Warum die Vereinten Nationen in ihrem Kerngeschäft versagen
Das umstrittene Palästinenserhilfswerk UNRWA verschlimmert den Bedeutungsverlust der Organisation
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen schafft es oft, den Ernst der Lage auf den Punkt zu bringen. António Guterres sagt: „Die Welt sieht zu, wie Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder, getötet, verstümmelt, bombardiert, aus ihren Häusern vertrieben und ihnen der Zugang zu humanitärer Hilfe verwehrt wird.“Guterres macht mit dieser schonungslosen Beschreibung auch klar, wie es um den Zustand seiner eigenen Organisation, den Vereinten Nationen, bestellt ist. Die Weltorganisation versagt in ihrem Kerngeschäft: der Schaffung und Wahrung des Friedens. Sie kann das große Versprechen ihrer Schöpfer nicht einlösen.
Tragischerweise verschlimmert eine der wichtigsten humanitären UN-Agenturen die prekäre Lage. Es geht um die mutmaßlichen Beteiligungen von Mitarbeitern des ohnehin umstrittenen Palästinenserhilfswerks UNRWA an den Terroranschlägen gegen Israel am 7. Oktober 2023. Deutschland, die USA und andere wichtige Geber stoppen ihre Zahlungen an das UNRWA. Mögliche Verbrechen einzelner Täter aus den Reihen des UNRWA gehen damit zulasten vieler darbender Menschen im Gazastreifen, die dringend Hilfe benötigen.
Ebenso könnten unbescholtene UN-Helfer wie das Welternährungsprogramm, immerhin Träger des Friedensnobelpreises, in den UNRWA-Strudel gerissen werden und noch weniger Geld erhalten. Gewissermaßen als Kollateralschaden. Das Welternährungsprogramm musste bereits 2023 die spärlichen Rationen für Millionen Menschen in gewaltgeplagten Regionen zusammenstreichen. Der Fall UNRWA könnte den gesamten Vereinten Nationen einen gewaltigen Reputationsverlust einhandeln und die noch vorhandene Autorität der Weltorganisation weiter schmälern.
Russland blockiert Sicherheitsrat
Die Gründer der UN gelobten 1945 angesichts des Zweiten Weltkrieges, dem Frieden eine wirkliche Chance zu geben, den Zustand des gutnachbarschaftlichen Miteinanders der Länder dauerhaft zu realisieren. Den Begriff des Friedens schrieben sie an 52 Stellen in die UN-Charta. In Artikel 1 versprachen sie, „Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken“.
Heute stehen die UN den meisten Kriegen und Gewaltsituationen, es sind mehr als 50 rund um den Globus, hilflos gegenüber: Von der Ukraine bis Nahost, vom Sudan bis Afghanistan. „Wir erleben ein Ausmaß an gewaltsamen Konflikten wie seit 1945 nicht mehr“, klagt der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk. Als ein Indikator der globalen Sicherheitskrise gilt die Zahl der Menschen auf der Flucht. Im September 2023 waren es mehr als 114 Millionen. Ein neuer trauriger Höchststand.
Neben den heißen Konflikten halten die gefährlichen Spannungen zwischen den nuklear gerüsteten Großmächten die Welt in Atem: USA, Russland und China. Dabei handelt es sich um genau diejenigen Staaten, die auch im potenziell mächtigsten Hauptorgan der UN, dem Sicherheitsrat, das größte Gewicht auf die Waagschale bringen. Anstatt gemeinsam am Hufeisentisch nach Konfliktlösungen zu suchen, beharken sich die Drei immer verbissener: Bei der jüngsten Episode des Dauershowdowns überschütteten Russland und China die USA mit Vorwürfen wegen der Beschießung von Zielen in Syrien und Irak.
Die USA, Russland und China aber auch die weniger starken Mächte Frankreich und Großbritannien können nahezu alle Beschlüsse im Rat per Veto blockieren. Die fünf ständigen Mitglieder genießen noch immer die Vorrechte, die sie sich Mitte des vorigen Jahrhunderts selbst zuschanzten.
Aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs des Vetos bringt das UN-Hauptorgan bei der Lösung vieler der schlimmsten Konflikte kaum noch etwas zustande. Und das seit Jahren. Vor allen anderen profiliert sich Russland als Blockierer des Sicherheitsrates. Das Reich des Präsidenten Wladimir Putin droht systematisch mit seinem Veto oder legt es ein, um seinen aggressiven Imperialismus, ob in der Ukraine oder in Syrien, gegen Verurteilungen zu immunisieren. So kommt es, dass der Sicherheitsrat Putins Angriffskrieg in Osteuropa, den fürchterlichsten Konflikt auf dem Kontinent seit 1945, geschehen lässt.
Reform der UN unwahrscheinlich
Das Bild, dass der Rat im Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel abgibt, ist nicht viel besser. Zwar hat sich das Gremium zu Resolutionen durchgerungen. Allerdings zeigen die Texte so gut wie keine Wirkung. Solange sich Israel auf seine Schutzmacht USA verlassen kann, braucht die Regierung Netanjahu vom Sicherheitsrat nichts zu befürchten.
Wie könnten die 193 UN-Mitgliedsländer den Sicherheitsrat schlagkräftiger machen? Seit Jahrzehnten fordern viele Mitglieder zweiter Klasse die Demokratisierung des Sicherheitsrates. Deutschland und andere Staaten bringen eine Erweiterung des Rates oder eine Aufweichung des Vetorechts ins Spiel. Zwar hat US-Präsident Joe Biden mit seiner Rede vor der UN-Vollversammlung im September 2022 „etwas Dynamik“in den Prozess gebracht, wie die deutsche Botschafterin bei der Weltorganisation, Antje Leendertse, sagt. Doch Ergebnisse bleiben bisher aus.
Die UN-Machtstrukturen werden auch langfristig zementiert bleiben. Der Sicherheitsrat verharrt in einem Zustand der Reformresistenz. „Die fünf ständigen Mitglieder können, weil ihre Zustimmung für Charta-Änderungen erforderlich ist, alle großen Reformen, wie etwa eine Erweiterung des Sicherheitsrats, verhindern“, erläutert der UN-Fachmann Helmut Volger. Bei allen Konflikten und Anfeindungen untereinander dürften die fünf Vetomächte in einem Punkt übereinstimmen: Sie wollen ihre Privilegien behalten. Zum Schaden der Welt.
Heute stehen die UN den meisten Kriegen und Gewaltsituationen, es sind mehr als 50 rund um den Globus, hilflos gegenüber.