Wo sich der Müll bald über Leichen stapeln könnte
Die Madrider Stadtverwaltung will einen Müllumschlagplatz bauen. Verscharrte Tote aus dem Bürgerkrieg könnten das Vorhaben nun verzögern
Die Männer, die im deutschen Café „Fass“beieinandersitzen, sind gut gestimmt. Vor ein paar Tagen haben sie vom Kulturamt des Rathauses erfahren, dass der Müllumschlagplatz gleich um die Ecke erstmal nicht gebaut werden soll. „Das ist ein Sieg der Demokratie und der Erinnerung“, sagt Ignacio Fernández Toxo, der früher mal Gewerkschaftschef war und deswegen weiß, wie man zitierfähige Sätze sagt. Der Sieg ist aber wahrscheinlich keiner, sondern nur ein Aufschub. Trotzdem: Die Männer im „Fass“haben was bewegt.
Einer der andauernden Skandale der spanischen Gegenwart ist, dass es seine Toten wie Müll behandelt, die Toten jedenfalls, die im Bürgerkrieg (1936-1939) auf der Verliererseite standen oder kämpften. Die Sieger waren erbarmungslos. Hier auf dem Friedhof von Fuencarral, nur ein paar Schritte vom „Fass“entfernt, rissen sie im Sommer 1941 die Gräber von 451 Internationalen Brigadisten auf und warfen deren Überreste in eine Grube.
Das war die Rache des Franco-Regimes an den „Roten Horden“, die es gewagt hatten, sich den aufständischen Militärs entgegenzustellen. Die damalige Grabschändung ist bis heute nicht wieder gutgemacht worden. In den mehr als achtzig Jahren, die seit damals vergangen sind, geriet sogar in Vergessenheit, wo genau die Brigadisten verscharrt wurden. Nun soll endlich nach ihnen gesucht werden. Das ist den Leuten im „Fass“zu verdanken.
Müllhaufen mitten im Wohngebiet
Eigentlich wollten sie nur verhindern, dass in ihrer Nachbarschaft ein Cantón de Limpieza gebaut werden soll, was sich ungefähr mit Müllumschlagplatz übersetzen lässt. Eine harmlose Sache, sagt der Madrider Bürgermeister, so nützlich und nötig wie ein Gesundheitszentrum oder eine Polizeiwache. Die Nachbarn, die sich in der Bürgerinitiative „No al Cantón en Montecarmelo“zusammengeschlossen haben, glauben das nicht. Montecarmelo ist ein Stadtviertel, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Norden Madrids emporgewachsen ist und in dem 2015 ein 55-Millionen-Euro-Neubau der Deutschen Schule eingeweiht wurde: ein Wunderding aus weißem Beton, neben dem jetzt der Müllumschlagplatz gebaut werden soll.
Die deutsche Botschafterin in Madrid, Maria Margarete Gosse, ist von dem Vorhaben ebenso wenig erfreut wie die Anwohner. Anfang Oktober traf sie sich deswegen mit dem Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida, überzeugte ihn aber nicht. Einen besseren Ort für den Cantón gebe es nicht, sagte er, was schwer zu glauben ist.
Als der Kampf schon verloren schien, als alle guten Argumente ungehört verhallt waren, dass eine solche Anlage in ein Gewerbegebiet gehört und nicht in die Nachbarschaft von Schulen und Wohnhäusern, erinnerten sich ein paar Leute an die verschollenen Brigadisten. Die Internationalen Brigaden kämpften während des Spanischen Bürgerkriegs aufseiten der angegriffenen Republik: Männer und einige Frauen aus Europa und Nordamerika, und auch Spanier, als sich die Reihen der Ausländer in den Schlachten gegen die Aufständischen lichteten. Die rings um Madrid Gefallenen bekamen ein Grab auf dem eigens für sie erweiterten Friedhof von Fuencarral, damals ein Dorf, heute ein Stadtbezirk von Madrid, zu dem auch Montecarmelo gehört.
Kein Einzelfall
Mit den Gräbern der Brigadisten verschwand nicht die Erinnerung an sie. 1981 ließ die damalige linke Madrider Stadtregierung an einer der Friedhofsmauern von Fuencarral eine Replik der ursprünglichen, französischen Erinnerungstafel an die „Freiwilligen der Internationalen Brigaden“anbringen, „als Helden gefallen für die Freiheit des spanischen Volkes“. Doch wer die Tafel sah, musste sich fragen: „Was ist mit diesen Leuten geschehen?“, sagt Andrés Chamorro vom Verein der Freunde der Internationalen Brigaden.
Seit dem Jahr 2000 sind in ganz Spanien Tausende irgendwo im Land verscharrte Franco-Opfer exhumiert worden, fast immer auf Privatinitiative, eine sehr späte Wiedergutmachung. Viele von ihnen fand man am Rand großer Friedhöfe, zu Füßen der Außenmauern, übereinandergeworfen, ohne Grabstein oder sonstiges sichtbares Gedenken. So könnte es auch den Brigadisten ergangen sein.
Ignacio Fernández Toxo, der ehemalige Gewerkschaftschef und Nachbar von Montecarmelo, nutzte seine guten Kontakte zur spanischen Regierung, um sie davon zu überzeugen, sich auf die Suche nach den 451 von Fuencarral zu machen. Vielleicht liegen sie genau dort, wo der Müllumschlagplatz gebaut werden soll, was eine bittere Pointe wäre. In zwei, drei Monaten soll hier die Suche beginnen, die Regierung zahlt, eine kleine Sensation.
Emilio Silva, dessen „Verein für die Wiedererlangung des Historischen Gedächtnisses“(ARMH) in den vergangenen 24 Jahren mehr als 1.700 Franco-Opfer exhumiert hat, glaubt allerdings nicht, dass die Brigadisten außerhalb, sondern wohl eher innerhalb der Friedhofsmauern verscharrt wurden – so wie auf den 67 Friedhöfen, auf denen die ARMH bisher nach Opfern gegraben hat. „Mal sehen“, sagt Andrés Chamorro. Immerhin wird endlich nach den Helden von einst gesucht.
Seit dem Jahr 2000 sind in ganz Spanien Tausende irgendwo im Land verscharrte Franco-Opfer exhumiert worden, fast immer auf Privatinitiative, eine sehr späte Wiedergutmachung.