„Wenn es sein muss, fahren wir alle nach Brüssel“
Der Geduldsfaden der Jungbauern aus der Großregion ist gerissen: Entweder ihre Proteste werden wahrgenommen oder sie marschieren bis in die belgische Hauptstadt
Wer am Mittwoch von Luxemburg-Stadt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in das südöstlich gelegene Schengen fahren wollte, hat wohl ein blaues Wunder erlebt. Kurz vor Abfahrt verschwindet die Haltestelle vom Bildschirm, auf dem eigentlich „Schengen – am Dueref“stehen sollte. Der Busfahrer wird erst kurz vor Abfahrt telefonisch von seiner Zentrale darüber informiert, dass er Schengen umfahren und erst in Perl auf der deutschen Seite der Grenze die nächste Autobahn-Ausfahrt nehmen soll. „Ahlala, toujours la même chose“, seufzt er, nachdem er auf nonchalante Art auflegt.
Es ist tatsächlich nicht das erste Mal in den letzten Wochen, dass die öffentlichen Verkehrsmittel von einem Bauernstreik beeinträchtigt werden. Ob in Deutschland, Frankreich oder Belgien – zurzeit demonstrieren alle Landwirte in den Grenzregionen. Bloß in Luxemburg nicht. Außer am Mittwoch, an dem Tag machte man eine Ausnahme. Denn am Mittwoch haben sich die Luxemburger Jungbauern ihren Kollegen aus den Grenzländern angeschlossen, um ihre Forderungen an die europäische Agrarpolitik zu stellen. Nicht, um etwa die nationale Agrarpolitik ins Visier zu nehmen, sondern die der EU. Das machten die Jungbauern an dem Tag mehrmals klar.
„Wir sind EU-Bauern und wollen so behandelt werden“
Bereits beim Aussteigen in der Perler Bahnhofstraße, die bis zur Mosel-Brücke hinunter führt, hallt das laute und plumpe Geräusch mehrerer Traktor-Hupen. Sie spielen Beethovens „Für Elise“, kurz danach Pitbulls Lied „Hotel Room“. In Perl drehen sich Passanten immer wieder auf der Straße um und grinsen über das musikalische Spektakel, das aus Schengen nach Deutschland herübertönt. Erst ab der Mosel-Brücke wird ihnen klar, was genau auf der anderen Seite der Grenze gerade passiert. Rund 150 Traktoren sind an dem Tag nämlich auf der Mosel-Brücke zwischen Perl und Schengen auf beiden Straßenseiten geparkt. Dennoch ist die Einfahrt zur Brücke von zwei weiteren Traktoren blockiert. Die Mitte muss jedoch Traktor-frei bleiben: „Rettungsgasse“, murmelt ein Polizist beim Vorbeigehen auf Nachfrage. Der Rest des Verkehrs wurde umgeleitet. Ob Autos oder Busse – beide müssen an dem Tag Schengen umfahren. Und das bereits ab 10 Uhr. Bis um 18 Uhr sollte die Brücken-Blockade dauern.
Auf den Traktoren, mit französischen, deutschen und luxemburgischen Nummernschildern, sind Pappschilder mit Sprüchen angelegt: „L‘Europe se soulève, rendez-vous à Bruxelles“, „No farmer, no food, no future“oder „Wir erwarten Politik mit Sachverstand“steht darauf. Unten bei der Place des Etoiles ist eine Ansammlung von Männern und Frauen, die meisten von ihnen in Arbeitskleidung: wasserdichte Regenjacke, Gummistiefel, Kappe oder Mütze. Kleinere Gruppen von Menschen mit der gleichen Aufschrift auf ihren Jacken sind zu erkennen. Die einen mit „Landjugend a Baueren“, die anderen mit „Jeunes Agriculteurs de Moselle“oder „Landjugend Saar“. Sie trinken Bier, Kaffee, rauchen Zigaretten, es wird laut gelacht.
Unter die Menge haben sich Abgeordnete gemischt. Tom Weidig (ADR), Claire Delcourt (LSAP), Ben Polidori (Piraten) oder auch noch Luc Emering (DP), selber Landwirt. „Ich bin der einzige Abgeordnete, der mit dem Traktor hier ist. Schreiben Sie das ruhig auf“, sagt er scherzend beim Vorbeigehen. „Bisher ist alles ruhig verlaufen“, erzählt der Präsident der Luxemburger Jongbaueren a Landjugend, Charel Ferring, dem „Wort“vor der gemeinsamen Pressekonferenz mit den Jungbauern aus den Grenzregionen.
Die Idee einer gemeinsamen Demo sei von den französischen Jungbauern gekommen, erzählt er. Man habe sich an einen Tisch zusammengesetzt, über nationale Probleme geredet und gemerkt: Eigentlich stammen die meisten davon aus Brüssel. Mit der Demo in Schengen wolle man andere Jungbauern in Europa dazu
anregen, sich zu manifestieren und solidarisieren. „Wir wollen eine europäische Bewegung lostreten“, ergänzt er. Nationale Probleme wolle man in Schengen auf der Seite lassen. „Wir sind EU-Bauern und wollen auch so behandelt werden.“
Ein Fünf-Punkte-Plan, um eine europäische Bewegung loszutreten
Doch was wollen die „EU-Bauern“überhaupt? Wertschätzung scheint nicht mehr genug zu sein. Die Jungbauern aus der Großregion haben sich auf einen Fünf-Punkte-Plan geeinigt. Fünf Maßnahmen, „mit denen sich auch andere EU-Bauern identifizieren können“, so Ferring. Vorgestellt wurden sie in vier Sprachen auf der Place de l‘ Étoile in Schengen gegenüber dem Drei-Länder-Eck, wo der Schengener Vertrag einst unterschrieben wurde.
Ein symbolischer Ort: Dort, wo eigentlich die EU-Grenzen geöffnet wurden, wollen die Bauern symbolisch mit ihrer Brücken-Blockade die „unsichtbaren Grenzen“der EU aufzeigen und die Politik, „qui nous gêne et nous emmerde“, wie Ferring auf der Pressekonferenz sagte, kritisieren. „Wenn es sein muss, fahren wir alle nach Brüssel.“Erst wolle man abwarten. Ändere sich nicht bald etwas, könnte der Gang nach Brüssel unumgänglich sein. Auch, wenn die Jungbauern ungern von einem Ultimatum sprechen. „Es ist nicht unsere Arbeit.“
Zu ihren Forderungen zählen „gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Landwirte innerhalb der EU“, „gleiche Produktionsstandards für Importe wie für heimische Lebensmittel“oder noch „Planungssicherheit für Junglandwirte im Hinblick auf Investitionen in die Betriebe“. Die Planungssicherheit, die haben die Junglandwirte aktuell nicht, bemängeln sie. Nur elf Prozent der Landwirte in der EU seien unter 40 Jahre alt, ein Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebsleiter über 65. Daher müsse der Einstieg in die Landwirtschaft vereinfacht werden.
Bauern-Proteste sind in Luxemburg nicht auszuschließen
Und da wäre auch noch die Klimafrage: Auch die Landwirtschaft würde unter dem Klimawandel leiden. Sie sei zugleich ein Teil der Lösung, so die Jungbauern und nicht nur das Problem. „Natürlich haben wir einen Einfluss auf die Umwelt, aber wir versuchen uns zu bessern. Aber himmelnondidjö, wir können nicht auf unseren Kosten sitzen bleiben“, so Ferring. Es gelte „praxistaugliche und produktionsangepasste Agrarumweltmaßnahmen auf wissenschaftlicher Basis“umzusetzen. Freiwillige Teilnahme müsse zudem belohnt werden. Was den Jungbauern noch auf den Geist geht: Agrarpolitik mache man nicht über fünf, sieben oder zehn Jahre, „sondern über Generationen“. „Es kann nicht sein, dass jedes Mal in Brüssel ein anderer Wind weht“, so die Kritik Ferrings an der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik, die alle fünf Jahre erneuert wird und auch von den Kollegen aus den Grenzländern in ihren Reden kritisch beäugt wurde.
In Luxemburg sei die Lage jedoch weit davon, dramatisch zu sein. Der Dialog zur neuen Landwirtschaftsministerin Martine Hansen (CSV) sei aktuell gut. Sie sei sogar zur Demo eingeladen worden, habe aufgrund anderer Verpflichtungen jedoch nicht kommen können. Am Donnerstag soll ein Gespräch zwischen den Bauerngewerkschaften und Premier Luc Frieden (CSV) stattfinden. Dort werden auch die Jungbauern vertreten sein. Dass sie sich als einzige Bauernvertretung Protesten angeschlossen haben, könnte demnach auf Gegenwind anderer Gewerkschaften stoßen, die in den vergangenen Tagen davor gewarnt haben.
„Dass die Menschen heute hinter mir stehen, beweist aber, dass sie hinter mir stehen“, entschärfte Präsident Ferring die Frage nach der Reaktion anderer Bauernvertretungen, begleitet vom Applaus der Luxemburger Jungbauern. „Natürlich sind wir im Dialog mit der Regierung, aber irgendwann muss sich etwas ändern. Wenn sie das nicht machen, sieht man, wie die Situation ausarten kann.“Proteste in Luxemburg seien zukünftig demnach nicht auszuschließen.
Nur elf Prozent der Landwirte in der EU seien unter 40 Jahre alt, ein Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebsleiter über 65.