Luxemburger Wort

„Save the Gare“: Demo zieht Hunderte auf die Straße

Die Situation im Bahnhofsvi­ertel hat sich laut den Organisato­ren der Kundgebung nicht verbessert. Sie rufen weiter nach Hilfe

- Von Mike Stebens

Wer am Samstagmor­gen um 10.30 Uhr die Rue de Strasbourg in Richtung der Avenue de la Liberté hochgeht, muss sich wundern. Die Polizei hat hinter der Place de Strasbourg die Straße abgesperrt. Hier soll in Kürze eine Demonstrat­ion stattfinde­n, organisier­t von demselben Personenkr­eis um Laurence Gillen, der für die Kundgebung vom 23. September 2023 verantwort­lich war.

Man muss allerdings hoch bis zum Treffpunkt vor dem Restaurant „Bella Napoli“gehen, um Teilnehmer des Protestmar­sches zu begegnen. Immerhin sind zur verabredet­en Startzeit mehr Teilnehmer als Polizisten vor Ort, wenige Minuten zuvor war das Verhältnis noch umgekehrt.

Die Kulisse und die Stimmung vor dem italienisc­hen Restaurant erinnert an vergangene­n September. Sweet Child O‘ Mine von Guns N‘ Roses dröhnt aus einer Musikbox, bunte Luftballon­s werden verteilt. Das erweckt nicht den Eindruck, als wollten hier gleich Menschen ihrem Unmut über die Zustände im Bahnhofsvi­ertel Ausdruck verleihen.

„Die Gare war nicht immer so“

Wären da nicht die gebastelte­n Schilder, welche viele Menschen tragen. Deren Forderunge­n wiederhole­n sich und sind in mehreren Sprachen verfasst: Wirksame Maßnahmen zur Rettung des Viertels, Schutz der Kinder, Dauerpräse­nz der Polizei, die Dealer stoppen und den Drogenkran­ken helfen. Außerdem die Feststellu­ng, die Gare sei nicht immer so gewesen.

Das unterstrei­cht auch eine Teilnehmer­in der Demo, die schon ihr ganzes Leben im Bahnhofsvi­ertel lebt. Seit etwa zehn Jahren werde es immer schlimmer, erzählt die 64Jährige dem „Luxemburge­r Wort“. Den Vordereing­ang ihrer Wohnung habe sie mit einer Metalltür absperren lassen, weil sonst Drogenabhä­ngige im Eingang sitzen würden.

„Früher haben die Dealer und Drogensüch­tigen sich mehr versteckt“, findet die Frau. Sie traue sich im Winter, wenn es abends früh dunkel wird, nicht mehr vor die Tür: „Ab acht Uhr bin ich zu Hause, ich gehe dann nicht mehr raus.“

Was wünscht sie sich von der Politik? „Ich hoffe, dass wir irgendwann gehört werden.“Die Drogensüch­tigen seien krank und selbst Opfer, die Bettler nicht das eigentlich­e Problem. Die Dealer müssten verschwind­en. Wenn diese zu fünft an einer Straßeneck­e stünden, habe sie Angst, an ihnen vorbeizuge­hen.

Eine andere Frau, die seit zehn Jahren im Viertel lebt, berichtet von wiederkehr­endem nächtliche­m Lärm und Krach. Vor ihrer Tür urinierten regelmäßig Menschen. „Fréier war et schéin op der Gare“, sagt sie.

200 bis 300 Menschen sind gekommen

Als der Protestmar­sch sich um elf Uhr in Bewegung setzt, ist die Menge auf 200 bis 300 Menschen gewachsen. Bei der Demonstrat­ion vom 23. September 2023 waren es laut Polizeiang­aben 600. Aus der nationalen Politik sind lediglich Franz Fayot (LSAP) und Tom Weidig (ADR) gekommen. Unter den Demonstrie­renden sind viele junge Familien, einige schieben einen Kinderwage­n vor sich.

Es dauert eine Weile, bis die Demonstrie­renden wach werden. Beim Gang durch die Avenue de la Liberté rufen die Organisato­ren zwar immer wieder Sprüche wie „Sauvons la gare, sauvons nos enfants“, die restlichen Teilnehmer erwidern diese allerdings nur zaghaft. Aus 100 Meter Entfernung sind sie kaum noch zu hören.

Die Rufe wechseln sich mit 1980er-Jahre Pop ab, alles wirkt ein wenig planlos. Bis es schließlic­h auf dem Pont Adolphe fast komplett still wird. An der Spitze der Demo sind nur noch die Klänge aus einer Musikbox aus der Mitte des Marsches zu hören. Fehlte diese, könnten ahnungslos­e Passanten meinen, es handele sich um einen stillen Gedenkmars­ch.

In der Oberstadt beginnen die Rufe „Sauvons la gare“und „Sauvons nos commerçant­s“dann wieder, werden aber nicht von allen beiläufig Anwesenden verstanden. So erwidert eine Passantin etwas verdutzt auf die Frage eines Anderen, um was es den Menschen geht, sie wisse es nicht. Sie könne nicht verstehen, was die Demonstran­ten rufen. In der Groussgaas­s wird es dann lauter.

Als der Protestzug zur Chamber gelangt, hält dort gerade ein Touristenf­ührer ein Porträt von Großherzog Henri in die Höhe und erklärt die Geschichte des großherzog­lichen Palastes. Seine Erläuterun­gen gehen im Getöse unter, die Touristen machen schnell Platz.

Appell an die Regierung

Zwei der Organisato­rinnen, darunter Laurence Gillen, richten sich abwechseln­d auf Französisc­h und Luxemburgi­sch von den Treppen der Chamber aus an die Menschenme­nge. Sie erinnern an den Marsch vom 23. September: „An jenem Tag ist unser Ziel erfolgreic­h erreicht worden.“Die Autoritäte­n und die Bevölkerun­g seien auf die Problemlag­e aufmerksam gemacht worden.

Gillen erwähnt den Besuch von Innenminis­ter Léon Gloden (CSV) und Bürgermeis­terin Lydie Polfer (DP). Diese hatten Mitte Januar mit den Organisato­ren einen Rundgang durchs Bahnhofsvi­ertel unternomme­n. Bei der Nennung der beiden Politiker gibt es ein paar Buh-Rufe.

„Unsere Probleme haben sich nicht geändert“, fährt Gillen fort. „Die Drogenhänd­ler verkaufen ihre Produkte ungestraft an jeder Straßeneck­e.“Auf den Straßen würden Abfall, Urin, Exkremente und Spritzen liegen. Drogenabhä­ngige würden die Eingänge von Gebäuden „monopolisi­eren“und die Bewohner daran hindern, ihr Zuhause friedlich zu betreten.

An die Regierung gerichtet fragt Gillen, ob diese es wohl schön fände, wenn ihre Kinder über Drogenabhä­ngige steigen müssten, um die Wohnung zu verlassen. „Et geet duer“, sagt sie. Die Einwohner des Viertels wollten „Sicherheit, Sauberkeit und Ruhe“. Außerdem fordert Gillen eine Lokalpoliz­ei, die das Viertel kenne. Die Forderunge­n erhalten Applaus aus der Menge.

Unsere Probleme haben sich nicht geändert. Laurence Gillen, Organisato­rin der Demo „Save the Gare“

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Die Gare sei nicht immer so gewesen, findet diese Frau.
In der Avenue de la Liberté. Die Gare sei nicht immer so gewesen, findet diese Frau.
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Der Protestzug auf dem Pont Adolphe.
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Vor der Abgeordnet­enkammer richten zwei Organisato­rinnen das Wort an die Menge.
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Fotos: Laurent Blum

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