Von einer, die einstieg, das Fahren zu lernen
Vor 30 Jahren begann die Geschichte des „Centre de formation pour conducteurs“. Für eine LW-Redakteurin beginnt heute ein neues Leben – mit dem Auto
Das erste, was der Körper abschaltet, wenn ein Mensch in Panik gerät, ist das Gehirn. Jemand, der in Panik gerät, hört nicht mehr zu. Da kann man noch so laut ins WalkieTalkie schreien: „Brems!“
Im Februar 2024 schlittere ich mit dem Auto über die Schleuderplatte des Centre de formation pour conducteurs. An diesem Tag sitze ich zum ersten Mal in meinem Leben allein in einem Auto und fahre. Ohne Beifahrer, ohne Mutti, ohne Fahrlehrer. Dabei habe ich seit 22 Jahren meinen Führerschein. Jemand wie mich, sagt Eric Mathias, das sei schon extrem. Und extrem selten beim Fahrsicherheitstraining in Colmar-Berg. Der Direktor hört mich nicht, wenn ich unsicher auf seine Anweisungen antworte und meine eigene Dummheit kommentiere. Sein Walkie-Talkie spricht zu mir, aber meine verzweifelten Monologe bleiben mit mir allein im Auto zurück, das gleich bei 50 Stundenkilometern eine Vollbremsung auf einer Schneedecke hinlegen soll. Eric Mathias hört mich nicht, aber er sieht meine Blicke.
Als ich 2002 meinen Führerschein machte, stand ich kurz vor dem Abitur und ein Jahr später auf dem Bahnsteig in Paris Est. Ich hatte mir die Fahrkenntnisse angeeignet, die die Au-Pair-Agentur von mir verlangte, aber dann stellte sich heraus, dass ich Alizé, Maxime und Jonas zu Fuß zur Schule begleiten würde. Nach dem Auslandsjahr kam das Studium. Das Semesterticket war mein treuer Begleiter in Bussen, tramways, Métros, Regionalzügen. Wer brauchte da schon ein Auto? Und wovon hätte ein Student das bezahlen sollen? Die Jahre vergingen und mit ihr meine Gewissheit, ein Auto sicher durch den Straßenverkehr bringen zu können.
„Ich sehne mich nach Unabhängigkeit“
Einmal versuchte ich es, 8. Semester, Sommer, Roadtrip mit dem Exfreund im mecklenburgischen Heimatdorf. Ich hatte sogar schon vergessen, an welcher Stelle welches Pedal zu treten war und stieg sofort wieder auf den Beifahrersitz. Seitdem war das Thema für mich keines mehr. Mit dem Zug zu verreisen, mit dem Zug zur Arbeit zu fahren, gehört seit 20 Jahren zu meinem Leben. Und ich fahre gut damit, aber jetzt ist auch mal gut. Ich sehne mich nach Unabhängigkeit, nach spontan ins Auto steigen und durch Belgien fahren, nach endlich mal den wilden Norden Luxemburgs kennenlernen, ohne drei Stunden im Gratistransport festzustecken. Meine Entdeckerlust ist ausgebrochen.
Vor ein paar Wochen habe ich angefangen, mit dem Auto meines Freundes auf einem verlassenen Parkplatz meine ersten Runden zu drehen. Auch, wenn der Motor heute immer noch vor grünen Ampeln abwürgt oder aufheult, auch, wenn ich vor jedem Kreisverkehr vorsorglich so stark bremse, dass ich nur im ersten Gang reinfahren kann – ja, ich lerne mit Gangschaltung, weil ich im Urlaub auf Mittelmeerinseln nicht mit alten Mietautos absaufen will: Ich fahre endlich Auto. Zwar nur auf Landstraßen und immer in Begleitung eines
Vielfahrers, aber immerhin. Bevor ich mich auf die Autobahn wage – tatsächlich habe Angst davor, mit 130 km/h die Spur zu wechseln, ohne den Fahrer hinter mir zu bemerken – brauche ich noch mehr Selbstvertrauen.
Da ich anlässlich der Gründung des Centre de formation pour conducteurs (CFC) vor 30 Jahren, am 9. Februar 1994, den Direktor zu einem Interview treffen möchte, beschließe ich, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und ein Fahrsicherheitstraining zu absolvieren. Wobei – Überraschung – in den vier Stunden nicht alles angenehm sein wird.
Das CFC in Colmar-Berg ist auf Autofahrer fokussiert, die Zweigstelle in Sassenheim auf Motorrad- und Berufsfahrer. Auf sechs Pisten üben Autofahrer in Colmar-Berg unter anderem Notbremsung, Slalom fahren, auf nasser Fahrbahn bremsen. Mein Unterricht beginnt in einem Überschlagsimulator. Das Auto dreht sich, bis die Räder in der Luft und das Dach am Boden ist. Und noch ne Runde. Während Eric – „wir duzen uns hier“– draußen den Schalter bedient, bekomme ich einen Lachanfall. Fühlt sich an wie Schueberfouer. Doch der Spaß hat einen ernsten Hintergrund. Wie nützlich der Sicherheitsgurt ist, zeigt das zu Schrott gefahrene Auto im Nebenraum: Beim Crashtest ohne Gurt bei 50 Stundenkilometern ergeben sich lebensbedrohliche Verletzungsrisiken. Ich lerne: Der Gurt muss in der Mitte des Schlüsselbeins aufliegen, der untere Teil muss auf dem Hüftknochen aufliegen und nicht über dem Bauch, der Gurt sollte nirgends verdreht sein.
Als ich auf der Piste in meinem Übungsauto sitze, habe ich ein Déjà-vu: „Dein Lenkrad schwimmt ja schon wieder“, keifte mich mein blöder Fahrlehrer aus Urzeiten immer an. Zum Glück bin ich mit meinem Schweiß allein. Eric steht auf der Wiese. Das Walkie-Talkie verbindet uns. Mir fällt gerade auf, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben ganz allein im Auto sitze und fahre. Verrückt. Aber hier fühle ich mich sicher. Zuerst soll ich bei 25 km/h eine Vollbremsung auf Schnee machen. Zumindest simuliert der Gleitbelag ein paar Zentimeter davon. Ich fahre los, versuche exakt auf 25 zu kommen. „Und stop!“, ruft Eric. Kupplung und Bremse gleichzeitig drücken. Aber ich traue mich nicht, ganz durchzudrücken, weil ich mich nicht kopfüber mit dem Auto überschlagen will. Ich lerne: Außer meinem Herzen überschlägt sich hier heute gar nichts. Zweiter Versuch klappt. Zu meinem Erstaunen schlittere ich einfach nur einige Meter und dort, wo ich stehenbleibe, stellt Eric ein Hütchen auf.
Die Schleuderplatte ist für Leute, die es immer noch nicht verstanden haben. Eric Mathias, Direktor des Centre de formation pour conducteurs (CFC)
„Doppelte Geschwindigkeit heißt vierfacher Bremsweg“
Nun soll ich dieselbe Übung mit 50 km/h machen und an dem Hütchen die Vollbremsung. „Was glaubst du, wo du stehen bleibst?“Ich lasse das Hütchen etwas mehr als doppelt so weit aufstellen. Reingefallen. „Doppelte Geschwindigkeit heißt vierfacher Bremsweg“, erklärt Eric. „Gerade junge Fahrer tendieren dazu, sich zu überschätzen.“Auch bei den Berufskraftfahrern gebe es immer wieder Überraschungen, „obwohl die alle fünf Jahre zu uns kommen“. Fragt man Eric nach häufig auftretenden Schwierigkeiten der Kursteilnehmer oder nach den Hauptgründen für Unfälle, fällt nur ein Wort: Selbstüberschätzung. „Ich würde die in drei Kategorien ein
teilen: Geschwindigkeit, Ablenkung durch Navi oder Handy sowie Alkohol, Medikamente und Drogen.“
Nun soll ich auf sehr nasser Fahrbahn eine Kurve durchfahren und dabei versuchen, die Eingangsgeschwindigkeit bis zum Ende durchzuhalten. Da ich Anfänger bin, starte ich mit 10 km/h. Klappt problemlos, langweilig. Nach ein paar Runden bin ich bei 34 km/h. Auch das klappt gut. Im richtigen Straßenverkehr hätte ich mich das nicht getraut, nun aber weiß ich, dass ich nicht aus der Kurve fliegen kann. Ich erhöhe auf 40. Und kann die Spur nicht mehr halten. Das Auto rattert und versucht mit aller Kraft, mich auf Linie zu halten. Verängstigt bremse ich ab. „Was ist passiert? Du bist mit 29 km/h rausgefahren.40 km/h halten die Reifen nicht aus, um diese Kurve zu schaffen.“
„Wo sind die Pirouetten?“
Ich fühle mich dumm. Eric sagt, dieser Kurs diene dazu, den Einfluss der Geschwindigkeit wahrzunehmen. Und dass es vielen Teilnehmern wie mir ergeht. Ich lerne: Ein paar Stundenkilometer zu viel und ich kann aus der Kurve rutschen. Ein bisschen zieht mich Eric dann doch auf, als ich wiederholt in der Kurve bremse und ich einfach nur stehenbleibe. „Wo sind die Pirouetten?“Ich lerne: Eine Notbremsung in der Kurve ist kein Problem, bei jeder Geschwindigkeit. Das hätte ich nicht gedacht.
„Für mich ist das Wichtigste, dass du heute eine Notbremsung gemacht hast“, sagt Eric. „Die meisten machen hier zum ersten Mal eine Vollbremsung, was natürlich gut ist. Aber man sollte sie im Repertoire haben. In der Fahrschule wird die nicht richtig geübt.“
Und dann ist da noch die Schleuderplatte. Ehrlich gesagt, habe ich mich darauf am meisten gefreut. Auf ihr wird die Hinterachse ausgelenkt und das Fahrzeug gerät ins Schleudern. „Die Schleuderplatte ist die spektakulärste Übung, aber nicht die wichtigste“, sagt Eric. „Die Schleuderplatte ist für Leute, die immer noch nicht verstanden haben, dass ein außer Kontrolle geratenes Auto nicht mehr unter Kontrolle zu bringen ist.“Als ich das erste Mal über die Platte schlittere, macht mein Gehirn Pause. Ich kann nicht mehr klar denken, alles geht viel zu schnell. „Bremsen!“, ruft Eric. Ich aber reiße das Lenkrad nur abwechselnd nach rechts und links, was völlig verschwendete Energie ist.
Als ich endlich bremse, bin ich längst auf dem Asphalt, fast schon auf der Wiese. „Manche meinen, sie müssten gegensteuern, um das Auto wieder unter Kontrolle zu bekommen, manchmal schaffen sie das hier auch, nach dem dritten oder vierten Anlauf. Aber im echten Leben hast du nur eine einzige Chance.“Ich lerne: In so eine Situation will ich gar nicht erst hineingeraten. Merke: Vorausschauend und mit angepasster Geschwindigkeit fahren.
Ich habe heute die Grenzen der Physik kennengelernt. Aber vor allem habe ich gelernt, mir selbst zu vertrauen. Ich glaube, ich fühle mich vorbereitet für mein neues Leben mit dem Auto.