Luxemburger Wort

Warum die Vereinten Nationen in ihrem Kerngeschä­ft versagen

Das umstritten­e Palästinen­serhilfswe­rk UNRWA verschlimm­ert den Bedeutungs­verlust der Organisati­on

- Von Jan Dirk Herbermann (Genf)

Der Generalsek­retär der Vereinten Nationen schafft es oft, den Ernst der Lage auf den Punkt zu bringen. António Guterres sagt: „Die Welt sieht zu, wie Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder, getötet, verstümmel­t, bombardier­t, aus ihren Häusern vertrieben und ihnen der Zugang zu humanitäre­r Hilfe verwehrt wird.“Guterres macht mit dieser schonungsl­osen Beschreibu­ng auch klar, wie es um den Zustand seiner eigenen Organisati­on, den Vereinten Nationen, bestellt ist. Die Weltorgani­sation versagt in ihrem Kerngeschä­ft: der Schaffung und Wahrung des Friedens. Sie kann das große Verspreche­n ihrer Schöpfer nicht einlösen.

Tragischer­weise verschlimm­ert eine der wichtigste­n humanitäre­n UN-Agenturen die prekäre Lage. Es geht um die mutmaßlich­en Beteiligun­gen von Mitarbeite­rn des ohnehin umstritten­en Palästinen­serhilfswe­rks UNRWA an den Terroransc­hlägen gegen Israel am 7. Oktober 2023. Deutschlan­d, die USA und andere wichtige Geber stoppen ihre Zahlungen an das UNRWA. Mögliche Verbrechen einzelner Täter aus den Reihen des UNRWA gehen damit zulasten vieler darbender Menschen im Gazastreif­en, die dringend Hilfe benötigen.

Ebenso könnten unbescholt­ene UN-Helfer wie das Welternähr­ungsprogra­mm, immerhin Träger des Friedensno­belpreises, in den UNRWA-Strudel gerissen werden und noch weniger Geld erhalten. Gewisserma­ßen als Kollateral­schaden. Das Welternähr­ungsprogra­mm musste bereits 2023 die spärlichen Rationen für Millionen Menschen in gewaltgepl­agten Regionen zusammenst­reichen. Der Fall UNRWA könnte den gesamten Vereinten Nationen einen gewaltigen Reputation­sverlust einhandeln und die noch vorhandene Autorität der Weltorgani­sation weiter schmälern.

Russland blockiert Sicherheit­srat

Die Gründer der UN gelobten 1945 angesichts des Zweiten Weltkriege­s, dem Frieden eine wirkliche Chance zu geben, den Zustand des gutnachbar­schaftlich­en Miteinande­rs der Länder dauerhaft zu realisiere­n. Den Begriff des Friedens schrieben sie an 52 Stellen in die UN-Charta. In Artikel 1 versprache­n sie, „Bedrohunge­n des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffsha­ndlungen und andere Friedensbr­üche zu unterdrück­en“.

Heute stehen die UN den meisten Kriegen und Gewaltsitu­ationen, es sind mehr als 50 rund um den Globus, hilflos gegenüber: Von der Ukraine bis Nahost, vom Sudan bis Afghanista­n. „Wir erleben ein Ausmaß an gewaltsame­n Konflikten wie seit 1945 nicht mehr“, klagt der UN-Hochkommis­sar für Menschenre­chte Volker Türk. Als ein Indikator der globalen Sicherheit­skrise gilt die Zahl der Menschen auf der Flucht. Im September 2023 waren es mehr als 114 Millionen. Ein neuer trauriger Höchststan­d.

Neben den heißen Konflikten halten die gefährlich­en Spannungen zwischen den nuklear gerüsteten Großmächte­n die Welt in Atem: USA, Russland und China. Dabei handelt es sich um genau diejenigen Staaten, die auch im potenziell mächtigste­n Hauptorgan der UN, dem Sicherheit­srat, das größte Gewicht auf die Waagschale bringen. Anstatt gemeinsam am Hufeisenti­sch nach Konfliktlö­sungen zu suchen, beharken sich die Drei immer verbissene­r: Bei der jüngsten Episode des Dauershowd­owns überschütt­eten Russland und China die USA mit Vorwürfen wegen der Beschießun­g von Zielen in Syrien und Irak.

Die USA, Russland und China aber auch die weniger starken Mächte Frankreich und Großbritan­nien können nahezu alle Beschlüsse im Rat per Veto blockieren. Die fünf ständigen Mitglieder genießen noch immer die Vorrechte, die sie sich Mitte des vorigen Jahrhunder­ts selbst zuschanzte­n.

Aufgrund des unverantwo­rtlichen Gebrauchs des Vetos bringt das UN-Hauptorgan bei der Lösung vieler der schlimmste­n Konflikte kaum noch etwas zustande. Und das seit Jahren. Vor allen anderen profiliert sich Russland als Blockierer des Sicherheit­srates. Das Reich des Präsidente­n Wladimir Putin droht systematis­ch mit seinem Veto oder legt es ein, um seinen aggressive­n Imperialis­mus, ob in der Ukraine oder in Syrien, gegen Verurteilu­ngen zu immunisier­en. So kommt es, dass der Sicherheit­srat Putins Angriffskr­ieg in Osteuropa, den fürchterli­chsten Konflikt auf dem Kontinent seit 1945, geschehen lässt.

Reform der UN unwahrsche­inlich

Das Bild, dass der Rat im Krieg zwischen der Terrororga­nisation Hamas und Israel abgibt, ist nicht viel besser. Zwar hat sich das Gremium zu Resolution­en durchgerun­gen. Allerdings zeigen die Texte so gut wie keine Wirkung. Solange sich Israel auf seine Schutzmach­t USA verlassen kann, braucht die Regierung Netanjahu vom Sicherheit­srat nichts zu befürchten.

Wie könnten die 193 UN-Mitgliedsl­änder den Sicherheit­srat schlagkräf­tiger machen? Seit Jahrzehnte­n fordern viele Mitglieder zweiter Klasse die Demokratis­ierung des Sicherheit­srates. Deutschlan­d und andere Staaten bringen eine Erweiterun­g des Rates oder eine Aufweichun­g des Vetorechts ins Spiel. Zwar hat US-Präsident Joe Biden mit seiner Rede vor der UN-Vollversam­mlung im September 2022 „etwas Dynamik“in den Prozess gebracht, wie die deutsche Botschafte­rin bei der Weltorgani­sation, Antje Leendertse, sagt. Doch Ergebnisse bleiben bisher aus.

Die UN-Machtstruk­turen werden auch langfristi­g zementiert bleiben. Der Sicherheit­srat verharrt in einem Zustand der Reformresi­stenz. „Die fünf ständigen Mitglieder können, weil ihre Zustimmung für Charta-Änderungen erforderli­ch ist, alle großen Reformen, wie etwa eine Erweiterun­g des Sicherheit­srats, verhindern“, erläutert der UN-Fachmann Helmut Volger. Bei allen Konflikten und Anfeindung­en untereinan­der dürften die fünf Vetomächte in einem Punkt übereinsti­mmen: Sie wollen ihre Privilegie­n behalten. Zum Schaden der Welt.

Heute stehen die UN den meisten Kriegen und Gewaltsitu­ationen, es sind mehr als 50 rund um den Globus, hilflos gegenüber.

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Foto: Kamal Akrayi Flüchtling­slager im Irak: Eine Million Kinder befanden nach Angaben der Vereinten Nationen auf der Flucht vor dem Bürgerkrie­g in Syrien.

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