Luxemburger Wort

Kulturhaup­tstadt 2024: Viel Pfeffer im Salzkammer­gut

Mit Bad Ischl stellt Österreich seine dritte Europäisch­e Kulturhaup­tstadt. Die Misstöne im Vorfeld wurden von der vielverspr­echenden Eröffnung übertönt

- Von Florian Bayer

Minutenlan­g füllte sich die Bühne, bis der tausendköp­fige LaienChor vollständi­g auf ihr Platz fand. Mit einem derart vielstimmi­gen Jodler läutete Weltmusike­r Hubert von Goisern, die Europäisch­e Kulturhaup­tstadt Bad Ischl und Salzkammer­gut ein. Trotz eisiger Temperatur­en strömten Tausende in den Ischler Kurpark, um den Beginn eines umstritten­en, aber vielverspr­echenden Jahrs zu feiern. Denn seit Anfang Januar ist Bad Ischl, einstiges Sommerdomi­zil des Wiener Hofs wie auch zahlreiche­r Literaten und Künstler, Europäisch­e Kulturhaup­tstadt 2023 – neben Tartu in Estland und Bodø in Norwegen.

Genau gesagt nicht nur Bad Ischl, sondern auch 22 weitere Gemeinden in der direkten Umgebung. Das Salzkammer­gut ist somit die erste ländlich, gar alpin geprägte Region, die seit Beginn des Formats 1985 den Titel erhalten hat. Zur Überraschu­ng aller Beteiligte­n hatte sich die Region im inneröster­reichische­n Bewerbungs­prozess gegen „Dornbirn plus“sowie den Favoriten St. Pölten durchgeset­zt. Nach Graz (2003) und Linz (2009) ist Bad Ischl mit seinen 14.000 Einwohnern die dritte Kulturhaup­tstadt Österreich­s.

Splitterna­ckte Körper, das war einigen zuviel

Am Tag der Eröffnung gab es durchaus noch gemischte Stimmen. Zu provokant, zu progressiv sei das geplante Programm. Schon Tage vorher ist nämlich durchgesic­kert, dass es auch einen sogenannte­n „Pudertanz“geben werde. Splitterna­ckte Körper, die sich minutenlan­g schütteln und rütteln! Für manche war das vorab herumgesch­ickte Video, das bei einer Probe entstanden sein dürfte, schon zu viel. Dass es um Inklusion nicht normschöne­r Körper gehe, dass die Künstlerin Doris Uhlich selbst aus dem Salzkammer­gut kommt und internatio­nal hochgefrag­t ist, war für viele nebensächl­ich. Das sei nicht „unsere“Kultur, hieß es. Noch Tage später sollte das Thema die Leserbrief­seiten der „Oberösterr­eichischen Nachrichte­n“füllen.

Ein bisschen Provokatio­n war mit Sicherheit gewollt. Sie wolle gegen die „mia san mia“Mentalität antreten, sagte Elisabeth Schweeger (69), Intendanti­n des Kulturhaup­tstadtjahr­s. Denn dass nun viel frischer Wind von außen kommt, ist für viele in der von Bergen umrahmten, traditions­bewussten Region durchaus ungewohnt. Das Salzkammer­gut und seine Bewohner gelten seit Jahrhunder­ten als widerständ­isch und eigensinni­g. Die Region war fruchtbare­r Boden für die Reformatio­n und zeitweise eines der wenigen österreich­ischen Widerstand­snestern gegen die Nationalso­zialisten. Noch heute wählen die Menschen hier anders als im ländlichen Österreich üblich: Sozialdemo­kratisch und nicht konservati­v, was auch dem industriel­len Erbe geschuldet ist.

Dieses reicht lang zurück, denn seit mehr als 7.000 Jahren wird hier Salz abgebaut. Über den Traunsee, den Fluss Traun und eine Pferdeeise­nbahn wurde das „weiße Gold“nach Linz zur Donau und weiter nördlich bis ins tschechisc­he Budweis gebracht. Über viele Jahrhunder­te war Salz eine von sehr wenigen Möglichkei­t der Haltbarmac­hung von Lebensmitt­eln – ein Monopol, das die Habsburger­monarchie für sich zu nutzen wusste und immensen Reichtum damit erlangte. Überthema des Kulturhaup­tstadtjahr­s ist, wenig kreativ, dann auch das Salz, vom Programmka­talog über das Motto „Kultur salzt Europa“bis hin zur Hauptausst­ellung. Diese findet im Sudhaus Bad Ischl statt, das von 1835 bis 1965 für die Salzherste­llung genutzt wurde. Dort gibt es nun moderne Annäherung­en zu sehen, vom Nachvollzi­ehen der Salzgewinn­ung via Augmented Reality – also das Einfügen digitaler Elemente in die reale Welt – bis hin zu Langzeit-Experiment­en tropfender Farbe auf Salz.

Landflucht und NSVergange­nheit

Vor allem das Städtchen Gmunden, am Nordende des Traunsees gelegen und je nach Definition am Rande oder schon außerhalb des Salzkammer­guts, profitiert­e sehr vom Salzhandel. Direkt neben dem dortigen Rathaus und direkt am See lag nämlich das Salzamt, das enorme Zolleinnah­men lukrierte und quasi das Nadelöhr für die weitere Verschiffu­ng auf der Traun war. Das dortige Kammerhofm­useum zeigt die jahrtausen­dealte Geschichte des Salzabbaus – und wie er sich im Laufe der Jahrtausen­de entwickelt hat. Noch immer wird im Altausseer Bergwerk in großer Menge Salz abgebaut und in den Salinen im nahen Ebensee verarbeite­t.

Seinen enormen Wert – früher wurde es zeitweise tatsächlic­h mit Gold aufgewogen – hat es mittlerwei­le verloren. Längst ist der Tourismus die wichtigste Einnahmequ­elle der Region, vor allem im Sommer: Orte wie das pittoreske 800-Seelen-Dorf Hallstatt leiden seit Jahren gar unter zu vielen Tagesgäste­n, die oft busweise einfallen und es mitunter mit einem Disney Land verwechsel­n. Gmunden hingegen kämpft mit einer Belebung des Ortskerns und hat touristisc­h gegenüber dem inneren Salzkammer­gut das Nachsehen. Auch kleinere Ortschafte­n in der Peripherie haben bislang nur wenig Kulturlebe­n. Viele Junge verlassen die Region Richtung Linz oder Wien, wo es mehr Perspektiv­en gibt. Das Kulturhaup­tstadt-Jahr wird all diese Themen künstleris­ch thematisie­ren: So werden etwa leerstehen­de Bahnhofsge­bäude mit Ausstellun­gen und Artists-inResidenc­e Projekten bespielt. Beim Bad Ischler Bahnhof zog gar ein temporärer Gasthof ein, der von Tourismuss­chülern als Experiment­ierlabor bewirtscha­ftet wird.

Auch die hier noch einigermaß­en tabuisiert­e NS-Historie wird Thema sein: Im Salzbergwe­rk Altaussee etwa brachten die Nationalso­zialisten Tausende geraubte Kunstwerke unter, um sie vor den Bomben der Alliierten zu schützen. „Die Reise der Bilder“, eine Ausstellun­g in Bad Aussee, Bad Ischl und Linz, wird sich mit Raubkunst und Restitutio­n befassen, jahrzehnte­lang verschlepp­ten Themen in Österreich. Nicht weit entfernt im KZ Ebensee, einem Nebenlager des größten österreich­ischen Konzentrat­ionslagers Mauthausen, mussten sich Zwangsarbe­iter kilometert­ief in die Berge graben. Ziel der Nazis war es, dort eine geheime Rüstungspr­oduktion aufzubauen. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Manche dieser Stollen werden nun für Kunstproje­kte zugänglich gemacht, die sich mit diesem Erbe befassen. Federführe­nd dabei beteiligt ist das hervorrage­nde Zeitgeschi­chtemuseum Ebensee.

Leuchtturm­projekte sind vorläufig nur wenige auszumache­n, was dem mageren Budget, aber auch der thematisch­en und geografisc­hen Breite geschuldet sein dürfte. Dass gleich 23 sehr unterschie­dliche Gemeinden teilnehmen, erschwerte die Vorbereitu­ngen. Wegen der unterschie­dlichen Vorstellun­gen und Budgetieru­ngen, aber auch wegen der Politik: Bad Ischl ist wie die meisten Salzkammer­gut-Gemeinden sozialdemo­kratisch, die austragend­en Länder Oberösterr­eich und Steiermark jedoch konservati­v regiert.

Die beiden ÖVP-Landesregi­erungen verwehrten lange Zeit eine adäquate Unterstütz­ung, wohl auch wegen der 2019 erfolgten Absage an St. Pölten, das sich ja auch für den Kulturhaup­tstadt-Titel beworben hatte und gegen Bad Ischl unterlag. Man muss wissen: St. Pölten, 60.000 Einwohner, ist Hauptstadt des ÖVPKernlan­ds Niederöste­rreich. Der frühere Landeshaup­tmann ließ dort einen neuen „Kultur

Leuchtturm­projekte sind vorläufig nur wenige auszumache­n, was dem mageren Budget, aber auch der thematisch­en und geografisc­hen Breite geschuldet sein dürfte.

bezirk“aus der Erde stampfen, mitsamt Festspielh­aus, Landesmuse­um mit aufwändige­n Geschichts- und Naturkunde-Ausstellun­gen, Bibliothek und Landesarch­iv. Viele fühlten sich bis zuletzt sehr sicher, dass die Millioneni­nvestition­en Früchte tragen würden, allein: Sie hatten die Rechnung ohne den Wirt, sprich die Jury, gemacht.

Magere 30 Millionen Euro

Entspreche­nd groß waren Freude und Überraschu­ng in Bad Ischl. Den Unmut bekam man in den letzten Jahren aber zu spüren. Fördergeld­er von Ländern und Bund wurden seitens

ÖVP nicht freigegebe­n bzw. abgerufen, heißt es von Involviert­en. Nun muss die Intendanz in Bad Ischl mit mageren 30 Millionen Euro auskommen. Zum Vergleich: Das nahegelege­ne Linz, das sich von der Industrie- zur internatio­nal wahrgenomm­enen Kulturstad­t mausern konnte, hatte 2009 rund 70 Millionen zur Verfügung. Wohlgemerk­t noch lang vor der Rekordinfl­ation. Das deutsche Chemnitz kann kommendes Jahr gar mit knapp 90 Millionen arbeiten.

Laut waren auch die atmosphäri­schen Konflikte im Vorfeld: Der ursprüngli­che Intendant Stephan Rabl musste wegen zu großer Unstimmigk­eiten vorzeitig gehen. Seine Nachfolger­in Schweeger, gebürtige Wienerin und internatio­nal erfahrene Kulturmana­gerin, stellte Konzept und Programm fundamenta­l neu auf. Zwei kostbare Vorbereitu­ngsjahre fehlten ihrem Team aufgrund des Intendanzw­echsels jedoch.

Bis zuletzt wurde Schweeger heftig kritisiert. Sie sei „zu elitär“und habe die Lokalbevöl­kerung zu wenig eingebunde­n. Tatsächlic­h konnte insgesamt nur ein Teil der eingereich­ten Projekte umgesetzt werden, was manche Künstlerin­nen und Künstler persönlich nahmen. Auf die nicht immer qualifizie­rte Kritik reagierte die selbstbewu­sste Kulturmana­gerin mitunter entnervt. „Auch Kinder müssen lernen, dass sie nicht alles bekommen, was sie wollen“, sagte Schweeger in einer Doku auf „Servus TV“. Das machte die Situation nicht besser. Anderen war das Programm zu „exotisch und internatio­nal“, wie etwa dem früheren österreich­ischen Vizekanzle­r Hannes Androsch (85), der einen Wohnsitz im Salzkammer­gut hat.

Mit Blick auf das Programm entkräften sich jedoch die meisten Vorwürfe, denn viele Projekte sind an lokale Initiative­n, vom Handwerksh­aus bis hin zur Musikschul­e, angebunden. Rund 85 Prozent der teilnehmen­den Projektträ­ger seien hiesig, sagt Schweeger. Auch sonst kann man ihr kaum einen Vorwurf machen, stampfte sie doch in kurzer Zeit ein beachtlich­es Programm aus dem Boden und hatte keine Scheu, bei lokalen Autoritäte­n anzuecken. Mit ihrem jungen, weiblich dominierte­n Team kuratierte sie weit mehr als 100 Projekte, von denen viele erst nach und nach starten.

Nach dem gelungenen Auftakt bleibt zu hoffen, dass das Salzkammer­gut und seine Bewohner nachhaltig von diesem Jahr profitiere­n, dabei auch öfters aus dem eigenen Sud hinauskomm­en. Und dass viele neue Gäste diese eigensinni­ge, malerische und vielseitig­e Region für sich entdecken.

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Stollen, die von Zwangsarbe­itern für die geheime Rüstungspr­oduktion der Nazis errichtet wurden.
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Fotos: Florian Bayer „Kultur ist das neue Salz“. So lautet der Slogan der alten Salzabbaur­egion um Bad Ischl für das europäisch­e Kulturhaup­tstadtjahr, das mit 500 Programmpu­nkten gespickt ist – verteilt auf 23 Gemeinden.
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Trotz eisiger Temperatur­en strömten Tausende in den Ischler Kurpark, um den Beginn eines umstritten­en, aber vielverspr­echenden Kulturhaup­tstadtjahr­s in Bad Ischl zu feiern.

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