„Save the Gare“: Demo zieht Hunderte auf die Straße
Die Situation im Bahnhofsviertel hat sich laut den Organisatoren der Kundgebung nicht verbessert. Sie rufen weiter nach Hilfe
Wer am Samstagmorgen um 10.30 Uhr die Rue de Strasbourg in Richtung der Avenue de la Liberté hochgeht, muss sich wundern. Die Polizei hat hinter der Place de Strasbourg die Straße abgesperrt. Hier soll in Kürze eine Demonstration stattfinden, organisiert von demselben Personenkreis um Laurence Gillen, der für die Kundgebung vom 23. September 2023 verantwortlich war.
Man muss allerdings hoch bis zum Treffpunkt vor dem Restaurant „Bella Napoli“gehen, um Teilnehmer des Protestmarsches zu begegnen. Immerhin sind zur verabredeten Startzeit mehr Teilnehmer als Polizisten vor Ort, wenige Minuten zuvor war das Verhältnis noch umgekehrt.
Die Kulisse und die Stimmung vor dem italienischen Restaurant erinnert an vergangenen September. Sweet Child O‘ Mine von Guns N‘ Roses dröhnt aus einer Musikbox, bunte Luftballons werden verteilt. Das erweckt nicht den Eindruck, als wollten hier gleich Menschen ihrem Unmut über die Zustände im Bahnhofsviertel Ausdruck verleihen.
„Die Gare war nicht immer so“
Wären da nicht die gebastelten Schilder, welche viele Menschen tragen. Deren Forderungen wiederholen sich und sind in mehreren Sprachen verfasst: Wirksame Maßnahmen zur Rettung des Viertels, Schutz der Kinder, Dauerpräsenz der Polizei, die Dealer stoppen und den Drogenkranken helfen. Außerdem die Feststellung, die Gare sei nicht immer so gewesen.
Das unterstreicht auch eine Teilnehmerin der Demo, die schon ihr ganzes Leben im Bahnhofsviertel lebt. Seit etwa zehn Jahren werde es immer schlimmer, erzählt die 64Jährige dem „Luxemburger Wort“. Den Vordereingang ihrer Wohnung habe sie mit einer Metalltür absperren lassen, weil sonst Drogenabhängige im Eingang sitzen würden.
„Früher haben die Dealer und Drogensüchtigen sich mehr versteckt“, findet die Frau. Sie traue sich im Winter, wenn es abends früh dunkel wird, nicht mehr vor die Tür: „Ab acht Uhr bin ich zu Hause, ich gehe dann nicht mehr raus.“
Was wünscht sie sich von der Politik? „Ich hoffe, dass wir irgendwann gehört werden.“Die Drogensüchtigen seien krank und selbst Opfer, die Bettler nicht das eigentliche Problem. Die Dealer müssten verschwinden. Wenn diese zu fünft an einer Straßenecke stünden, habe sie Angst, an ihnen vorbeizugehen.
Eine andere Frau, die seit zehn Jahren im Viertel lebt, berichtet von wiederkehrendem nächtlichem Lärm und Krach. Vor ihrer Tür urinierten regelmäßig Menschen. „Fréier war et schéin op der Gare“, sagt sie.
200 bis 300 Menschen sind gekommen
Als der Protestmarsch sich um elf Uhr in Bewegung setzt, ist die Menge auf 200 bis 300 Menschen gewachsen. Bei der Demonstration vom 23. September 2023 waren es laut Polizeiangaben 600. Aus der nationalen Politik sind lediglich Franz Fayot (LSAP) und Tom Weidig (ADR) gekommen. Unter den Demonstrierenden sind viele junge Familien, einige schieben einen Kinderwagen vor sich.
Es dauert eine Weile, bis die Demonstrierenden wach werden. Beim Gang durch die Avenue de la Liberté rufen die Organisatoren zwar immer wieder Sprüche wie „Sauvons la gare, sauvons nos enfants“, die restlichen Teilnehmer erwidern diese allerdings nur zaghaft. Aus 100 Meter Entfernung sind sie kaum noch zu hören.
Die Rufe wechseln sich mit 1980er-Jahre Pop ab, alles wirkt ein wenig planlos. Bis es schließlich auf dem Pont Adolphe fast komplett still wird. An der Spitze der Demo sind nur noch die Klänge aus einer Musikbox aus der Mitte des Marsches zu hören. Fehlte diese, könnten ahnungslose Passanten meinen, es handele sich um einen stillen Gedenkmarsch.
In der Oberstadt beginnen die Rufe „Sauvons la gare“und „Sauvons nos commerçants“dann wieder, werden aber nicht von allen beiläufig Anwesenden verstanden. So erwidert eine Passantin etwas verdutzt auf die Frage eines Anderen, um was es den Menschen geht, sie wisse es nicht. Sie könne nicht verstehen, was die Demonstranten rufen. In der Groussgaass wird es dann lauter.
Als der Protestzug zur Chamber gelangt, hält dort gerade ein Touristenführer ein Porträt von Großherzog Henri in die Höhe und erklärt die Geschichte des großherzoglichen Palastes. Seine Erläuterungen gehen im Getöse unter, die Touristen machen schnell Platz.
Appell an die Regierung
Zwei der Organisatorinnen, darunter Laurence Gillen, richten sich abwechselnd auf Französisch und Luxemburgisch von den Treppen der Chamber aus an die Menschenmenge. Sie erinnern an den Marsch vom 23. September: „An jenem Tag ist unser Ziel erfolgreich erreicht worden.“Die Autoritäten und die Bevölkerung seien auf die Problemlage aufmerksam gemacht worden.
Gillen erwähnt den Besuch von Innenminister Léon Gloden (CSV) und Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP). Diese hatten Mitte Januar mit den Organisatoren einen Rundgang durchs Bahnhofsviertel unternommen. Bei der Nennung der beiden Politiker gibt es ein paar Buh-Rufe.
„Unsere Probleme haben sich nicht geändert“, fährt Gillen fort. „Die Drogenhändler verkaufen ihre Produkte ungestraft an jeder Straßenecke.“Auf den Straßen würden Abfall, Urin, Exkremente und Spritzen liegen. Drogenabhängige würden die Eingänge von Gebäuden „monopolisieren“und die Bewohner daran hindern, ihr Zuhause friedlich zu betreten.
An die Regierung gerichtet fragt Gillen, ob diese es wohl schön fände, wenn ihre Kinder über Drogenabhängige steigen müssten, um die Wohnung zu verlassen. „Et geet duer“, sagt sie. Die Einwohner des Viertels wollten „Sicherheit, Sauberkeit und Ruhe“. Außerdem fordert Gillen eine Lokalpolizei, die das Viertel kenne. Die Forderungen erhalten Applaus aus der Menge.
Unsere Probleme haben sich nicht geändert. Laurence Gillen, Organisatorin der Demo „Save the Gare“