Wo einst der zweitreichste Mann Frankreichs einkaufte
Mike Decker ist einer der letzten Antiquitätenhändler der Hauptstadt. Seine Zukunft muss er nun aber anderweitig suchen
„Sie wollte immer besser gekleidet sein als die Großherzogin“, erinnert sich Mike Decker an eine ganz besondere Kundin. Seit seinem 17. Lebensjahr handelt der Antiquitätenhändler mit Dingen, die Liebhaberherzen höher schlagen lassen. Zu jedem Stück, das er in seinem Laden in der Rue Beaumont verkauft, kennt er die Geschichte. So auch von den Ohrringen, die sich ebendiese besonders elegante Dame eigens in Paris erweitern ließ. Die ohnehin schon schönen Goldkugeln reichten ihr nicht, es mussten noch mehr hochkarätige Diamanten her.
Die Stadt Luxemburg muss umdenken
Seit 25 Jahren schließt Mike Decker morgens die Tür zu seinem Geschäft in der Rue Beaumont auf. Ein 26. Jahr wird es nicht geben: Mike Decker wird seinen Laden in diesem Jahr schließen. Zu sehr habe sich die Hauptstadt verändert, an Attraktivität verloren. Für viele seiner Kunden, die aus dem Ausland kommen, hat die Stadt ihren Reiz verloren. „Mir kommen net méi an d’Stad“– Mike Decker kann diesen Satz nicht mehr hören.
„Es ist keine richtige, keine ganze und keine halbe“, beschreibt Decker die Fußgängerzone, in der sich sein Geschäft mit der Hausnummer 22 befindet. Die Kunden können nicht kurz parken, um einen Schrank oder eine Lampe abzuholen. Und mit einer Kommode aus dem 18. Jahrhundert Straßenbahn fahren, das machen die wenigsten. „In der Stadt fehlt es massiv an Parkplätzen. Kein Parkplatz, kein Geschäft“, bringt es Mike Decker auf den Punkt. Der Online-Handel ist inzwischen für ihn die Lösung.
Aber auch andere Einkaufsstraßen der Hauptstadt leiden unter neuen Entwicklungen und anderen Kundengewohnheiten. Die großen Luxusmarken kommen, die jungen Leute jedoch nicht. Diejenigen, die die Hauptstadt wieder beleben würden, können es sich nicht leisten. Auch für Jungunternehmer sei die Situation nicht einfach. „Die jungen Leute haben Lust, etwas zu machen“, sagt der 58
Jährige, aber seiner Meinung nach begeht die Stadt Luxemburg im Umgang mit den Pop-up-Stores einen großen Fehler: Die Vertragslaufzeiten seien einfach zu kurz – die Zeit reiche nicht, um sich zu etablieren und sich einen Namen zu machen.
Kamin für den zweitreichsten Franzosen
Auf einem Napoléon III-Stuhl von 1870 sitzt der Mann, der mit viel Herzblut mehr als 3.000 Möbelstücke restauriert hat. Um ihn herum jahrhundertealte Möbel, Spiegel und Schmuckstücke. „Die Rue Beaumont war schon immer eine sehr luxemburgische Straße“, sagt Decker. Große Handelsketten haben nie den Weg in die kleine Gasse gefunden, wohl aber der zweitreichste Mann Frankreichs, dem Mike Decker einen Kamin verkaufte. Das Ungetüm aus Marmor brachte der Händler persönlich nach Paris.
In seinem bisherigen Leben hat Decker viele nette Menschen getroffen. Während des Gesprächs wandern seine blauen Augen immer wieder zur Straße,
wo er im Minutentakt bekannte Gesichter erblickt und grüßt.
Zum ersten Mal schlug Mike Decker 1986 seine Zelte auf einer Messe auf. Gelernt hat er das Restaurieren in Metz (F). Durch seine frühere Lehre bei Robert Steinhäuser kannte er Theorie und Materie. Eines Tages teilte er seinem Chef mit, dass er keine Zeit mehr zum Arbeiten habe: Die Aufträge für Möbelrestaurierungen wurden zu zahlreich. Der logische Folgeschritt war die Selbstständigkeit. Restaurierung und Flohmärkte waren dann auch zunächst sein Steckenpferd. „Die Leute brachten mir Möbelreste und sagten: Mach was daraus“. Damals warfen die Leute die Sachen nicht einfach weg. „Alles ass an d’Rei gemaach ginn.“Von dieser Mentalität sei die heutige Gesellschaft weit entfernt.
Unaufdringlich klingelt es an der Tür, als eine Frau eintritt und sich nach dem Preis für einen Tisch im Schaufenster erkundigt. „Der Guéridon? 3.600 Euro. Der ist von 1820, in Marmor eingebettet.“– Mike Decker kennt seine Produkte. Und die scheinen zu gefallen, denn am nächsten Tag steht der Ateliertisch nicht mehr im Schaufenster. Was dem Antiquitätenhändler allerdings das Genick bricht, sagt er zumindest, ist eine Regelung des Konsumentenschutzministeriums: Die Preise müssen im Schaufenster ausgewiesen werden. Das schreckt die Kundschaft ab, die dann den Schritt durch die Ladentür nicht mehr wagt.
Das Problem mit der Wegwerfgesellschaft
Einen speziellen Gegenstand, der Mike Decker besonders am Herzen liegt, gibt es im Laden nicht. „Die stehen zu Hause“, lacht er. Aber man muss den Menschen auch schöne Dinge weitergeben können – gerade als Antiquitätenhändler. Doch die Mentalität in der Gesellschaft habe sich geändert: „Wir bezahlen dafür, dass jemand ein Haus ausräumt – das Leben von Verstorbenen wird einfach in Container geworfen und entsorgt. Es geht nur noch darum, wie viel Geld man pro Quadratmeter verdienen kann.“Das älteste Stück ist ein Schrank aus dem Jahr 1740, der einem luxemburgischen Architekten gehörte. „Er hatte ein ganz modernes Haus mit nur einem alten Gegenstand – und das war der Schrank.“
„Jedes Möbelstück hat eine Geschichte und ein Leben“, sagt der Händler. Der Kauf von Antiquitäten ist eine Aufgabe nur für Liebhaber und eine Wertschätzung des Handwerks. Leider fehlt es der Restaurierungsbranche an Nachwuchs. Die Leute nehmen sich keine Zeit mehr. Mike Decker bereut nichts in seinem Leben – er würde den gleichen Weg immer wieder gehen. Seinen Laden wird er nicht leer stehen lassen. Vorher will er ihn wieder mit Leben füllen und jemand anderem die Chance geben, sein Geschäft in der Rue Beaumont aufzubauen.
Mike Decker kann sich einen Alltag ohne Antiquitäten nicht vorstellen. Auch wenn er im Herbst die Tür in der Rue Beaumont für immer schließt, wird in Bourglinster eine neue Tür aufgehen. Genaueres will Decker noch nicht verraten, nur so viel: Es wird eine „One-Man-Show“.
Die Rue Beaumont war immer eine ganz und gar luxemburgische Straße. Mike Decker. Antiquitätenhändler und Restaurator