Luxemburger Wort

Als junge Männer sich vor den Nazis in der Mine versteckte­n

Vor 80 Jahren lebten 122 junge Luxemburge­r in der Galerie „Hondsbësch“in Niederkorn. Sie wollten nicht in den Krieg eingezogen werden

- Von Mike Stebens

Am 5. Februar 1944 kontaktier­t die Resistenz mehrere Familien, die junge Luxemburge­r vor den deutschen Besatzern verstecken. Angeblich bereitet die Gestapo in Niederkorn eine Großrazzia vor. Solche Razzien sind die Antwort auf die Massenfluc­ht der Luxemburge­r aus der Wehrmacht.

Die ersten jungen Männer werden 1942 zwangsrekr­utiert. Manche beschließe­n, sich zu verstecken. Andere fürchten zu sehr um ihre Familien, denen die Deportatio­n droht. Wieder andere desertiere­n aus den Reihen der Wehrmacht und kehren nach Luxemburg zurück. Sie kommen zum Teil bei Familien unter, die sie heimlich aufnehmen.

So wie die sieben Männer, die am 5. Februar 1944 ihr Versteck verlassen und in den „Hondsbësch“gehen. Sechs Refraktäre und ein Widerstand­skämpfer sind es. Sie wollen die Nacht im Wald verbringen und nach der Razzia in ihre Häuser zurückkehr­en.

Die Razzia der Gestapo bleibt aus

Die Razzia findet nicht statt. Die Sieben beschließe­n, sicherheit­shalber noch im „Hondsbësch“zu bleiben. Im dortigen Stollen wird an sechs Tagen in der Woche zwischen sechs Uhr morgens und zehn Uhr abends Eisenerz abgebaut. Der 6. Februar 1944 ist ein Sonntag, dann ruht die Mine.

In der zweiten Nacht nimmt der Nachtwächt­er der Galerie, die sieben jungen Männer mit in seine Wächterbud­e und zeigt ihnen von dort aus den Weg zu einer verlassene­n Ecke. Jene Galerie ist zu dem Zeitpunkt geschlosse­n, da sie droht einzustürz­en. Hier könnten die sieben Männer Unterschlu­pf finden.

Der „Hondsbësch“entwickelt sich zu einem der größten Verstecke für junge Luxemburge­r, die dem Ruf der deutschen Wehrmacht nicht folgen wollen. Heute erinnert in der Avenue de la Liberté, unweit des Krankenhau­ses von Niederkorn, ein Denkmal von Claus Cito an die Gefallenen. Dahinter befindet sich eine Gedenktafe­l für die 122 Verweigere­r, so viele sind es im August 1944, bevor das Versteck aufgelöst wird.

Wer sind diese jungen Männer? Im Vorwort des Buchs „Ons Jongen an der Galerie Hondsbësch“, einer Neuauflage von Vic Klinckers Werk „120 Refractair­en ënnert dem Buedem“, findet sich eine Antwort: „Hier werden keine Helden beschriebe­n, sondern junge Menschen, die nicht in einen Krieg ziehen wollten, der nicht der ihre war, und die dafür viel Leid und Angst für sich selbst und ihre Familien in Kauf genommen haben.“Klincker ist einer von vielen, die den Bunker von außen versorgen.

Küche, Schlafzimm­er und ein Gefängnis

Aus ursprüngli­ch sieben Männern werden in sechs Monaten 122. Für sie muss die nötige Infrastruk­tur geschaffen werden. In den verlassene­n Gängen des Bunkers werden Betten aufgestell­t, aus Brettern Tische und Bänke gezimmert. Diese Arbeiten können nur nachts ausgeführt werden, wenn das restliche Bergwerk verwaist ist. Die Refraktäre müssen auf Tageslicht verzichten, sie dürfen nur nachts aus dem Bunker.

Ansonsten würde das Versteck auffliegen, die Bergarbeit­er dürfen nichts von dem bewohnten Bunker erfahren. Sie schuften tagsüber, während ein paar Meter weiter die anderen im Dunkeln auf das Schichtend­e warten.

Später wird beschlosse­n, die Stromleitu­ng der Galerie anzuzapfen, um die Beleuchtun­g zu verbessern. Das erweist sich als komplizier­t – der Anschluss und der zusätzlich­e Stromverbr­auch dürfen nicht auffallen – ermöglicht aber den Betrieb eines Radios. Auch Öfen dürfen nicht fehlen, denn in der Galerie ist es kalt und feucht.

Das Kochen im Freien ist irgendwann nicht mehr möglich, der Einbau einer Küche wird notwendig. Fleisch wird aber wegen des intensiven Geruchs nie drinnen gekocht. Neben den Schlaf- und Esszimmern wird sogar eine Gefängnisz­elle eingericht­et, für diejenigen, die sich nicht an die Spielregel­n halten wollen.

In die Zelle kommt zum Beispiel Roger, weil er der Versuchung nicht widerstehe­n konnte, sich heimlich zu seiner Frau ins Bett zu schleichen. Er wird zu einigen Tagen Strafbunke­r verdonnert und erhält nur noch eine halbe Essensrati­on.

Logistisch­e Meisterlei­stung

In ihrem Versteck sind die jungen Männer auf die Hilfe anderer angewiesen. Nur so können sie dort überleben. Esswaren werden aus dem ganzen Land besorgt, nach Niederkorn transporti­ert und nachts heimlich in den Stollen gebracht.

Nach den Erzählunge­n von Vic Klincker gibt es üppig zu essen: „Mehr als zwei Zentner Brot und mehr als drei Zentner Kartoffeln werden pro Tag verbraucht, daneben 25 Pfund Fleisch und ein Eimer Marmelade.“Auch Bohnen und Erbsen sind reichlich vorhanden, Speck und Butter etwas seltener. Es fehlt vorwiegend an Gemüse.

All diese Lebensmitt­el müssen in den Bunker gebracht werden. Dabei helfen auch die Refraktäre. Sie bilden eine regelrecht­e Transportk­olonne: Alle 100 Meter steht ein bewaffnete­r Posten bereit, falls die Aktion entdeckt wird. Es ist anstrengen­d, keine Spuren zu hinterlass­en. Manchmal rieseln Erbsen und Bohnen aus den Säcken, die

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg