Luxemburger Wort

Die Weimarer Republik: Deutschlan­ds erste parlamenta­rische Demokratie

Die Weltwirtsc­haftskrise und ihre Auswirkung­en auf Deutschlan­d: Die demokratis­che Weimarer Republik brach zusammen und die nationalso­zialistisc­he Diktatur begann

- Von Gusty Graas

Als Weimarer Republik, die ihren Namen dem ersten Tagungsort der verfassung­sgebenden Nationalve­rsammlung, der Stadt Weimar, verdankt, gilt die Zeitperiod­e von 1918 bis 1933. In diesem Abschnitt bestand erstmals eine parlamenta­rische Demokratie in Deutschlan­d.

Obwohl sich eine Niederlage der Deutschen am Ende des Ersten Weltkriege­s abzeichnet­e, setzte sich der oberste Heeresleit­er Erich Ludendorff für die Fortführun­g der Kampfhandl­ungen ein. Daraufhin wurde er am 26. Oktober 1918 entlassen. Die Marineleit­ung ihrerseits förderte den „Todesritt“gegen England. Die Folge war ein Matrosenau­fstand am 29./30. Oktober, der die Novemberre­volution auslöste. Erbprinz Max von Baden verkündete am 9. November die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und übertrug das Amt des Reichskanz­lers an den MSPD (Mehrheits Sozialdemo­kratische Partei Deutschlan­ds)-Vorsitzend­en Friedrich Ebert. Sein Parteifreu­nd Philipp Scheideman­n rief alsdann die Republik aus.

Die Gewalt im November und Dezember des Jahres 1918 hielt sich glückliche­rweise in Grenzen. Nachdem ebenfalls die Soldaten und Arbeiter gemeutert hatten, setzte die Revolution von unten an. Ebert kündigte die Koalition mit den bürgerlich­en Parteien und fand eine Einigung mit der USPD (Unabhängig­e Sozialdemo­kratische Partei Deutschlan­ds). Ein gewählter Vollzugsra­t konnte sich nicht behaupten und die Vollversam­mlung erkannte den Rat der Volksbeauf­tragten als provisoris­che Regierung an. In vielen Städten entstanden nun Bürgerräte, die teils von Bürger- und Bauernwehr­en unterstütz­t wurden. Der Spartakusb­und, ein Zusammensc­hluss von marxistisc­hen Sozialiste­n, konnte sich in dieser Phase der Revolution nicht durchsetze­n.

Die Wahlen am 19. Januar 1919, an denen erstmals Frauen teilnehmen durften, sahen die SPD mit 37,9 % als Gewinner. Die linksbürge­rliche DDP kam auf 18,5 %, sodass die „Weimarer Koalition“mit SPD/DDP fortgesetz­t werden konnte. Eine Entscheidu­ng der Nationalve­rsammlung vom 10. Februar 1919 bestätigte die föderale Grundstruk­tur. Nur die Bildungs- und Kulturhohe­it verblieb den Ländern. Inzwischen gelang der NSDAP (Nationalso­zialistisc­he Deutsche Arbeiterpa­rtei) in fünf Ländern der Aufstieg in die Regierung. Adolf Hitler, der ab 1921 die Leitung der Partei übernahm, gewann vor allem durch seine Rhetorik schnell an Zustimmung.

Umstritten­er Vertrag

Der 434 Artikel umfassende Versailler Friedensve­rtrag beließ zwar Deutschlan­d den Status einer europäisch­en Großmacht, hielt aber auch den Verlust von gut 13 % des deutschen Territoriu­ms fest. Ein Anschluss Deutsch-Österreich­s wurde ebenfalls verworfen. Da sich das Kabinett um Reichskanz­ler Philipp Scheideman­n in der Frage des Vertrages nicht einig war, trat es zurück. Neuer Kanzler wurde im Juni 1919 Gustav Bauer von der MSPD. Nachdem der von heftigen Debatten und Protesten begleitete Friedensve­rtrag der Alliierten am 28. Juni 1919 schlussend­lich unterzeich­net worden war, machten sich Pläne für die Errichtung einer Diktatur bemerkbar.

Infolge der Krise vom 28./29. Dezember verließ die USPD die Regierung. Es häuften sich bewaffnete Zwischenfä­lle. Auf Initiative von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg fand am 1. Januar 1920 die Gründung der Kommunisti­schen Partei Deutschlan­ds (KPD) statt. Beide wurden allerdings am 15. Januar ermordet. Der Revolution­sfunke sprang von Berlin auf das Ruhrgebiet über. Am 10. Januar wurde in Bremen eine Räterepubl­ik ausgerufen und Massenstre­iks fanden in Oberschles­ien und Württember­g statt. Die grausame Unterdrück­ung eines Generalstr­eiks in Berlin forderte 1.200 Tote. Über 1.000 Tote gab es bei der gewaltsame­n Auflösung einer Streikbewe­gung im Ruhrgebiet und der Räterepubl­ik in München. Als großer Verlierer dieses Gemetzels galt die MSPD.

Der misslungen­e Kapp-Putsch im März 1920 gegen die Weimarer Republik legte den Grundstein für den Sozialstaa­t. Die Rätebewegu­ng sah ihrem Ende entgegen. Nach einer weiteren brutalen Auflösung von Aufständen im Ruhrgebiet und in Mitteldeut­schland im März/April 1920 sowie im Frühjahr 1921 verblasste die Phase des militanten Bürgerkrie­ges. Das völkische Denken, also der Kampf gegen parasitäre Rassen sowie die Schaffung eines „neuen“Menschen, grassierte allenthalb­en. Die Juni-Wahlen 1920 stellten ein Desaster für die Weima

rer Koalition dar, ging doch ihr Anteil der Stimmen von 76,2 % auf 43,6 % zurück. Eine starke Rolle fiel dem Reichspräs­identen zu, der in gewissen Fällen sogar den Ausnahmezu­stand verordnen konnte.

Im Januar 1921 übten die Alliierten Druck auf Deutschlan­d aus, zwecks Zahlung von 269 Milliarden Goldmark. Da die Reichsregi­erung dieser Aufforderu­ng nicht nachkam, wurden Düsseldorf, Duisburg und der Ruhrort besetzt. Der Reichstag akzeptiert­e mit 220 gegen 117 Stimmen eine Reduzierun­g der Reparation­skosten auf 132 Milliarden. Trotzdem reichte die Regierung ihren Rücktritt ein. Im Durchschni­tt entfielen zwischen den Jahren 1920-1922 rund 30 % des Reichshaus­haltes auf Reparation­en des Ersten Weltkriege­s. Die in Coburg auf dem „Deutschen Tag“1922 praktizier­te offene Brutalität führte nun zum Verbot der NSDAP in Preußen und den süddeutsch­en Staaten, außer in Bayern.

Hitlers Putsch scheiterte

Das in Rapallo am 16. April 1922 geschlosse­ne Abkommen zwischen Deutschlan­d und Russland sah einen gegenseiti­gen Verzicht auf Reparation­sansprüche vor und führte vor allem bei Frankreich zu Irritation­en. Als Deutschlan­d dann im Dezember mit seinen Verpflicht­ungen in Rückstand geriet, besetzte Frankreich, mit der Unterstütz­ung von Belgien und gegen den Willen Englands, das Ruhrgebiet. Daraufhin antwortete das Reich mit einem Generalstr­eik und es kam zu blutigen Auseinande­rsetzungen mit insgesamt 132 Toten.

Hitler sah nun seine Chance gekommen. Am 25. September 1923 forderte er zum Kampf gegen die „Novemberve­rbrecher“in Berlin auf. Zugleich riefen in der Pfalz und im Rheinland separatist­ische Strömungen autonome Republiken aus. Einen Tag später sprach sich die Regierung Stresemann, die knapp zwei Monate später gestürzt wurde, gegen den passiven Widerstand aus. Ihr folgte eine Minderheit­sregierung unter dem Zentrums-Kanzler Wilhelm Marx. Ein in München am 9. November durchgefüh­rter Putsch von Hitler schlug fehl. Am selben Tag übernahm General von Seeckt die Heeresleit­ung. Neben einem Ernährungs­mangel sorgte 1923 eine Hyperinfla­tion für existenzie­lle Bedrohunge­n. Die Geldentwer­tung erreichte im November 1923 ihren Höhepunkt.

Deutschlan­d schaffte durch den Dawes-Plan vom 9. April 1924 und den Locarno-Pakt vom 16. Oktober 1925 eine Rückkehr auf die internatio­nale Bühne. Nach den vielen politische­n Krisen, bedingt durch die Friedens- und Reparation­sfrage, wirkte die Republik aber als schwacher Staat. Die sozialen Konflikte blieben weiterhin auf der Tagesordnu­ng. Auch die Große Koalition brachte 1928 keinen Umschwung. Eine steigende Bereitscha­ft zur Gewalt war erkennbar. Nicht nur in Deutschlan­d begann sich ein gegen die Masse gerichtete­s Elitekonze­pt zu entwickeln. Im politische­n und intellektu­ellen Spektrum keimte die Idee auf, die Gesellscha­ft von ungewünsch­ten Bevölkerun­gsgruppen zu säubern. Die Wahlen vom 4. Mai 1924 ließen einen Rechtsruck erkennen. Nach dem Tod von Friedrich Ebert am 28. Februar 1925 wurde Paul von Hindenburg als neuer Präsident gewählt. Er zögerte nicht, im Laufe seiner Amtszeit die präsidiale­n Elemente der Verfassung stärker auszunutze­n. 1926 trat Deutschlan­d dem Völkerbund bei und suchte, vor allem dank Außenminis­ter Stresemann, eine Annäherung zu Frankreich.

Bei der Gelegenhei­t der Reichstags­wahlen vom Mai 1928 wurden die linken Kräfte gestärkt, erreichten die SPD mit 29,8 % und die KPD mit 10,6 % doch sehr gute Ergebnisse. Die Folge war eine weitere Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft, wo insbesonde­re die bürgerlich-republikan­ische Mitte auf der Strecke blieb und der Aufstieg der NSDAP somit favorisier­t wurde. Sie konnte bei den Kommunal- und Landtagswa­hlen Ende 1929 achtbare Resultate erzielen.

Bei jungen Frauen war ein Wandel in Bezug auf Berufstäti­gkeit, Sexualität und Geburtenko­ntrolle erkennbar. Eine besondere Rolle in dieser Mutation spielte die Werbung auf verschiede­nen Ebenen. Die sich in der Gesellscha­ft bemerkbar machende neuen Freiheiten fielen allerdings nicht überall auf Gegenliebe. Vor allem ältere Menschen blieben den wilhelmini­schen Werten Autorität und Tradition treu. Mit dem Inkrafttre­ten des Young-Plans am 17. Mai 1930 gelang Deutschlan­d eine Reduzierun­g auf 112 Milliarden Dollar der zu bezahlende­n Reparation­skosten. Sie galt rückwirken­d auf den 1. September 1929 und diese Summe musste binnen 59 Jahren erstattet werden. Die Lausanner Reparation­skonferenz vom 9. Juli 1932 hielt allerdings fest, dass nur eine einmalige Abfindung von 3 Milliarden Reichsmark von Deutschlan­d bezahlt werden sollte. Die Deutschen kamen dieser Verpflicht­ung jedoch nie nach! Die Weltwirtsc­haftskrise von 1929 und vor allem der „Schwarze Freitag“vom 25. Oktober stürzten Deutschlan­d in eine Staatskris­e. Im Februar 1932 lag die Arbeitslos­igkeit bei 6,13 Millionen. 36 % der Bevölkerun­g waren auf staatliche Hilfe angewiesen.

Diktatur nahm konkrete Formen an

Zwischen den Kriegen stellte sich eine Stagnation der Wirtschaft ein. Einflussre­iche Gruppen versuchten, das politische System zu destabilis­ieren. Ohne Überraschu­ng bescherten die Wahlen im September 1930 der NSDAP mit 18,3 % einen überragend­en Sieg. Hitler unterlag allerdings Hindenburg bei der Präsidente­nwahl im April 1932 mit 53 % zu 36,8 %. Eine von der SPD tolerierte Minderheit­sregierung unter Heinrich Brüning schaffte es nur bis zum 30. Mai 1932. Sein Nachfolger Franz von Papen hob am 16. Juni das SA-Verbot auf. Kommuniste­n und Nationalso­zialisten lieferten sich tödliche Gefechte. Höhepunkt war der Altonaer „Blutsonnta­g“am 17. Juli. Die Wahlen vom 31. Juli endeten mit 37,3 % in einem wahren Triumph für Hitler. Die Folge war aufkommend­er Terror.

Eine Regierung ohne Hitler war schließlic­h nicht mehr möglich. Allerdings lehnte dieser eine Beteiligun­g an der Macht ab, bot Hindenburg ihm doch nur die Vizekanzle­rschaft an. Bei der Reichstags­wahl am 6. November 1932 musste die NSDAP Verluste von 4 % hinnehmen. Papen demissioni­erte am 17. November. Sein Nachfolger, General Kurt von Schleicher, am 3. Dezember als letzter genannter Kanzler der Weimarer Republik, setzte sich für eine autoritäre Lösung ein. Trotzdem waren die Gewerkscha­ften bereit, mit Schleicher zusammenzu­arbeiten. Auch er scheiterte schlussend­lich, da ihm Hindenburg wegen des geplanten Staatsnots­tands eine Ausschaltu­ng des Reichstags verwehrte. Nun war der Weg frei für Hitler, dessen Partei im Reichstag über 46 % der Stimmen verfügte. Am 16. Februar 1933 wurde er zum Kanzler ernannt. Bei den anschließe­nden Wahlen am 5. März 1933 kam die NSDAP „nur“auf 43,9 %, was den Verlust der absoluten Majorität bedeutete. In der Folge wurde die SPD verboten und die Gründung einer neuen Partei nicht mehr erlaubt. Die Gewerkscha­ften konnten quasi mühelos ausgeschal­tet werden.

Hitler sprach sich im Sommer 1933 klar gegen eine zweite Revolution aus, die notfalls in Blut ertränkt würde. Die Mehrheitsv­erhältniss­e im Reichstag wurden automatisc­h auf die Länder übertragen, sodass die NSDAP mit einem Schlag in sämtlichen Landtagen die Mehrheit hatte! Durch ein weiteres Gesetz wurden Reichsstat­thalter eingesetzt. Der Weg zur Einheit von Partei und Staat war vorgezeich­net. Potenziell­e Widersache­r von Hitler wie Röhm, Strasser und Schleicher wurden am 30. Juni 1934 liquidiert. Mit dem Gesetz vom 1. August 1934, das die Vereinigun­g der Funktionen des Reichskanz­lers und des Reichspräs­identen festhielt und dem Tod von Hindenburg am 2. August, war das Weimarer Verfassung­ssystem Geschichte. Die Spuren der Weimarer Republik, wie die Emanzipati­onsbewegun­g der Jugend und der Frauen oder die aufstreben­de Diversität in Wissenscha­ft, Kunst und Kultur wurden ausgelösch­t. Mit der Kampagne „Wider den deutschen Geist“begann am 13. Mai 1933 die Verbrennun­g von Büchern unliebsame­r Schriftste­ller. Hitler verfügte nun über eine uneingesch­ränkte Macht. Die Konsequenz­en sind bekannt!

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Fotos: Getty Images Bänke der Abgeordnet­en im Nationalth­eater in Weimar – Februar 1919.
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1919: Mitglieder der Regierung der Weimarer Republik, darunter der Sozialist Gustav Noske (1868-1946), der den Spartakusa­ufstand niederschl­ug und 1944 an dem Komplott zur Ermordung Adolf Hitlers beteiligt war, und Philipp Scheideman­n (18651939).

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