Schwarzer Lavendel
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Wie üblich waren bereits erste Gerüchte durchgesickert, und Canal+ und die anderen TV-Stationen riefen ununterbrochen bei Zerna an, um ein Interview zu bekommen.
Als Leon kurz vor fünf Uhr das Gebäude der Gendarmerie nationale betrat, herrschte eine Stimmung wie auf einer Geburtstagsparty. Im Gang standen Beamte zusammen und diskutierten die jüngsten Entwicklungen des Falls. Dazwischen drängten sich Journalisten der Fernsehstationen, die draußen schon ihre Sendewagen in Stellung gebracht hatten und auf ein schnelles Interview hofften. Als die Medienvertreter Kommissarin Lapierre erkannten, die unmittelbar vor Leon das Gebäude betreten hatte, drängten sie nach vorne.
„Madame le Commissaire, stimmt es, dass im Auto des Killers der Kopf einer weiteren Mumie gefunden wurde?“
„Ist es wahr, dass im Keller des Mörders noch mehr Opfer versteckt sind?“
Madame Lapierre blieb stehen und drehte sich zu den Pressevertretern um.
„So viel kann ich Ihnen im Augenblick schon sagen“, Lapierre konnte ihren Stolz nur schwer verbergen. „Die Serie dieser entsetzlichen Verbrechen hat ein Ende gefunden. Wir haben den Täter.“
„Stimmt es, dass der Täter Teile seiner Opfer gegessen hat?“rief in diesem Moment ein Journalist und hielt sein Diktiergerät der Kommissarin vor das Gesicht.“
„Das ist im Moment alles, vielen Dank.“Madame Lapierre drehte sich um und ging weiter.
In diesem Moment tauchten Masclau und Moma auf und trieben die Medienmeute zurück, den Gang hinunter und vor die Eingangstür.
„Um 19 Uhr wird Commandant Zerna eine Erklärung für die Presse abgeben“, verkündete Masclau laut. „Bis dahin lassen Sie uns bitte hier unsere Arbeit tun.“
Die Medienleute murrten, aber fügten sich. Allein Madame Lapierre schien ein wenig enttäuscht. Offensichtlich hatte ihr das mediale Interesse durchaus gefallen.
Im Besprechungsraum war es eng. Neben der Kommissarin aus Toulon und einem strahlenden Commandant war auch Bürgermeister Nortier erschienen. Leon sah, dass die stickige Luft in dem kleinen Raum für den dicken Mann eine Qual war. Aber Nortier war als Bürgermeister auch Chef der Verkehrspolizei, und schon deswegen wollte er unbedingt ein Stück vom Erfolgskuchen abhaben. Außerdem war es ihm wichtig, dass die Kommissarin ihn sah. Es war immer gut, eine Fürsprecherin bei der Behörde in Toulon zu haben.
„Können wir endlich mal beginnen?“Bürgermeister Nortier zerrte mit dem Finger seinen nassgeschwitzten Kragen auf, um sich mehr Luft zu verschaffen.
Zerna räusperte sich, und das Gemurmel im Raum verstummte. Der Polizeichef würde zwar keine Überraschung verkünden, aber trotzdem wollte jeder hören, wie das erfolgreiche Ende der Jagd nach dem Serienkiller bekanntgegeben wurde.
„Heute Morgen um 10.15 Uhr haben Beamte der Gendarmerie nationale den gesuchten Bernard Ravier aufgespürt und damit die schlimmste Mordserie beendet, die es jemals im Var gegeben hat“, sagte Zerna und sah sich selbstgefällig im Raum um. „Bei dieser Gelegenheit möchte ich meine Stellvertreterin, Capitaine Morell, besonders loben, die diesen erfolgreichen Einsatz geleitet hat.“Dabei sah er zu Isabelle, die neben ihm saß, und es war zustimmendes Gemurmel im Raum zu hören. Einige der Kollegen applaudierten sogar.
„Wir stehen im Moment bei der Auswertung der Spuren noch ganz am Anfang. Aber ich kann Ihnen jetzt schon versichern, dass alle neuen Indizien unseren Anfangsverdacht bestätigen.“
„Mir liegt noch gar kein Bericht über neue Indizien vor“, sagte Madame Lapierre spitz.
„Von der jüngsten Spur habe ich selber erst vor einer Viertelstunde erfahren“, sagte Zerna und genoss für einen Augenblick seinen Informationsvorsprung. „Im Golfsack, der im Wagen von Doktor Ravier lag, haben wir eine Micro-SIM-Karte gefunden. Wie wir eben ermittelt haben, stammt die Karte aus dem Mobiltelefon von Susan Winter."
„Und wo ist das Telefon?“, insistierte die Kommissarin.
„Wurde ganz offensichtlich vom Täter entsorgt“, antwortete Zerna schnell.
„Wäre es nicht auch möglich, dass jemand die Karte dem Doktor in den Golfsack gelegt hat?“Das war Isabelle.
„Was heißt ,möglich‘? Alles ist möglich“, sagte der Bürgermeister ungehalten.
„Ich bin jedenfalls sehr stolz auf die hervorragende Arbeit, die unsere Polizei geleistet hat. Leider können wir ja den Mörder nicht mehr persönlich befragen, und bedauerlicherweise werden wir ihn auch nie vor Gericht stellen können. Aber ich bin ganz sicher, dass in den nächsten Tagen und Wochen alle offenen Fragen in diesem Fall von unseren Spezialisten bei der Polizei beantwortet werden können.“
„Ich möchte trotzdem noch hören, was die ersten Untersuchungen des Médecin légiste ergeben haben.“Lapierre sah zu Leon, der wie immer an der gegenüberliegenden Seite des Tisches saß.
Leon blätterte durch seine Unterlagen, räusperte sich und dachte kurz darüber nach, dass er keine guten Nachrichten für seine Zuhörer hatte. Er sah Isabelle mit einem Blick an, der ihr vermitteln sollte, dass sie in den nächsten Minuten seine einzige Verbündete sein würde.
„Bernard Ravier, 48 Jahre alt, Gewicht 76 Kilo, starb an akutem Sauerstoffmangel“, begann Leon. „Hervorgerufen wurde dieser Mangel durch Erdrosseln mit einem Seil. Alle Symptome weisen auf eine Selbsttötung durch Erhängen hin. Ausgeprägt ist beim Opfer die Strangfurche, also der Abdruck, den der Strick am Hals hinterlassen hat, als er das Gewicht des Opfers halten musste. Dann sind da auch noch die typischen Hämatome ober-und unterhalb dieser Quetschungen.“