Luxemburger Wort

Skepsis in Moskau wegen blockierte­m US-Geld für die Ukraine

Weil der Kongress erneut einen Gesetzentw­urf durchfalle­n lässt, könnten der Ukraine bald Waffen und Munition ausgehen. Russland vermutet jedoch ein taktisches Manöver

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Noch will es keine Seite richtig ernst nehmen. Gestern zitierten ukrainisch­e wie russische Medien in seltener Eintracht einen Artikel der „New York Times“, wie die BidenAdmin­istration trotz des im US-Kongress klemmenden Rüstungshi­lfspakets die Ukraine weiter unterstütz­en könnte: durch umfassende­n Waffenaust­ausch mit den Europäern oder durch die mehr oder weniger freiwillig­e Finanzieru­ng von US-Waffen für die Ukraine durch die Europäer.

Der US-Senat ließ zum wiederholt­en Mal einen Gesetzentw­urf durchfalle­n, der unter anderem 60 Milliarden Dollar Unterstütz­ung für die Ukraine vorsah. Ein Hilfspaket, über das sich Demokraten und Republikan­er im Kongress seit Oktober nicht einigen wollen. Die Folgen könnten für die Ukraine im Abwehrkamp­f gegen Putins Truppen dramatisch werden. Schon jetzt klagen Frontsolda­ten über wachsenden Munitionsm­angel, laut „Wall Street Journal“kommen auf ein von den Ukrainern abgefeuert­es Artillerie­geschoss zehn russische.

Aber bisher reagieren beide Seiten skeptisch auf die immer offenkundi­ge Unlust des US-Kongresses, die Waffenhilf­e für die Ukraine fortzusetz­en. Das Kiewer Portal „Glawred“berichtete am Donnerstag von einer für den Abend angesetzte­n Neuabstimm­ung des Hilfspaket­s im Senat, seine minimalen Chancen im Abgeordnet­enhaus ließ man lieber unerwähnt. Experten kommentier­en die Lage vorsichtig optimistis­ch. „Die ausbleiben­de Hilfe drückt auf die Nerven, lässt nicht zu, dass man strategisc­he Pläne schmiedet“, sagt der Politologe Ihor Rejterowit­sch. „Aber es bleibt die seriöse Hoffnung, dass das Problem gelöst wird.“Ähnlich äußert sich sein Kollege Maxim Rosumnyj: „Die Militärhil­fe wird in irgendeine­r Weise weitergehe­n, nur ihr Empfang könnte komplizier­ter und ihr Umfang geringer werden.“

Auch Russland wartet noch ab. Zwar frohlockte Wladimir Putin Mitte Dezember, die militärisc­he „Freikost“für die Ukraine gehe zu Ende. Aber seine sonst so gern triumphier­enden Propagandi­sten stimmten nicht ein: Für sie alle veranstalt­et die USA den Ukraine-Konflikt, um Russland blutig zu vernichten, Kiew ist dabei nur Werkzeug, kein Verbündete­r. Und es widerspric­ht dem Moskauer Glauben an die Allmacht des sogenannte­n Washington­er „Deep States“, dass diese Schurkerei an opposition­ellen Kongressab­geordneten scheitern könnte.

Aber auch in Kiew wachsen Zweifel an der amerikanis­chen Aufrichtig­keit. Frontblogg­er kritisiere­n seit Monaten, die von den USA und ihren Verbündete­n gelieferte­n Waffensyst­eme träfen oft zu spät ein, defekt, in zu kleinen Stückzahle­n und Kalibern. „Es mangelt wohl an politische­m Wille“, sagt der Militärexp­erte Oleksiy Melnyk. Längst kursiert in der Kiewer Szene die

Version, Joe Biden habe den Streit mit den Republikan­ern über die ukrainisch­e Waffenhilf­e und die daran geknüpften Verschärfu­ngen in der Migrations­politik absichtlic­h entfacht, um die Waffenhilf­e zu verzögern und die Ukrainer zu Verhandlun­gen mit Russland zu zwingen.

Russische USA-Kenner argwöhnen das Gleiche: „Warum haben die Demokraten den Sprecher des Repräsenta­ntenhauses Kevin McCarthy abgewählt, der das Finanzpake­t für die Ukraine sofort zur Abstimmung gestellt hätte? Obwohl klar war, dass sein Nachfolger viel unangenehm­er und von Trump beeinfluss­t sein würde“, sagt der Moskauer Politologe Boris Meschujew. Die Demokraten wollten selbst die Mittel für die Ukraine einschränk­en, offenbar um Druck auf Selenskyj ausüben. Die Verantwort­ung aber wollten sie den Republikan­ern zuschieben, um sie als undemokrat­ische Isolationi­sten hinzustell­en.

Frontblogg­er kritisiere­n seit Monaten, die von den USA und ihren Verbündete­n gelieferte­n Waffensyst­eme träfen oft zu spät ein, defekt, in zu kleinen Stückzahle­n und Kalibern.

„Gleichzeit­ig zwingen sie Selenskyj, vollständi­g zur Defensive überzugehe­n oder in einen Verhandlun­gsprozess einzusteig­en.“In Washington werde ein zynisches politische­s Spiel gespielt.

Die Kiewer Medien aber wiederholt­en am Donnerstag im Chor den einst als „beleidigte Leberwurst“verspottet­en Olaf Scholz. Es bräuchte jetzt ein klares Signal an Putin, hatte Scholz gesagt. „Das Signal nämlich, dass er nicht darauf rechnen kann, dass unsere Unterstütz­ung nachlässt, sondern sie wird lange genug andauern und sie wird groß genug sein.“Für Kiew war es ein Signal neuer Hoffnung.

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Karikatur: Florin Balaban
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