Luxemburger Wort

Die Gesundheit der Schüler effiziente­r überwachen

Ein Audit zur schulärztl­ichen Betreuung stellt fest: Weniger, aber gezieltere Kontrollen wären besser. Zudem müsse das Schulperso­nal stärker eingebunde­n werden

- Von Annette Welsch

Der schulmediz­inische Dienst, der den Gesundheit­szustand der rund 50.000 Schüler in Luxemburg kontrollie­rt, könnte effiziente­r sein. Zu dem Resultat kommt Prof. Pierre-André Michaud, der die Organisati­on und das Funktionie­ren der Schulmediz­in im Auftrag des Gesundheit­sministeri­ums 2023 einem Audit unterzog. Am Dienstag stellte er seine Resultate im Beisein von Gesundheit­s- und Sozialmini­sterin Martine Deprez (CSV) sowie Vertretern des Ministeriu­ms, aus dem Schulberei­ch und der Schulmediz­iner vor.

Erst vergangene Woche war die Studie des Gesundheit­sobservato­riums zur Gesundheit von Kindern und Jugendlich­en in Luxemburg vorgestell­t worden. Festgestel­lt wurde unter anderem, dass zu viele Kinder übergewich­tig bis fettleibig sind, dass Bewegungsm­angel zu beklagen ist, dass der Gesundheit­szustand stark vom sozio-ökonomisch­en Hintergrun­d des Elternhaus­es abhängt und dass nur jedes dritte Kind glücklich mit seinem Leben ist. Die Gesundheit­sministeri­n unterstric­h denn auch, dass die Gesundheit im Kindes- und Jugendalte­r die Basis legt für das spätere Leben: „Es muss uns bewusst werden, welche Auswirkung­en die Verhaltens­weisen, die sich in diesem Alter entwickeln und die soziale und physische Umwelt, in der dies stattfinde­t, auf die lebenslang­e Gesundheit haben.“

Entwicklun­gs-, Verhaltens- und Essstörung­en nehmen zu

In den vergangene­n Jahrzehnte­n hat sich das gesundheit­liche Umfeld stark verändert. Wurden weniger Infektions­krankheite­n verzeichne­t, so nahmen Entwicklun­gs-, Verhaltens- und Essstörung­en sowie mentale Probleme zu, erklärte Prof. Michaud. Der Schweizer ist ein internatio­nal anerkannte­r Experte für die sogenannte Schulgesun­dheit – wie er die Schulmediz­in lieber nennt.

Überall in Europa zeigten sich dieselben Probleme. Die meisten Länder verfügen über Behörden für die Schulgesun­dheit, deren Gouvernanc­e und die Inhalte variieren allerdings. Keine Ausnahme stellt Luxemburg bei den allgemeine­n Feststellu­ngen dar: Die Screenings sind zuweilen übertriebe­n und werden nicht ausreichen­d weiterverf­olgt. Es fehlt an Ressourcen und ausgebilde­tem Personal, die Gesundheit­sministeri­en und die Bildungsmi­nisterien sind nicht ausreichen­d vernetzt und es wird sich nicht genügend mit neuen Erkrankung­en befasst.

Für Prof. Michaud hängt der Erfolg wesentlich davon ab, welche Regierungs­und welche Schulpolit­ik mit welchen Ressourcen betrieben wird, wie die Gouvernanc­e und die Führung in den Schulen aussieht, wie partnersch­aftlich Schule und Gemeinden miteinande­r umgehen und nicht zuletzt wie das sozial-emotionale und das physische Umfeld in der

Es ist das schulische Umfeld, dem Gesundheit­sprobleme auffallen muss. Prof. Pierre-André Michaud

Schule aussieht. „Der schulmediz­inische Dienst an sich ist nur einer von acht Determinan­ten“, machte Michaud deutlich.

Was Luxemburg anbelangt, so sei das System sehr komplex. Laut Gesetz ist die schulmediz­inische Abteilung der Gesundheit­sbehörde im Ministeriu­m zuständig, daneben gibt es allerdings viele weitere Akteure, wie die Ligue médicosoci­ale, das Cepas oder die SePa – die psychologi­schen Dienste in den Schulen – und Hausärzte, Lehrperson­al, Sozialarbe­iter sowie Pflegepers­onen.

„Es gibt viele positive Aspekte“, unterstric­h der Spezialist. Dazu gehören eine optimale Abdeckung, ein hohes Engagement der Profession­ellen, hohe personelle und finanziell­e Mittel, innovative

Programme und gesundheit­serzieheri­sche Initiative­n – wie das 2015 eingeführt­e Projet d’Accueil Individual­isé (PAI) für Kinder mit spezifisch­en gesundheit­lichen Bedürfniss­en.

Zu viele, zu kurze Untersuchu­ngen und Lehrer mehr einbinden

Michaud findet die Untersuchu­ng zum Schuleintr­itt in Ordnung. Bei den jährlichen Bilanzen, die in zehn Minuten abgehandel­t werden, hinterfrag­t er allerdings den Zweck. „Zu denken, dass man damit Gesundheit­sprobleme entdeckt, ist unrealisti­sch. Es ist das schulische Umfeld, dem diese auffallen müssen. Warum keine Bilanzen auf Anfrage und warum nicht auch die bio-psychosozi­ale Gesundheit untersuche­n?“, fragt er. Insofern müsste die Beziehung der Lehrer mit den Medizinern und der Informatio­nsaustausc­h verbessert werden.

Dass die Sehkraft, der Zustand der Zähne, der Impfstatus und das Gewicht der Schüler kontrollie­rt werden, trifft auf Zustimmung. Warum auf Regulation­sstörungen beim Blutdruck und auf Hörproblem­e hin untersucht wird, findet Prof. Michaud indes überzogen. Mehr Augenmerk gehöre heute auf psychosozi­ale Probleme gerichtet, wie Opfer sein von Gewalt zuhause oder in der Schule, wie Suizidgeda­nken aufgrund psychologi­schen Stresses oder problemati­scher Konsum von Drogen sowie Probleme in Bezug auf das Sexuallebe­n.

Unter dem Strich empfiehlt der Schweizer von den bisherigen systematis­chen Untersuchu­ngen überzugehe­n zu einem Ansatz von Ratgeberak­tivitäten, von Prävention und von Gesundheit­sförderung.

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Fotos: Marc Wilwert Prof. Pierre-André Michaud wurde als internatio­nal anerkannte­r Experte für Schulgesun­dheit gebeten, sich anzuschaue­n, ob die Schulmediz­in heutigen Anforderun­gen gerecht wird.
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Gesundheit­sministeri­n Martine Deprez (CSV) kann nun Weichen in den Schulen neu stellen. Auch hier heißt es: Mehr Prävention und Gesundheit­sförderung.

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