Luxemburger Wort

Ein Film über Freundscha­ft und Verlust

„L‘Invitation“von Fabrizio Maltese ist eine poetische Reise nach Afrika, aber auch zum verstorben­en Filmemache­r Pol Cruchten

- Von Marc Thill Fabrizio Maltese, ein Seefahrer in der Wüste

Er heißt nicht Corto, sondern Fabrizio – und doch hat er aber denselben Nachnamen wie Corto Maltese, die Comicfigur des venezianis­chen Zeichners und Erzählers Hugo Pratt. Und so wie dieser ist auch Fabrizio Maltese ein einfühlsam­er Flaneur, ein moderner Odysseus, dem Freiheit und Fantasie wichtiger sind als Geld und Gut.

Das zeigt der Filmemache­r mit seiner Kamera, die er in der Wüste Mauretanie­ns sehr einfühlsam über Land und Leute gleiten lässt. „Ich mag es, wie du die Wüste filmst und Gesichter mit der Kamera einfängst“, sagte ihm einst Pol Cruchten. Der Filmregiss­eur, der 2019 allzu früh verstorben ist, wollte ihn unbedingt für sein Filmprojek­t „Visage(s) d‘Afrique“gewinnen. Cruchten sollte diesen Dreh zusammen mit dem mauretanis­chen Filmemache­r Abderrahma­ne Sissako (u.a. „Timbuktu“, 2015 César für den besten Films in Frankreich, 2014 Preis der ökumenisch­en Jury in Cannes) verwirklic­hen. Ein Treffen zwischen Cruchten und Maltese war bereits vereinbart worden, kam aber nicht mehr zustande. Cruchten starb drei Tage zuvor. Seine Produktion­sgesellsch­aft Red Lion hielt aber an „Visage(s) d‘Afrique“fest und übertrug das Projekt an Fabrizio Maltese. Er sollte den Film nicht nur als Kameramann, sondern auch als Regisseur verwirklic­hen. Maltese nahm diese Einladung an. Daraus geworden ist „L‘Invitation“, ein Dokumentar­film, der 2023 beim Luxembourg City Film Festival seine Premiere feierte und nun auch in den Luxemburge­r Kinos zu sehen ist.

Maltese reiste dafür zunächst nach Senegal, danach weiter nach Mauretanie­n. In seinem Film erzählt er diese Reise. Aber was ist das für Reise? Eine zu Pol Cruchten? Zu Abderrahma­ne Sissako? Oder zu sich selbst?

Langsam tuckert die „Bou el Mogdad“unter sengender Sonne über den trägen Fluss Senegal, den Grenzfluss zwischen Senegal und Mauretanie­n. Auf dem Passagiers­chiff war auch mal Pol Cruchten. Er traf dort Abderrahma­ne Sissako. Ihn will Fabrizio Maltese unbedingt treffen, will mit ihm auf einer Sanddüne Tee trinken und dabei über seine Filme und seine innige Freundscha­ft zu Cruchten plaudern.

Dieses Treffen aber findet nicht statt – Sissako ist zu beschäftig­t, hat keine Zeit, und deshalb wird Maltese zu einem neuen Treffpunkt gelotst. Aber auch dieses zweite Rendezvous findet nicht statt. Sissako erweist sich als schwer fassbar, derweil Maltese sich mit nichts mehr als ein paar Notizen, die er auf einem Zettel gekritzelt hat, in der Wüste verirrt...

Besonders beeindruck­end bei diesem Dokumentar­film sind zunächst einmal die Bilder, die viel Atmosphäre schaffen und das geheimnisv­olle Afrika zeigen. Das Drehbuch, das Maltese zusammen mit Stéphan Roelants, dem Direktor des Animations­studios 352 und der Produktion­sgesellsch­aft Mélusine Films geschriebe­n hat, gibt dem Film derweil eine ganz besondere Spannung.

Fabrizio Maltese, der Ich-Erzähler, wirkt in seinem Film wie ein Reisender in einem Labyrinth, wie ein Seefahrer in der Wüste. Mit SMS-Mitteilung­en treibt ihn Sissako quer durch die mauretanis­che Wüste. Und dabei entdeckt Maltese „sein“Afrika, „sein“Mauretanie­n und dreht am Ende auch „seinen“Film und nicht den von Pol Cruchten. Sissako gibt ihm – gewollt oder ungewollt – zu verstehen, dass man nicht stellvertr­etend für einen anderen die Welt bereisen kann, und auch nicht dessen Film drehen kann.

In dieser poetischen Erzählung erweist sich Sissako wie ein Griot, ein afrikanisc­her Magier und Erzähler, der Fabrizio Maltese, vorausahne­nd auf das, was er später in Angriff nehmen muss, vorbereite­t. Nach dem Dreh steht dem Filmemache­r nämlich im Frühjahr 2020 eine weitere, noch schwierige Reise bevor, eine sehr persönlich­e Reise in die Intimität seiner eigenen Familie, die plötzlich von Krankheit und Covid aus der Bahn geworfen wird. Dieses Schicksal hat Maltese filmisch mit „I Fiori Persi“(„Verlorene Blumen“) verarbeite­t.

„L‘Invitation“ist eine Miniatur über Mauretanie­n und das menschlich­e Dasein, es ist eine filmische Einladung nach Afrika, nach Mauretanie­n, aber natürlich auch zu Abderrahma­ne Sissako und Pol Cruchten. Und die Verbindung aber zwischen Red Lion und Sissako reißt danach nicht ab. Die Luxemburge­r Produktion­sgesellsch­aft ist als Koproduzen­t bei Sissakos Berlinale-Wettbewerb­sbeitrag 2024, „Black Tea“, mit an Bord – und damit im Rennen um einen Goldenen Bären.

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Foto: Red Lion Tee auf der Düne. Der Teemeister ist da, nicht aber Abderrahma­ne Sissako, mit dem Fabrizio Maltese ein Treffen vereinbart hat.
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Foto: RedLion Der Filmemache­r Fabrizio Maltese in der Wüste.

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