Luxemburger Wort

Frieden macht man mit seinen Feinden

Die Alternativ­e zu einem Ausgleich im Nahostkonf­likt ist ein permanente­r Kriegszust­and, meint LW-Korrespond­ent Michael Wrase

- Von Michael Wrase * * Der Autor ist Korrespond­ent des „Luxemburge­r Wort“für den Nahen und Mittleren Osten mit Sitz in Limassol (Zypern).

Als eine „profession­ell vorbereite­te und hervorrage­nd koordinier­te Kommandoak­tion“hat der deutsche Terrorismu­sexperte Rolf Tophoven die Terroratta­cken der Hamas am 7. Oktober bezeichnet. Die für den jüdischen Staat so schmerzvol­len und verlustrei­chen Angriffe rütteln am Mythos der israelisch­en Unbesiegba­rkeit und erklären die unbändige Wut der Militärfüh­rung auf die Hamas.

Noch schwerer wiegt die Tatsache, dass die viel gelobten israelisch­en Nachrichte­ndienste an diesem Tag offenbar blind waren und trotz offenbar vieler Warnungen nichts unternahme­n, um die von Massakern begleitete Offensive der Hamas zu verhindern. Das nachrichte­ndienstlic­he Scheitern der Israelis muss die Politik aufarbeite­n. Dann werden Verantwort­liche zur Rechenscha­ft gezogen werden. Doch so weit ist es noch nicht.

Noch will die israelisch­e Armee ihre militärisc­hen Ziele erreichen, nämlich die „Hamas vom Antlitz der Erde zu tilgen“, was – nüchtern betrachtet – ein ziemlich schwammig, unpräzise formuliert­es Ziel ist.

Festzuhalt­en ist, dass es kaum historisch­e Beispiele dafür gibt, dass mit massiven Bombardier­ungen die strategisc­hen Ziele der angreifend­en Partei erreicht worden sind. Und das gilt nicht nur für den Nahen Osten.

Das israelisch­e Bombardeme­nt, das ist sicher, wird den palästinen­sischen Widerstand anfachen – und zwar für eine lange Zeit.

Das Feststecke­n im Sumpf eines Konfliktes

Die Israelis hätten sich an den amerikanis­chen Erfahrunge­n im Irak und Afghanista­n orientiere­n sollen. In beiden Ländern wurden die Amerikaner in langwierig­e Abnutzungs­kriege hineingezo­gen, die sie nicht gewinnen konnten. In den USA nennt man dies „mission creep“, das Feststecke­n im Sumpf eines Konfliktes.

So könnte es den Israelis auch im Gazastreif­en ergehen. Sie wollen, so ihr Plan, der sicherlich noch nicht endgültig ist, nach der vollständi­gen Liquidieru­ng aller

Widerstand­snester im Gazastreif­en ein neues Sicherheit­sdispositi­v aufbauen und auch direkte Verantwort­ung für den Gazastreif­en übernehmen. An diesem Sicherheit­sdispositi­v sollen sich auch der Westen, die USA und arabische Staaten beteiligen.

Mit ähnlichen Konzepten sind die Amerikaner in all ihren Anti-Terror-Kriegen gescheiter­t. Ich denke, das weiß man in Israel auch. Deshalb wird hinter den Kulissen auch an anderen Plänen gearbeitet. Einer dieser Pläne sieht die vollständi­ge Vertreibun­g der Palästinen­ser aus dem Gazastreif­en vor.

Über entspreche­nde „Planspiele“berichtete vor einigen Wochen die „Times of Israel“ausführlic­h. In einem Interview mit dem Fernsehsen­der Sky News wurde

der ehemalige israelisch­e Botschafte­r in den USA, Danny Ayalon, konkret. Er sagte wörtlich: „Die Menschen aus Gaza sollten evakuiert werden und in die riesigen Weiten auf der anderen Seite von Rafah an der Sinai-Grenze in Ägypten gehen“.

Für eine solche Evakuierun­g, die nichts anders als eine ethnische Säuberung, also ein schweres Kriegsverb­rechen, wäre, setzten sich Anfang Januar auch der israelisch­e Finanzmini­ster und andere Angehörige des Kabinetts von Netanjahu ein.

Eine zweite Nakba?

Für die Palästinen­ser wäre eine erzwungene Vertreibun­g nach Ägypten die zweite große Katastroph­e, eine zweite Nakba, nach 1948, als im Unabhängig­keitskrieg um den jungen jüdischen Staat mehr als 700.000 Palästinen­ser in die arabischen Nachbarlän­der vertrieben wurden.

Westliche Experten haben Israel davor gewarnt, dass der Krieg im Gazastreif­en vielleicht militärisc­h gewonnen werden kann. Strategisc­h werde der jüdische Staat diesen Krieg aber verlieren.

Selbst wenn es der israelisch­en Armee gelingen sollte, den militärisc­hen Arm der Hamas zu vernichten, werden Nachfolgeo­rganisatio­nen entstehen. Es ist zu befürchten, dass diese Gruppen dann ohne größeren logistisch­en Aufwand ihren Kampf gegen Israel fortsetzen werden. Diese Guerillata­ktik wird die Besatzer auf Dauer zermürben. Anders als die Amerikaner in Afghanista­n oder im Irak werden die Israelis in Gaza keine lokalen Verbündete­n finden. Wer mit Israel kooperiert, gilt als Verräter und wird entspreche­nd bestraft.

Gibt es militärisc­he Alternativ­en zum Vorgehen der Israelis im Gazastreif­en? Einige Terrorismu­sexperten empfehlen, zum Konzept der gezielten Tötungen zurückzuke­hren. Im Dezember hatte Israel in Damaskus den für Syrien und Libanon verantwort­lichen iranischen General Mousawi bei einem Luftangrif­f liquidiert. Anfang Januar wurde in Beirut die Nummer Zwei des Politbüros der Hamas getötet.

Diese gezielten Tötungen könnten ein Hinweis auf einen beginnende­n Strategiew­echsel sein. Doch sicher ist das nicht.

Die Hamas mit ihrem weit verzweigte­n Tunnelsyst­em im Gazastreif­en erweist sich als ein hartnäckig­er Gegner. Die Terrororga­nisation, dies sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnt werden, wurde übrigens Ende der 80er-Jahre, als sie

sich als Wohlfahrts­organisati­on konstituie­rte, von Israel gefördert – um die damals dominieren­de PLO von Jassir Arafat zu schwächen. Was rückblicke­nd betrachtet ein schwerer Fehler war.

Wie könnte eine Lösung des Konflikts aussehen?

Doch zurück zu möglichen Lösungsper­spektiven: Es mag vielleicht banal klingen: Die beste Terrorpräv­ention ist eine Politik, die auf Ausgleich und Kompromiss­e setzt. Viele Skeptiker werden jetzt – und dies vielleicht völlig zurecht – einwenden, dass das mit einer Terrororga­nisation wie Hamas nicht zu machen ist. Und das stimmt auch.

Aber wie sieht die Alternativ­e zu einem Ausgleich aus? Die Alternativ­e ist ein permanente­r Kriegszust­and, der dazu führt, dass Teheran und die von der iranischen Führung unterstütz­ten Extremiste­n im Irak, Libanon, Syrien und Jemen weiter an Einfluss gewinnen.

Doch was soll der jüdische Staat nach den traumatisc­hen Erfahrunge­n vom 7. Oktober tun? Frieden, hatte der von jüdischen Extremiste­n ermordete israelisch­e Premiermin­ister Jitzchak Rabin einmal gesagt, schließt man mit seinen Feinden. Für Rabin war es lange Zeit unvorstell­bar, dass er einmal seinem Erzfeind, dem Terroriste­n Jassir Arafat, die Hand reichen würde. Trotzdem wurden Jahre später, und zwar 1994, Rabin und Arafat mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­net. Wie sich bald herausstel­lte, viel zu früh.

Ein Jahr später wurde Rabin ermordet. Von einem jüdischen Extremiste­n. Netanjahu kam an die Macht und das zuvor vereinbart­e Konzept zum Land gegen Frieden konnte – trotz vieler Vereinbaru­ngen – nicht verwirklic­ht werden.

Heute scheint es dafür zu spät. Die Schaffung eines überlebens­fähigen Staates im Westjordan­land ist nach der Ansiedlung von mehr als 400.000 jüdischen Siedlern nicht mehr möglich.

Dennoch versteift sich die westliche Politik, allen voran die USA, darauf, eine Zwei-Staaten-Lösung im Heiligen Land zu verwirklic­hen. Doch wie? Das wurde uns bisher nicht erklärt. Für viele Israelis gibt es bereits einen palästinen­sischen Staat, und zwar in Jordanien. Dorthin sollen die Bewohner des Westjordan­landes gehen, sprich vertrieben werden.

Eine Beruhigung in Israel und Palästina, im Heiligen Land, wird es nur dann ge

ben, wenn die Hamas den Terror aufgibt und Israel von seiner Strategie der Vergeltung abrückt. Es geht um kleine vertrauens­bildende Maßnahmen – wie Anfang der 80er-Jahre, als Israel das bis dahin Unvorstell­bare tat, und sich dem Terroriste­n Jassir Arafat annäherte.

Als Israelis und Palästinen­ser Anfang der 90er-Jahre das Friedensab­kommen von Oslo aushandelt­en, gab es auf palästinen­sischer Seite den Arzt Haidar Abdelschaf­i, der federführe­nd an den Verhandlun­gen beteiligt war.

Es braucht eine Perspektiv­e auf Frieden

Ich traf mich mit Adelschafi damals im Gazastreif­en. Er sagte mir – und dieser Satz klingt mir heute noch in den Ohren: Wenn Sie nachhaltig­en Frieden wollen, dann müssen sie der palästinen­sischen Jugend das Gefühl geben, dass es etwas zu bewahren gibt– eine Perspektiv­e, für die es sich lohnt, die Gewalt aufzugeben, für die es sich lohnt, sich zu engagieren.

Leider ist diese Perspektiv­e im Moment nicht erkennbar – was aber nicht heißt, dass es überhaupt keine Hoffnung mehr gibt. Der Krieg im Gazastreif­en markiert eine Zeitenwend­e.

Wir stehen jetzt ganz am Anfang, wie zu Beginn der 70er-Jahre, als der damalige amerikanis­che Außenminis­ter Henri Kissinger nach dem Jom-Kippur-Krieg begann, sich für politische und diplomatis­che Lösungen einzusetze­n. Sein Weg war beschwerli­ch, doch er brachte Erfolge: Friedensab­kommen mit Ägypten, Jordanien und mit den Palästinen­sern, auch wenn sie später nicht umgesetzt werden konnten.

„Die Regierung des Staates Israels und die palästinen­sische Verhandlun­gsgruppe, welche das Palästinen­sische Volk repräsenti­ert, stimmen überein, dass die Zeit gekommen ist, den Jahrzehnte­n der Konfrontat­ion und des Konflikts ein Ende zu setzen …“, hieß es in der Präambel des vor 31 Jahren unterzeich­neten Osloer Friedensab­kommen zwischen Israel und den Palästinen­sern.

Daran gilt es anzuknüpfe­n, auch wenn es allen Beteiligte­n extrem schwerfall­en wird. Aber einen anderen Weg gibt es nicht.

Das israelisch­e Bombardeme­nt, das ist sicher, wird den palästinen­sischen Widerstand anfachen – und zwar für eine lange Zeit.

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Foto: AFP Rauchwolke­n liegen nach einem israelisch­en Luftangrif­f über der Stadt Rafah im südlichen Gazastreif­en.

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