„Steuersystem ist ungerecht und diskriminiert Alleinerziehende“
Personen aus den Steuerklassen 1 und 1a werden im Vergleich zu Personen in der Klasse 2 benachteiligt, finden zwei Petitionäre, die ihr Anliegen gestern im Parlament vortrugen
Die Petition 2596 hat mit 10.809 Unterschriften eingeschlagen wie eine Bombe. Sie fordert weniger Steuern für Junggesellen. Tatsächlich aber geht es dem Autor der Petition, Ardacan Keten, nicht einzig darum, dass alleinlebende Personen im Vergleich zu Paaren weniger Steuern bezahlen, sondern er forderte „ein gerechteres Steuersystem für alle Steuerzahler, das der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung trägt und in Einklang mit den Werten unserer modernen Gesellschaft steht“.
Mit seiner Petition rennt Ardacan Keten offene Türen ein, denn das Regierungsprogramm sieht die Abschaffung der verschiedenen Steuerklassen zugunsten einer einheitlichen Steuerklasse vor. Bis 2026 will die Regierung, in diesem Fall Finanzminister Gilles Roth (CSV), „im Konsens mit dem Parlament“, ein Modell vorlegen, wie eine solche Individualbesteuerung aussehen könnte.
„Ich kann aber nicht versprechen, dass die Reform bereits 2026 in Kraft treten wird“, erklärte Roth. Man könne nicht von einem Tag auf den anderen zu einem neuen Modell übergehen. Um im Einklang mit der Verfassung zu sein (Gleichheit der Bürger vor der Steuer und dem Gesetz), brauche es eine mehrjährige Übergangsphase, bevor man Haushalte aus der Steuerklasse 2 und 1a in die einzige Steuerklasse 1 überführe.
„Kinder sind Hauptopfer des Steuersystems“
Die andere Petition (2620) erreichte 5.235 Unterschriften und fordert die Abschaffung der in den Neunzigerjahren eingeführte Steuerklasse 1a, die Alleinerziehende im Vergleich zu verheirateten Paaren mit Kindern benachteiligte, um zu verhindern, dass Paare sich aus Steuergründen scheiden ließen.
Dieses Modell sei ungerecht und nicht mehr zeitgemäß, fand Autorin Maria Ramirez-Escano. Viele Alleinerziehende riskierten, in eine prekäre Situation zu geraten. Darunter würden besonders Kinder leiden. „Die Kinder sind die Hauptopfer des Steuersystems.“
Das aktuelle Steuersystem fördere nicht nur Ungerechtigkeiten und verstoße gegen die Rechte der Kinder, „die vor dem Gesetz gleich sein sollten“, sondern diskriminiere darüber hinaus alleinerziehende Eltern. Im aktuellen Krisenkontext sei es unvertretbar, Familien je nach Status unterschiedlich zu besteuern.
Maria Ramirez-Escano forderte die Abschaffung der Steuerklasse 1a zugunsten eines
Systems, „das jedes Familienmodell gleichstellt und der Anzahl der Kinder im Haushalt Rechnung trägt. Die Steuerpolitik kann und muss Bestandteil einer Gesamtstrategie im Kampf gegen Kinderarmut sein“, so die Petitionärin.
„Die Würde im Alter erhalten“
Viviane Hansen-Adams brach eine Lanze für Witwen und Witwer, die drei Jahre nach dem Tod des Ehepartners ebenfalls in die Steuerklasse 1a rutschen. Viele Witwen und Witwer seien im Alter von ihren Kindern oder vom Staat abhängig, um sich ein Altersheim
Diese Menschen haben gearbeitet und es bricht ihnen das Herz, von anderen abhängig zu sein. Viviane Hansen-Adams
leisten zu können. „Diese Menschen haben gearbeitet und es bricht ihnen das Herz, von anderen abhängig zu sein“, so Viviane HansenAdams. „Es geht darum, die Würde im Alter zu erhalten.“
Seitens der Abgeordneten wurde erwähnt, dass die vorige Regierung Maßnahmen (kostenlose Schulbücher, kostenlose Kinderbetreuung, Kindergeldreform) ergriffen habe, um Familien mit Kindern gezielt zu unterstützen. Das sei alles richtig, meinte die Petitionärin. „Aber es reicht nicht, vor allem bei Alleinerziehenden mit geringem Einkommen nicht.“
Stéphanie Ravat fügte hinzu, dass diese Maßnahmen für alle Familien gelten. „Das kompensiert also nicht die Unterschiede bei der Besteuerung von Familien mit zwei Elternteilen und alleinerziehenden Familien. Wir fordern die Steuerklasse 2 für alle Familien und dass der Anzahl der Kinder Rechnung getragen wird“, so Ravat.
Alle Steuerpflichtigen der Steuerklasse 2 zuzuführen, würde den Staat jährlich 1,9 Milliarden Euro kosten und sei budgetär nicht zu bewältigen, machte Finanzminister Gilles Roth bereits während der ersten Anhörung über die Steuerklasse 1 klar. Er verwies in der zweiten Anhörung erneut auf die geplante Reform des Steuersystems hin zur Individualbesteuerung sowie auf die im Koalitionsprogramm vorgesehenen Steuererleichterungen in der Steuerklasse 1a ab dem 1. Januar 2025. Des Weiteren stellte er eine erneute Anpassung der Steuertabelle an die Inflation in Aussicht, sollte die budgetäre Situation es erlauben.