Bauernproteste beeinflussen Europas Umweltpolitik
Die EU-Kommission will mit ihren Klimazielen den Eindruck erwecken, die Sorgen der Landwirte gehört zu haben
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat ihre Kampagne für die EU-Wahlen offenbar bereits begonnen, obwohl sie noch nicht offiziell Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP) ist, dem Dachverband aller christdemokratischen Parteien.
Die jüngsten Vorschläge ihrer EUKommission decken sich nämlich ziemlich genau mit den politischen Prioritäten ihrer EVP-Parteienfamilie. Diese war neulich sehr bemüht, eine vermeintlich zu strenge EUUmweltpolitik als Hauptgegner der Interessen der europäischen Landwirte zu stilisieren. Dieser Diskurs ist auch bereits in Luxemburg angekommen, wo die CSV-Agrarministerin Martine Hansen in einem RTLInterview neulich gegen „realitätsfremde EU-Regulierungen“wetterte.
„Wir brauchen realistische, klare und umsetzbare Klimaziele, die weder die Bürger und Bürgerinnen, noch die Industrie und unsere Landwirte auf der Strecke lässt. Wir müssen mit den Menschen zusammenarbeiten und auf ihre Sorgen hören, anstatt sie mit Vorschriften und Verwaltungsaufwand zu überfluten“, meint auch Martine Kemp, für die CSV im EU-Parlament.
„Polarisierende“Maßnahme wird zurückgezogen
Gleich zwei Entscheidungen der EUKommission gingen gestern in die gleiche Richtung. Gestern morgen verkündete Ursula von der Leyen im Straßburger Plenum des EU-Parlaments angesichts vehementer Proteste von Bauern in der EU, einen Vorschlag für ein Umweltschutzgesetz gegen hohen Pestizideinsatz zurückziehen.
Eigentlich sollten Landwirte den Einsatz von Pestiziden in den kommenden Jahren deutlich einschränken. Konkret sollten laut Kommissionsvorschlag insgesamt 50 Prozent weniger Pestizide bis 2030 eingesetzt werden. Damit sollte unter anderem gegen das Artensterben vorgegangen werden. Doch von der Leyen entschied, den „polarisierenden“Vorschlag zurückzuziehen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Vorschlag ohnehin klinisch tot war: Im EU-Parlament und unter den Mitgliedstaaten fand er keine Mehrheit. Die Ankündigung wurde derweil von Umweltschutzorganisationen kritisiert. Das „Pesticide Action Network“, ein Netzwerk von NGOs, sprach von einem „schwarzen Tag für die Gesundheit und die Artenvielfalt“.
Wenige Stunden später gab es eine andere Ankündigung der EU-Kommission, die auffällig viel Rücksicht auf den Agrarbereich nimmt. Am Dienstagnachmittag legte die EUKommission am Rande der Plenarsitzung des EU-Parlaments ihre Empfehlung für ein Klimaziel für 2040 vor. Darin schlägt die Kommission eine Senkung der Emissionen bis zu diesem Jahr um mindestens 90 Prozent im Vergleich zu 1990 vor.
Ehrgeizige Klimaziele, aber ...
Bislang gibt es die festgeschriebenen Ziele in der EU, die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken und bis 2050 klimaneutral zu werden. Ein Zwischenziel gibt es bislang noch nicht. Neulich hatten elf EU-Regierungen, darunter auch die luxemburgische Regierung, die EU-Kommission aufgefordert, diese ehrgeizig ausfallen zu lassen. „Wir können nur dann andere davon überzeugen, sich zu engagieren, wenn wir zu Hause die Arbeit erledigen“, hatte es in einem gemeinsamen Brief geheißen. „Europa ist weiterhin führend bei den globalen Klimaambitionen“, sagte der EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra über den gestern vorgestellten Plan.
Doch bei genauerem Lesen des Vorschlags wird schnell klar, dass die EU-Kommission derzeit alles macht, um die Bauern nicht zu brüskieren. Eine Reduzierung der landwirtschaftlichen Umweltverschmutzung um 30 Prozent zwischen 2015 und 2040 wurde laut dem EU-Insider-Magazin „Politico“aus dem Vorschlag gestrichen. Außerdem wurden Empfehlungen an die Bürger gestrichen, ihr Verhalten zu ändern, um Emissionen zu reduzieren. Wahrscheinlich, weil die Empfehlung, weniger Fleisch zu konsumieren, Unmut bei den Bauern ausgelöst hätte. Im Allgemeinen wirkt der Vorschlag etwas zaghaft. So fehle ein klarer Plan für das Ende von fossilen Energiequellen, bemängeln Umweltschutzorganisationen.
Obschon es im ganzen EU-Parlament Verständnis für die Not der Landwirte gibt, sind nicht alle mit der Analyse der EU-Kommission und der EVP einverstanden, wonach Umweltregulierung an allem Schuld sei. „Es bleibt nicht viel übrig von Frau Von der Leyens Green Deal, er wurde von ihrer eigenen Partei zerlöchert“, kritisiert etwa Tilly Metz, EU-Abgeordnete für Déi Gréng. „Gefährliche Pestizide um 50 Prozent reduzieren? Nein, jetzt doch nicht. Klimaneutralität so schnell wie möglich? Jetzt erst mal langsam.” Laut Metz hätte die EU-Kommission die Klimaneutralität schon für 2040 anpeilen sollen.
Aus der eigenen Partei kommt dagegen Lob für Ursula von der Leyens neuer Ansatz: „Die Klimaziele der Kommission für 2040 basieren auf Ausgewogenheit, in denen die ambitionierten Klimamaßnahmen und eine starke und widerstandsfähige Wirtschaft miteinander verknüpft werden“, sagt Martine Kemp, EU-Parlamentarierin der CSV und Mitglied der EVP-Fraktion.
Es bleibt nicht viel übrig von Frau Von der Leyens Green Deal. Tilly Metz, EU-Abgeordnete für Déi Gréng