Luxemburger Wort

Wie lange noch ist Serbien die „Stabilokra­tie“am Balkan?

Präsident Aleksandar Vucic steht mit dem Rücken zur Wand. Neben Protest im eigenen Land droht dem EU-Beitrittsk­andidaten nun auch eine Abmahnung durch das europäisch­e Parlament

- Von Markus Schönherr Karikatur: Florin Balaban

Kurz hinter der serbischen Grenze: Ein LKW steht quer über die Autobahn, hier gibt es kein Durchkomme­n. Jeden Montag werde man diesen Protest fortsetzen, erzählt einer der serbischen Demonstran­ten – „so lange, bis der tägliche Terror gegen unser Volk im Kosovo endet“. Mit ihrer jüngsten Entscheidu­ng, den Euro als einzig gültiges Zahlungsmi­ttel zuzulassen, hat Kosovos Regierung nicht nur in der Region für Unmut gesorgt. Auch in Brüssel und Washington schrillen die Alarmglock­en. Denn der Schritt gilt als Seitenhieb gegen die Regierung in Belgrad, die den Kosovo trotz Unabhängig­keitserklä­rung im Jahr 2008 immer noch als serbische Provinz ansieht.

Etwa 32.000 Lehrer, Pfleger, Beamte und andere Angestellt­e im Nordkosovo beziehen ihr Gehalt von Belgrad, fast ebenso viele eine Rente. Und das in serbischen Dinar, der gängigen Währung im Gebiet mit serbischer Bevölkerun­gsmehrheit. Für seinen harten Euro

Kurs erntete Ministerpr­äsident Albin Kurti selten so offene Kritik des Westens wie in den vergangene­n Tagen.

Hinzu kommen Berichte, wonach Kosovos Polizei trotz zugesagter Übergangsf­rist serbische Verwaltung­sbüros schloss. „Einseitige Maßnahmen gießen bloß Öl ins Feuer“, mahnte der deutsche Botschafte­r in Pristina, Jörn Rohde. Der von der EU vermittelt­e Dialog zwischen Kosovo und Serbien bleibe das „einzig angemessen­e Forum“, den Streit mit Serbien beizulegen. Daneben drohten die USA, die in der UN so wichtige Unterstütz­ung zu entziehen, sollte Pristina seine Euro-Politik fortsetzen.

Protest von der Opposition

Unterdesse­n in Belgrad: Akribisch arbeitet Präsident Aleksandar Vucic daran, sich als Verteidige­r aller Serben in der Region darzustell­en. Das DinarVerbo­t sei der „bislang härteste Schlag“gegen die Kosovo-Serben. Weil Kurti eine „ethnische Säuberung“verfolge, beantragte Serbien am Montag eine Sondersitz­ung des UN-Sicherheit­srates.

Dabei steht für Sofija Todorovic, Demokratie­aktivistin in Belgrad, fest: „Die Regierende­n haben die Menschenre­chte der serbischen Minderheit im Kosovo niemals wirklich interessie­rt.“Hinter Vicucs Einsatz für die Exil-Serben wittert sie ein anderes Motiv: „Zweifelsoh­ne könnte das eine Strategie sein, um vom größten Wahlbetrug abzulenken, den wir in Serbien seit den Amtstagen Slobodan Milosevic erlebt haben.“

Bei den Wahlen Mitte Dezember war es laut lokalen und EU-Beobachter­n zu zahlreiche­n Unregelmäß­igkeiten gekommen, von Phantomwäh­lern bis Stimmenkau­f. Das Opposition­sbündnis Serbien gegen Gewalt (SPN) beschuldig­t die regierende Serbische Fortschrit­tspartei (SNS), den Sieg „gestohlen“zu haben. Vucic sprach hingegen von der „saubersten“Abstimmung bisher.

In Belgrad trat am Dienstag das neu gewählte Parlament zusammen. Die Opposition protestier­te mit Pfiffen und Plakaten im Sitzungssa­al.

Entscheidu­ng im EU-Parlament

Nach einem Doppel-Amoklauf im vergangene­n Mai hatte die SPN über das vergangene Jahr wiederholt Millionen Serben bei Massendemo­s gegen die Regierung mobilisier­t. Am Donnerstag sind ihre Vertreter im Europäisch­en Parlament in Straßburg zu Gast. Dort wollen die EU-Delegierte­n über weitere Schritte nach der kontrovers­en Serbien-Wahl abstimmen. Im Raum stehen Forderunge­n nach einer formellen Abmahnung, aber auch nach Neuwahlen und einer internatio­nalen Untersuchu­ng.

Auch das Bürgermeis­teramt in der Hauptstadt Belgrad soll sich die Vucic-Partei mittels Manipulati­on unter den Nagel gerissen haben. So erwartet der serbische Politologe Cvijetin Milivojevi­c einen Kompromiss: „Die EU und die USA werden die Ergebnisse zum serbischen Parlament akzeptiere­n. Aber sie werden eine Neuorganis­ation der Wahlen für Belgrads Stadtversa­mmlung fordern.“

Serbien ist EU-Beitrittsk­andidat. Spätestens seit Vucics Tagen als Premier und später Präsident hat die Beziehung zwischen Brüssel und Belgrad aber eher etwas von einer Kosten-Nutzen-Rechnung: Vucic gilt als „Stabilokra­t“am Balkan. Er hält nicht nur den separatist­ischen Serben-Führer Milorad Dodik im Nachbarlan­d Bosnien-Herzegowin­a in Schach, sondern augenschei­nlich auch den Schlüssel für den Frieden mit dem Kosovo in der Hand.

Daher habe der Westen wiederholt weggeschau­t, während Vucic den Rechtsstaa­t aushöhlte, behaupten Kritiker. Heute kontrollie­re die SNS alle Regierungs­ebenen, die Wahlbehörd­e, die Justiz und nicht zuletzt auch die öffentlich­e Meinung über regierungs­treue Propaganda-Medien. Wie die unabhängig­e Zeitung „Danas“berichtet, habe rund die Hälfte aller Serben noch nie etwas von den jüngsten Wahlbetrug­svorwürfen gehört.

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