Marie Schreiber und der Traum vom Regenbogentrikot
Die Luxemburgerin startet bei der CyclocrossWeltmeisterschaft als eine der Topfavoritinnen. Eine Medaille ist in Reichweite
Die Bilder von vor zwölf Monaten sind unvergessen: Marie Schreiber sitzt im Zielbereich auf dem Boden und kann es nicht fassen. Die Luxemburgerin ist nach dem Rennen der U23-Frauen in Hoogerheide enttäuscht und ernüchtert. Ihr kullern die Tränen über die Wangen. Ein Sturz samt Knieschmerzen hatte den Traum von einer WMMedaille zunichtegemacht. Rang fünf stand unter dem Strich zu Buche.
Nun steht die nächste Weltmeisterschaft vor der Tür. Im tschechischen Tabor werden am Wochenende die Medaillen vergeben. Der morgige Sonntag steht aus Luxemburger Sicht ganz besonders im Fokus: Schreiber und Liv Wenzel starten im Rennen der U23-Frauen (12.35 Uhr). Davor werden Rick Meylender, Jonah Flammang-Lies und Yannis Lang versuchen, sich bei den Junioren (11.05 Uhr) bestmöglich aus der Affäre zu ziehen.
Seit der Enttäuschung in Hoogerheide ist für Schreiber viel passiert: Sie hat ihren Landesmeistertitel verteidigt. Vor allem aber hat sich die 20-Jährige mit starken Leistungen der Weltspitze angenähert. Bei neun Weltcup-Durchgängen gehörte sie in diesem Winter zu den Top Ten und auch in der Weltrangliste belegt sie aktuell Rang zehn.
Die Situation vor dem Auftritt in Tabor ist klar. „Ich kann Weltmeisterin werden“, sagt Schreiber. „Aber ich kann auch Vierte oder Fünfte werden.“Wenn die Luxemburgerin vom Materialpech verschont bleibt und nicht stürzt, sollte sie es auf das Podium schaffen. Aus den 35 gemeldeten Fahrerinnen kristallisiert sich ein Quartett heraus: Schreiber, Zoe Backstedt (GB), Kristyna Zemanova (CZE) und Leonie Bentveld (NL) werden um die Medaillen kämpfen, vielleicht auch noch die kanadischen Zwillinge Isabella und Ava Holmgren.
Duell mit Freundin Zoe Backstedt
Schreiber bleibt locker: „Für mich ist es ein Rennen wie jedes andere. Es geht zwar um einen Titel, aber es bringt nichts, sich im Vorfeld verrückt zu machen und nicht ruhig zu schlafen. Die Nervosität wird am Tag selber spürbar sein. Es geht darum, die richtige Mischung aus Anspannung und Entspannung zu finden. Ich darf nicht zu locker an die Sache herangehen. Ich weiß, was ich kann und vertraue auf mein Können.“
Die 20-Jährige schöpft eine Menge Vertrauen aus ihren jüngsten Auftritten. Vergangenen Sonntag wurde sie beim Weltcup in Hoogerheide Fünfte. „Die Form passt. Sie könnte, glaube ich, nicht viel besser sein. Wenn sich die Beine am Sonntag gut anfühlen, werde ich vorne dabei sein.“
Nationaltrainer Jempy Drucker redet gerne davon, dass seine Schützlinge das „perfekte Rennen“abliefern sollen. Schreiber stimmt zu: „Ja, darum geht es. Nichts bereuen, alles geben. Dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. Wir sind vier
Fahrerinnen auf einem ähnlichen Niveau. Es bringt nichts, sich zu sehr auf ein Resultat zu fixieren. Ansonsten werde ich im Ziel vielleicht enttäuscht sein.“
Schreiber weiß genau, was sie erwartet und wie sie den Wettkampf angehen möchte. Normalerweise startet sie als U23-Fahrerin gemeinsam mit der Elite. Diesmal sind die U23 – so wie bei der EM in Pontchâteau, wo sie hinter Backstedt Zweiter wurde – unter sich. „Ich glaube, die Abstände werden größer sein, weil man sich nicht an die Elite-Fahrerinnen heften kann. Wir werden sehr schnell merken, wer stark ist und
: Ich kann Weltmeisterin werden. Aber ich kann auch Vierte oder Fünfte werden. Marie Schreiber
wer nicht. Wenn man erst einmal abgehängt wurde, wird es sehr schwer, noch einmal heranzukommen. Von der Taktik oder vom Rhythmus gibt es jedoch keinen Unterschied zu den Weltcup-Rennen.“
Schreiber wird ihre Konkurrentinnen wie immer mit einem schnellen Start unter
Druck setzen. „Ja, das liegt mir einfach. Es ist wenig sinnvoll, jetzt bei der WM andere Dinge auszuprobieren. Zoe wird wohl ähnlich agieren. Dann sind die Verhältnisse gleich klar und das Feld zieht sich in die Länge. Nach einer oder zwei Runden wird man sehen, wie die Situation aussieht. Es ist einfacher, zwei Fahrerinnen im Blick zu behalten als eine Gruppe von zehn.“
Backstedt und Schreiber sind sehr gute Freundinnen. Morgen wird darauf jedoch keine Rücksicht genommen: „Nein, ganz sicher nicht. Es ist eine WM und es geht um das Regenbogentrikot. Wir werden uns keine Geschenke machen. Für die Dauer des Rennens macht die Freundschaft eine Pause.“Und die Luxemburger verrät mit einem Schmunzeln im Gesicht: „Ich glaube, Zoe ist nervös.“
Weder Schnee noch tiefer Matsch
Der Parcous in Tabor gefällt Schreiber: „Es ist eine coole Strecke. Sie ist ähnlich wie die in Hoogerheide, nur technisch noch etwas anspruchsvoller. Das liegt mir. Es wird wohl ein schneller Parcours mit ein paar matschigen Stellen.“Bei sieben Grad Celsius sind morgen bei grauem Himmel auch kurze Regenschauer möglich.
Drucker weiß ganz genau, was morgen realistisch ist: „Alles ist möglich. Marie hat die Chance auf eine Medaille. Das hat sie bereits bei der EM gezeigt. Aber ein WMRennen ist was anderes als ein WeltcupDurchgang. Die Form ist da. Marie darf zuversichtlich sein, ohne sich zu sicher zu sein und die Konkurrentinnen zu unterschätzen. Das Ziel ist klar: ein Platz auf dem Podium.“
Nicht unterschätzen sollte man auch Wenzel. Die 20-Jährige hat sich in den vergangenen Monaten stark verbessert. Am vergangenen Sonntag fuhr sie in Hoogerheide im gemeinsamen Rennen mit der Elite unter 65 Starterinnen auf Rang 42. Dabei musste Wenzel von weit hinten starten. Das wird diesmal anders sein. Drucker traut ihr in Tabor einen Top-15-Platz zu. Wenn zudem Schreiber eine Medaille holt, ist das Luxemburger Cyclocross-Glück komplett.
: Marie darf zuversichtlich sein, ohne sich zu sicher zu sein und die Konkurrentinnen zu unterschätzen. Jempy Drucker