvigny im Stadtpark von Luxemburg wird zur Pilgerstätte für Radiofans aus ganz Europa.
Gutgelaunte Programme in Englisch, Französisch, Luxemburgisch, Niederländisch, Deutsch… ganz im Sinne von Gust Graas, der schon als junger Student „die Länder Europas zusammenbringen“wollte. Weggefährten erinnern sich an einen außergewöhnlichen Menschen: kraftvoll, durchsetzungsstark, aber immer sanftmütig. Und gern omnipräsent: bitte immer ein Telefon in Griffnähe!
Doch Sturm und Drang hat er gut unter Kontrolle. Wohl nur einmal in all seinen erfolgreichen Medienjahren habe er Türen geknallt, als seine kühnen Satellitenpläne politisch klemmten.
Ein Humanist, wie auch schon der Titel seiner ersten Einzelausstellung zeigt, 1965 in seiner Geburtsstadt Esch/Alzette: „Aus Liebe zu den Menschen“. Mehr noch, Gust Graas ist
Christ. Deutlich zu erkennen an Bildern und Skulpturen wie „La Force de la Croyance“, „La Croix“, „La Nonne“.
„Gust Graas était un homme de coeur et d’esprit, dont l’amitié ne connaissait pas de faille trompeuse”, erinnert sich Ex-Premier Jacques Santer. Und JeanClaude Juncker ergänzt: „Gust Graas était un grand patron, un visionnaire inspire et dès son jeune âge un européen convaincu.“
1988 öffnen sich neue Türen: die einer Finca auf Mallorca. Gust Graas genießt das mediterrane Leben und widmet sich nur noch der Malerei. Er, dem die Côte d‘Azur näherlag als jede Costa Brava, entdeckt plötzlich einen faszinierenden Künstlerort, ein spanisches Saint-Paul-de-Vence: Pollença! Hier haben schon ganz Große ihre malerischen Spuren hinterlassen: Hermen Anglada Camarasa, Dionís Bennàssar und nun auch Gust Graas. Eine Welt voller Farben, sogar das Grau „schimmert warm wie Altsilber und voller Sonne“. Mittelmeer-Blau vor Augen, doch Luxemburg in den Ohren: Die Benediktiner-Mönche von Clervaux begleiten ihn an der Staffelei mit ihren Gregorianischen Gesängen. Inspirationsquelle so wie Arnold Schönberg und seine „Verklärte Nacht“. Er ist selbst immer wieder erstaunt, wie „einige Gramm Farbe, ein Löffel Öl, eine weiße Leinwand und die mit Gefühl geführte Hand des Künstlers diesem bisschen Materie eine Seele geben.“
Ausstellung und demnächst eine Biografie
Diese Original-Situation mit Staffelei, Farbtöpfen und seinen bunt beklecksten Schuhen steht im Mittelpunkt der Ausstellung, die Gust Graas und seinen 100. Geburtstag feiert: „POESIA“! Das renommierte „Museu de Pollença“zeigt von Februar bis April 2024 bedeutende Arbeiten aus verschiedenen Schaffensphasen.
Andreu Aguiló, der Museumschef, freut sich über bislang nicht gezeigte Werke, die auf dem Wege sind von Luxemburg nach Mallorca. Kit Graas, die älteste Tochter des Künstlers, veröffentlicht demnächst nicht nur die Biografie über ihren Vater, sondern verwaltet und gestaltet auch einen bedeutenden Teil seiner Werke. Gust Graas wurde erfüllte 95, und seine Bilder leben weiter…
: Der junge Gust hatte Jura studiert, aber nie Malerei.