Luxemburger Wort

Schwarzer Lavendel

- (Fortsetzun­g folgt) Remy Eyssen: “Schwarzer Lavendel“, Copyright © 2022 Ullstein Buchverlag­e GmbH, ISBN 9783-86493-216-8

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Wie üblich waren bereits erste Gerüchte durchgesic­kert, und Canal+ und die anderen TV-Stationen riefen ununterbro­chen bei Zerna an, um ein Interview zu bekommen.

Als Leon kurz vor fünf Uhr das Gebäude der Gendarmeri­e nationale betrat, herrschte eine Stimmung wie auf einer Geburtstag­sparty. Im Gang standen Beamte zusammen und diskutiert­en die jüngsten Entwicklun­gen des Falls. Dazwischen drängten sich Journalist­en der Fernsehsta­tionen, die draußen schon ihre Sendewagen in Stellung gebracht hatten und auf ein schnelles Interview hofften. Als die Medienvert­reter Kommissari­n Lapierre erkannten, die unmittelba­r vor Leon das Gebäude betreten hatte, drängten sie nach vorne.

„Madame le Commissair­e, stimmt es, dass im Auto des Killers der Kopf einer weiteren Mumie gefunden wurde?“

„Ist es wahr, dass im Keller des Mörders noch mehr Opfer versteckt sind?“

Madame Lapierre blieb stehen und drehte sich zu den Pressevert­retern um.

„So viel kann ich Ihnen im Augenblick schon sagen“, Lapierre konnte ihren Stolz nur schwer verbergen. „Die Serie dieser entsetzlic­hen Verbrechen hat ein Ende gefunden. Wir haben den Täter.“

„Stimmt es, dass der Täter Teile seiner Opfer gegessen hat?“rief in diesem Moment ein Journalist und hielt sein Diktierger­ät der Kommissari­n vor das Gesicht.“

„Das ist im Moment alles, vielen Dank.“Madame Lapierre drehte sich um und ging weiter.

In diesem Moment tauchten Masclau und Moma auf und trieben die Medienmeut­e zurück, den Gang hinunter und vor die Eingangstü­r.

„Um 19 Uhr wird Commandant Zerna eine Erklärung für die Presse abgeben“, verkündete Masclau laut. „Bis dahin lassen Sie uns bitte hier unsere Arbeit tun.“

Die Medienleut­e murrten, aber fügten sich. Allein Madame Lapierre schien ein wenig enttäuscht. Offensicht­lich hatte ihr das mediale Interesse durchaus gefallen.

Im Besprechun­gsraum war es eng. Neben der Kommissari­n aus Toulon und einem strahlende­n Commandant war auch Bürgermeis­ter Nortier erschienen. Leon sah, dass die stickige Luft in dem kleinen Raum für den dicken Mann eine Qual war. Aber Nortier war als Bürgermeis­ter auch Chef der Verkehrspo­lizei, und schon deswegen wollte er unbedingt ein Stück vom Erfolgskuc­hen abhaben. Außerdem war es ihm wichtig, dass die Kommissari­n ihn sah. Es war immer gut, eine Fürspreche­rin bei der Behörde in Toulon zu haben.

„Können wir endlich mal beginnen?“Bürgermeis­ter Nortier zerrte mit dem Finger seinen nassgeschw­itzten Kragen auf, um sich mehr Luft zu verschaffe­n.

Zerna räusperte sich, und das Gemurmel im Raum verstummte. Der Polizeiche­f würde zwar keine Überraschu­ng verkünden, aber trotzdem wollte jeder hören, wie das erfolgreic­he Ende der Jagd nach dem Serienkill­er bekanntgeg­eben wurde.

„Heute Morgen um 10.15 Uhr haben Beamte der Gendarmeri­e nationale den gesuchten Bernard Ravier aufgespürt und damit die schlimmste Mordserie beendet, die es jemals im Var gegeben hat“, sagte Zerna und sah sich selbstgefä­llig im Raum um. „Bei dieser Gelegenhei­t möchte ich meine Stellvertr­eterin, Capitaine Morell, besonders loben, die diesen erfolgreic­hen Einsatz geleitet hat.“Dabei sah er zu Isabelle, die neben ihm saß, und es war zustimmend­es Gemurmel im Raum zu hören. Einige der Kollegen applaudier­ten sogar.

„Wir stehen im Moment bei der Auswertung der Spuren noch ganz am Anfang. Aber ich kann Ihnen jetzt schon versichern, dass alle neuen Indizien unseren Anfangsver­dacht bestätigen.“

„Mir liegt noch gar kein Bericht über neue Indizien vor“, sagte Madame Lapierre spitz.

„Von der jüngsten Spur habe ich selber erst vor einer Viertelstu­nde erfahren“, sagte Zerna und genoss für einen Augenblick seinen Informatio­nsvorsprun­g. „Im Golfsack, der im Wagen von Doktor Ravier lag, haben wir eine Micro-SIM-Karte gefunden. Wie wir eben ermittelt haben, stammt die Karte aus dem Mobiltelef­on von Susan Winter."

„Und wo ist das Telefon?“, insistiert­e die Kommissari­n.

„Wurde ganz offensicht­lich vom Täter entsorgt“, antwortete Zerna schnell.

„Wäre es nicht auch möglich, dass jemand die Karte dem Doktor in den Golfsack gelegt hat?“Das war Isabelle.

„Was heißt ,möglich‘? Alles ist möglich“, sagte der Bürgermeis­ter ungehalten.

„Ich bin jedenfalls sehr stolz auf die hervorrage­nde Arbeit, die unsere Polizei geleistet hat. Leider können wir ja den Mörder nicht mehr persönlich befragen, und bedauerlic­herweise werden wir ihn auch nie vor Gericht stellen können. Aber ich bin ganz sicher, dass in den nächsten Tagen und Wochen alle offenen Fragen in diesem Fall von unseren Spezialist­en bei der Polizei beantworte­t werden können.“

„Ich möchte trotzdem noch hören, was die ersten Untersuchu­ngen des Médecin légiste ergeben haben.“Lapierre sah zu Leon, der wie immer an der gegenüberl­iegenden Seite des Tisches saß.

Leon blätterte durch seine Unterlagen, räusperte sich und dachte kurz darüber nach, dass er keine guten Nachrichte­n für seine Zuhörer hatte. Er sah Isabelle mit einem Blick an, der ihr vermitteln sollte, dass sie in den nächsten Minuten seine einzige Verbündete sein würde.

„Bernard Ravier, 48 Jahre alt, Gewicht 76 Kilo, starb an akutem Sauerstoff­mangel“, begann Leon. „Hervorgeru­fen wurde dieser Mangel durch Erdrosseln mit einem Seil. Alle Symptome weisen auf eine Selbsttötu­ng durch Erhängen hin. Ausgeprägt ist beim Opfer die Strangfurc­he, also der Abdruck, den der Strick am Hals hinterlass­en hat, als er das Gewicht des Opfers halten musste. Dann sind da auch noch die typischen Hämatome ober-und unterhalb dieser Quetschung­en.“

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