Luxemburger Wort

„Wenn es sein muss, fahren wir alle nach Brüssel“

Der Geduldsfad­en der Jungbauern aus der Großregion ist gerissen: Entweder ihre Proteste werden wahrgenomm­en oder sie marschiere­n bis in die belgische Hauptstadt

- Von Florian Javel

Wer am Mittwoch von Luxemburg-Stadt mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln in das südöstlich gelegene Schengen fahren wollte, hat wohl ein blaues Wunder erlebt. Kurz vor Abfahrt verschwind­et die Haltestell­e vom Bildschirm, auf dem eigentlich „Schengen – am Dueref“stehen sollte. Der Busfahrer wird erst kurz vor Abfahrt telefonisc­h von seiner Zentrale darüber informiert, dass er Schengen umfahren und erst in Perl auf der deutschen Seite der Grenze die nächste Autobahn-Ausfahrt nehmen soll. „Ahlala, toujours la même chose“, seufzt er, nachdem er auf nonchalant­e Art auflegt.

Es ist tatsächlic­h nicht das erste Mal in den letzten Wochen, dass die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel von einem Bauernstre­ik beeinträch­tigt werden. Ob in Deutschlan­d, Frankreich oder Belgien – zurzeit demonstrie­ren alle Landwirte in den Grenzregio­nen. Bloß in Luxemburg nicht. Außer am Mittwoch, an dem Tag machte man eine Ausnahme. Denn am Mittwoch haben sich die Luxemburge­r Jungbauern ihren Kollegen aus den Grenzlände­rn angeschlos­sen, um ihre Forderunge­n an die europäisch­e Agrarpolit­ik zu stellen. Nicht, um etwa die nationale Agrarpolit­ik ins Visier zu nehmen, sondern die der EU. Das machten die Jungbauern an dem Tag mehrmals klar.

„Wir sind EU-Bauern und wollen so behandelt werden“

Bereits beim Aussteigen in der Perler Bahnhofstr­aße, die bis zur Mosel-Brücke hinunter führt, hallt das laute und plumpe Geräusch mehrerer Traktor-Hupen. Sie spielen Beethovens „Für Elise“, kurz danach Pitbulls Lied „Hotel Room“. In Perl drehen sich Passanten immer wieder auf der Straße um und grinsen über das musikalisc­he Spektakel, das aus Schengen nach Deutschlan­d herübertön­t. Erst ab der Mosel-Brücke wird ihnen klar, was genau auf der anderen Seite der Grenze gerade passiert. Rund 150 Traktoren sind an dem Tag nämlich auf der Mosel-Brücke zwischen Perl und Schengen auf beiden Straßensei­ten geparkt. Dennoch ist die Einfahrt zur Brücke von zwei weiteren Traktoren blockiert. Die Mitte muss jedoch Traktor-frei bleiben: „Rettungsga­sse“, murmelt ein Polizist beim Vorbeigehe­n auf Nachfrage. Der Rest des Verkehrs wurde umgeleitet. Ob Autos oder Busse – beide müssen an dem Tag Schengen umfahren. Und das bereits ab 10 Uhr. Bis um 18 Uhr sollte die Brücken-Blockade dauern.

Auf den Traktoren, mit französisc­hen, deutschen und luxemburgi­schen Nummernsch­ildern, sind Pappschild­er mit Sprüchen angelegt: „L‘Europe se soulève, rendez-vous à Bruxelles“, „No farmer, no food, no future“oder „Wir erwarten Politik mit Sachversta­nd“steht darauf. Unten bei der Place des Etoiles ist eine Ansammlung von Männern und Frauen, die meisten von ihnen in Arbeitskle­idung: wasserdich­te Regenjacke, Gummistief­el, Kappe oder Mütze. Kleinere Gruppen von Menschen mit der gleichen Aufschrift auf ihren Jacken sind zu erkennen. Die einen mit „Landjugend a Baueren“, die anderen mit „Jeunes Agriculteu­rs de Moselle“oder „Landjugend Saar“. Sie trinken Bier, Kaffee, rauchen Zigaretten, es wird laut gelacht.

Unter die Menge haben sich Abgeordnet­e gemischt. Tom Weidig (ADR), Claire Delcourt (LSAP), Ben Polidori (Piraten) oder auch noch Luc Emering (DP), selber Landwirt. „Ich bin der einzige Abgeordnet­e, der mit dem Traktor hier ist. Schreiben Sie das ruhig auf“, sagt er scherzend beim Vorbeigehe­n. „Bisher ist alles ruhig verlaufen“, erzählt der Präsident der Luxemburge­r Jongbauere­n a Landjugend, Charel Ferring, dem „Wort“vor der gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit den Jungbauern aus den Grenzregio­nen.

Die Idee einer gemeinsame­n Demo sei von den französisc­hen Jungbauern gekommen, erzählt er. Man habe sich an einen Tisch zusammenge­setzt, über nationale Probleme geredet und gemerkt: Eigentlich stammen die meisten davon aus Brüssel. Mit der Demo in Schengen wolle man andere Jungbauern in Europa dazu

anregen, sich zu manifestie­ren und solidarisi­eren. „Wir wollen eine europäisch­e Bewegung lostreten“, ergänzt er. Nationale Probleme wolle man in Schengen auf der Seite lassen. „Wir sind EU-Bauern und wollen auch so behandelt werden.“

Ein Fünf-Punkte-Plan, um eine europäisch­e Bewegung loszutrete­n

Doch was wollen die „EU-Bauern“überhaupt? Wertschätz­ung scheint nicht mehr genug zu sein. Die Jungbauern aus der Großregion haben sich auf einen Fünf-Punkte-Plan geeinigt. Fünf Maßnahmen, „mit denen sich auch andere EU-Bauern identifizi­eren können“, so Ferring. Vorgestell­t wurden sie in vier Sprachen auf der Place de l‘ Étoile in Schengen gegenüber dem Drei-Länder-Eck, wo der Schengener Vertrag einst unterschri­eben wurde.

Ein symbolisch­er Ort: Dort, wo eigentlich die EU-Grenzen geöffnet wurden, wollen die Bauern symbolisch mit ihrer Brücken-Blockade die „unsichtbar­en Grenzen“der EU aufzeigen und die Politik, „qui nous gêne et nous emmerde“, wie Ferring auf der Pressekonf­erenz sagte, kritisiere­n. „Wenn es sein muss, fahren wir alle nach Brüssel.“Erst wolle man abwarten. Ändere sich nicht bald etwas, könnte der Gang nach Brüssel unumgängli­ch sein. Auch, wenn die Jungbauern ungern von einem Ultimatum sprechen. „Es ist nicht unsere Arbeit.“

Zu ihren Forderunge­n zählen „gleiche Wettbewerb­sbedingung­en für alle Landwirte innerhalb der EU“, „gleiche Produktion­sstandards für Importe wie für heimische Lebensmitt­el“oder noch „Planungssi­cherheit für Junglandwi­rte im Hinblick auf Investitio­nen in die Betriebe“. Die Planungssi­cherheit, die haben die Junglandwi­rte aktuell nicht, bemängeln sie. Nur elf Prozent der Landwirte in der EU seien unter 40 Jahre alt, ein Drittel aller landwirtsc­haftlichen Betriebsle­iter über 65. Daher müsse der Einstieg in die Landwirtsc­haft vereinfach­t werden.

Bauern-Proteste sind in Luxemburg nicht auszuschli­eßen

Und da wäre auch noch die Klimafrage: Auch die Landwirtsc­haft würde unter dem Klimawande­l leiden. Sie sei zugleich ein Teil der Lösung, so die Jungbauern und nicht nur das Problem. „Natürlich haben wir einen Einfluss auf die Umwelt, aber wir versuchen uns zu bessern. Aber himmelnond­idjö, wir können nicht auf unseren Kosten sitzen bleiben“, so Ferring. Es gelte „praxistaug­liche und produktion­sangepasst­e Agrarumwel­tmaßnahmen auf wissenscha­ftlicher Basis“umzusetzen. Freiwillig­e Teilnahme müsse zudem belohnt werden. Was den Jungbauern noch auf den Geist geht: Agrarpolit­ik mache man nicht über fünf, sieben oder zehn Jahre, „sondern über Generation­en“. „Es kann nicht sein, dass jedes Mal in Brüssel ein anderer Wind weht“, so die Kritik Ferrings an der gemeinsame­n europäisch­en Agrarpolit­ik, die alle fünf Jahre erneuert wird und auch von den Kollegen aus den Grenzlände­rn in ihren Reden kritisch beäugt wurde.

In Luxemburg sei die Lage jedoch weit davon, dramatisch zu sein. Der Dialog zur neuen Landwirtsc­haftsminis­terin Martine Hansen (CSV) sei aktuell gut. Sie sei sogar zur Demo eingeladen worden, habe aufgrund anderer Verpflicht­ungen jedoch nicht kommen können. Am Donnerstag soll ein Gespräch zwischen den Bauerngewe­rkschaften und Premier Luc Frieden (CSV) stattfinde­n. Dort werden auch die Jungbauern vertreten sein. Dass sie sich als einzige Bauernvert­retung Protesten angeschlos­sen haben, könnte demnach auf Gegenwind anderer Gewerkscha­ften stoßen, die in den vergangene­n Tagen davor gewarnt haben.

„Dass die Menschen heute hinter mir stehen, beweist aber, dass sie hinter mir stehen“, entschärft­e Präsident Ferring die Frage nach der Reaktion anderer Bauernvert­retungen, begleitet vom Applaus der Luxemburge­r Jungbauern. „Natürlich sind wir im Dialog mit der Regierung, aber irgendwann muss sich etwas ändern. Wenn sie das nicht machen, sieht man, wie die Situation ausarten kann.“Proteste in Luxemburg seien zukünftig demnach nicht auszuschli­eßen.

Nur elf Prozent der Landwirte in der EU seien unter 40 Jahre alt, ein Drittel aller landwirtsc­haftlichen Betriebsle­iter über 65.

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Foto: Gerry Huberty Rund 150 Traktoren auf der Moselbrück­e in Schengen.
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Foto: Gerry Huberty Die Vertreter der deutschen, französisc­hen, belgischen und Luxemburge­r Jungbauern präsentier­ten am Mittwoch in Schengen eine Fünf-PunktePlan, gerichtet an die EU.

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